Die Ritterschaft zu Bergerac

  • Geht es euch auch manchmal so? Ihr sitzt an einer Sache, an der ihr sitzen müsst und plötzlich jagt ein Geistesblitz nach dem anderen durch euer Oberstübchen, haben aber allesamt mit der Sache herzlich wenig zu tun? Na, jedenfalls war das bei mir heute der Fall und ich hab mich entschlossen mich an eine kleine Fortsetzungsstory zu wagen. Mal sehen wie weit ich komme, bis der Karren wieder im Mist feststeckt, alles ziehen, zerren und guter Wille schließlich unnütz erscheint, das Projekt also seinen natürlichen Weg gegangen ist. Bis dahin wünsche ich allerdings beste Unterhaltung! Gruß, Cibout.


    Die Ritterschaft des Felsendoms zu Bergerac


    Kapitel 1


    Renard war nicht erschöpft. Hunderte Werst bretonischen Hochlands hatten es nicht vermocht, tiefe Schluchten voll tückisch glatter Felsen, Ranken voll peitschender Äste gespickt mit Dornen und auch dieser letzte endlos erscheinende Aufstieg war machtlos gegen seine jugendliche Kraft. Angespannt huschten seine tiefblauen Augen von einem Winkel in den nächsten. Seit er den Turm betreten hatte, war er keiner Menschenseele begegnet. Nun schlich er voran, beständig um sich blickend, geduckt und jeder Muskel aufs Äußerste gespannt. Seine feuchten Finger umklammerten das lederne Heft eines mächtigen Langschwertes. Oberhalb der Parierstange hatte er ihre Locke festgebunden. Sie, derentwegen er hier war. Isabeau. Das alte Schloss war bedrückend. Überall hatte sich Ungeziefer eingenistet. Schimmel. Moder. Es roch nach faulem Käse. Das Holzgebälk rottete duldsam vor sich hin. Man kann nicht wissen was das Holz fühlt, dachte Renard. Vielleicht ist es voll Kummer und seine Seele begreift, dass das Ende nahe ist. Die elende Feuchtigkeit kriecht ihm in die Knochen und setzt Pilze an. Andererseits; vielleicht ist die Seele schon geschwunden, als der Baum geschlagen wurde. Dann fühlt es nichts und ist wie ein Leichnam, den die Maden durchwühlen. Tote Masse. Der Schrei des Sperlings drang durch die gläsernen Spitzbogenfenster. Fenster ohne Glas, höchstens vereinzelt ein paar bunte Scherben. Renard tastete sich voran. Schritt um Schritt erklomm er die Stufen der Wendeltreppe, welche hinaufführten ins Ungewisse. Und doch; hier musste es sein, das Ziel seiner Reise. Der Ort seiner Sehnsüchte und Hoffnungen. Mit der Zunge spielte er an seinem trockenen Gaumen, den Geschmack von Dörrfleisch seit Wochen im Mund.
    Ein greller Schrei ließ ihn zusammenfahren. Also doch. Er hatte es von Anfang an gewusst. Aber war er keineswegs unvorbereitet hierher gekommen. Ohne hinzusehen fuhr er mit seiner Linken unter den Waffenrock und zum Vorschein kam eine kleine Phiole gefüllt mit azurblauer Flüssigkeit. Der Pfropfen war aus purem Gold und stellte nichts geringeres dar, als das Antlitz der heiligen Herrin vom See. Vorsichtig löste er den Verschluss, kniete sich ab, stellte das Fläschchen auf die Steinstufe, zog einen silbernen Dolch hervor und benetzte ihn mit der kostbaren Flüssigkeit. Inbrünstig hauchten seine Lippen:
    „Heilige Herrin vom See, gebenedeit sei die Frucht deines Geistes, das Land deiner Knechte, entsprossen deinen Schenkeln. Verflucht sei das Böse auf der Welt. Heilige Herrin vom See, gib mir Kraft, mich vor Sünde zu bewahren. Heilige Herrin vom See, gib mir Geist, Einsicht zu erlangen. Heilige Herrin, erfülle mich mit deinem Feuer, auf das ich deine Feinde vernichte in deinem gerechten Zorn. Heilige Herrin, Lob und Preis sei dir in Ewigkeit, Amen.“
    Ein wohliger Schauer ergriff ihn, hob ihn empor – die Lohe verbrannte den Anflug von Angst, der ihn überkommen war und eine eherne Macht leitete seine Schritte. Unaufhaltsam drang er voran, Psalmen und Gebete murmelnd. Endlich war er oben angelangt. Heftig stieß er die Eichentür, sodass sie halb aus den Angeln flog und schmetternd an dem behauenen Felsgestein zerbarst. Seine Brust hob und senkte sich unter flatterndem Puls seines Herzens. Bleiche Blässe über knöchernen Schädeln, ledern und durchsichtig. Mottenzerfressene Roben hingen an ihren Körpern. Sie bleckten die Zähne bei seinem Anblick und sprangen auf den flachen Tisch. Ihr Fauchen ließ ihn unbeeindruckt. Blitzschnell drang er vor. Stach nach kaltem Fleisch. Es knackten ihre Rippen. Lustig fraßen sich seine Klingen durch ihre Rümpfe. Er hackte nach ihren Köpfen und als der letzte fiel, nahm er den Dolch und trieb ihn dem Vampir durch das erloschene Auge, bis es in der Tischplatte feststeckte.
    „Renard. Renard. Wo steckst du bloß schon wieder?“
    „Oh nein,“ stöhnte Renard. Schnell zog er das Brotmesser aus dem Kopf der kleinen Strohpuppe. Gerade wollte er sich davon machen, da erschien die mächtige Gestalt seiner Mutter im Türstock. Sie war groß wie ein Riese und breit wie ein Mastochse. Kein Bauernlümmel des Dorfes hätte auch nur die kleinste Flegelei gewagt, wenn sie in der Nähe ihre Hausarbeit verrichtete. Renards Vater hatte es nie leicht gehabt mit dieser resoluten Frau und so war er vor wenigen Monaten in die Arme der ewigen Herrin geflüchtet. Am Dachbalken ihres ritterlichen Wohnturmes hatte er sich erhängt.
    „Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du die Puppen deiner Schwester nicht für deinen Schabernack verwenden sollst? Hundertmal im Mindesten. Du bist ein elender Bengel der es nur immer auf Hiebe anlegt. Wärst du nicht meinem Schoß entsprungen, ich hielte dich für einen dummen Bauerntölpel.“
    Erst als sie sah, wie Renard die Tränen über die Wangen kollerten, schwand ihr Zorn und wie die Sonne nach einem heftigen Gewitter durch die Wolken bricht, so tat sich ihr Herz auf. Sie legte ihm ihre fleischige Pranke auf die Schulter. „Na komm, Ritter Hosenmatz, jetzt wird erstmal gegessen.“
    Dann lachte sie mit weit aufgerissenem Mund, so ohrenbetäubend laut, dass es schmerzte und ihr leicht hervortretender Adamsapfel hüpfte wie ein Kautschukball.

    • Offizieller Beitrag

    ... und ihr leicht hervortretender Adamsapfel hüpfte wie ein Kautschukball.


    Die kleine Story ist echt super und läßt sich Lesen wie aus einem Buch, aber entweder ist die Mutter 'ne Transe oder du hast vergessen, dass Frauen keinen Adamsapfel haben... :]

    Krieg ist scheiße, aber der Sound ist geil!
    - 4.000 P. Dawi

  • looool


    was für ein ein Charaktermodell


    "Ritter Hosenmatz"
    Waffe: Brotmesser mit aufgespiester Strohpuppe
    Sonderregel: unendliche Phantasy; mütterliche Leibwache


    mütterliche Leibwache:
    Waffe: fleischige Pranke
    Sonderregeln: mütterlicher Zorn, Absolute Fürsorge, ohrenbetäubendes Gelächter.

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    Für die Kanonen von Karak Barag!


    In jedem Maschinist steckt ein kleiner Grimmrog.


    Die OK hat KEINE Autotreffer.


    Wer im Spiel die Beherrschung verliert, den beherrscht das Spiel.

  • Zitat

    Die kleine Story ist echt super und läßt sich Lesen wie aus einem Buch, aber entweder ist die Mutter 'ne Transe oder du hast vergessen, dass Frauen keinen Adamsapfel haben...


    Ja du hast recht. Zwar haben Frauen auch einen Schildknorpel (Adamsapfel), aber er ist in aller Regel nicht so ausgeprägt, als dass er hüpfen könnte. In meinen Aufzeichnungen ist deshalb mittlerweile auch vom 'üppigen, hüpfenden Busen' die Rede. Ansonsten erstmal vielen Dank für die raschen Antworten. Als kleines Schmankerl einen neuen - wenn auch sehr knappen - Teil. Die Tage kann es vorkommen, dass ihr vergeblich auf Fortsetzungen wartet, da ich für ein paar Tage vom Internet abgeschnitten bin. Ich bitte um euer Verständnis ;)


    Kapitel 2


    Karg und öde flieht das Land und seit Menschengedenken hüllen Nebel die Täler.
    Wie Sandbänke erhebt sich Hügel um Hügel aus dem wogenden Meer. Zarte grüne Rücken
    buckeln empor. Über steilen Klippen thront der Mensch, die Naturgewalt hält er im Griff. Das Lied
    des Windes stets im Ohr, hält er seine Wacht unter den Schwingen der Raben.
    Es ist die Faust des glühenden Zorns, die Klinge der Gerechtigkeit,
    das scharfe Auge des Lebens, der Schoß der Tugend, ein Hort wider Unzucht und Laster.
    Es ist die Zunge, es ist die Lippe. Sein Geist, er ist das Wort.
    Es ist der Spürsinn, es ist der Geruchssinn, es ist die Hand und auch der Fuß.
    Es ist Bergerac, der Herrin Haupt, der Dom im Fels und seine tapfern Ritter.



    – Psalm VIX, Vers 13-22, Buch der Lieder


    Und er sprach:
    Weichen müsst ihr, denn es ist nicht recht, dass ihr auf Erden wandelt.
    Weichen müsst ihr, denn es ist nicht recht, dass ihr den Ackerboden besudelt.
    Weichen müsst ihr, denn es ist nicht recht, was eure Klauen schaffen.
    Weichen müsst ihr, denn es ist nicht recht, was ihr auch treibt.


    Brennen müsst ihr, denn es ist recht so.
    Pfählen muss man euch, denn es ist recht so.
    Mit heiligem Wasser muss man euch ätzen, denn es ist recht so.
    Bei Bewusstsein muss man euch die Zähne brechen, denn es ist recht so.


    Sterben müsst ihr, wenn ihr auch nicht lebt, denn das ist heiliges Gesetz.
    Schande über jeden der euch nicht inbrünstig hasst,
    denn wer euch nicht hasst, dem lastet euer Joch schon auf den Schultern.


    Hinterlist ist eure Tugend, Tücke gereicht euch zum Ruhm.
    Eure Macht ruht auf Kadavern, die Kraft sucht ihr im Blut.


    Wahrlich, wahrlich ich sage euch.
    Tod erntet wer Tod säht. Zum Sähmann kommt nun der Henker.
    Fürchtet die Klinge der heiligen Herrin vom See, denn aus ihr sprießt das Leben das sie hingibt in Fülle.


    – Prophezeihung des Hl. Filibert de Lambroche am Tage seines Hinscheidens,
    Kapitel III, Vers 59 – 75, Buch der Weisheit

  • ganz erlich du schreibst so verdammt gute geschichten, macht richtig spass in allen hier im forum herumzustöbern.
    solltest mal ein buch veröffentlichen, falls du das nicht schon gemacht hast.
    deine arbeit ist sehr inspirirend und stiftet mich immer wieder an, hier was reinzustellen...
    hut ab^^

    5000 punkte chaos
    1500 punkte oger
    1500 punkte skaven

  • So, ein kleines Lebenszeichen. Bin leider immer noch weitgehend vom Internet abgschnitten, aber zum Glück komm ich jetzt von öffentlicher Seite ins Netz. Die Tage gibts dann auch nen neuen Teil, es sind auch schon insgesamt 10!! Kapitel fertiggestellt, die dann von Zeit zu Zeit - so dass ihr genug Zeit zu lesen habt - gepostet.


    Gleich schon mal vielen Dank für euer Lob, das gibt gleich nochmal einen Motivationsschub.

    Zitat

    deine arbeit ist sehr inspirirend und stiftet mich immer wieder an, hier was reinzustellen..


    Genau so soll es doch sein :D

  • Kapitel 3


    Nichts vermochte es auch nur im Ansatz, das untrügliche Gerechtigkeitsempfinden Renards zu erschüttern. Hiebe waren nutzlos, Belehrungen verhallten in schwarzen Sackgassen seines überaus wählerischen Gehörgangs und des Mitleids bediente er sich nur selten. Jedoch – Renard war kein Egoist, kein Moralist, er war eben nur von einmal bezogenen Haltungen keinen Huf breit abzubringen. Hatte er einmal eine Sache für rechtens erachtet, war dies unter keinen Umständen zu ändern. Nicht selten ist von ihm berichtet worden, dass er einmal getroffene Aussagen selbst dann nur nach endlosen Debatten zurücknahm, als das Gegenteil ohne Zweifel bewiesen war. Diese Dickköpfigkeit zeigte sich vor allem in seinem Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester, Mathilde. Er war der festen Überzeugung, dass es sein angeborenes Privileg sei, Mathilde mit seinen Streichen oft bis zur Weißglut zu treiben. Selbstverständlich endete dieses Recht für ihn mit den Grenzen seines eigenen kolossalen Körpers.
    Mit der kräftigen Statur, er hatte sie unzweifelhaft von seiner Mutter geerbt, wusste er Frechheiten gegenüber seiner Schwester gebührend zu quittieren. Einmal jagte er dem Schmiedegesellen, welcher sich über Mathildes allezeit kränkliche Erscheinung mokiert hatte, so lange mit einem heißen Eisen nach, bis dieser keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich für Wochen im ritterlichen Forst zu verstecken. Oft dauerte es Tage bis sich sein Zorn über solcherlei Anmaßungen gelegt hatte.
    In selbem Maße, wie Renard der Mutter nachgeraten war, hatte Mathilde die Gebrechlichkeit und das sensible Wesen ihres Vaters geerbt. Seit ihrer Geburt war sie von zierlicher Gestalt. Ihre Glieder waren mager und schienen für ihren schmalen Rumpf viel zu lang. Oft fesselte sie ihre schwache Konstitution ans Lager, was Renard, mochte er ihr zuweilen auch übel zusetzen, stets zu zärtlicher Fürsorge veranlasste. Stundenlang saß er dann bei ihr, setzte Tee auf, wischte mit einem Tuch über ihre erhitzte, schweißnasse Stirn, wandelte mit ihr im Lustgarten seiner blühenden Phantasie. So verschieden Mathilde und Renard auch waren, eine gemeinsame Leidenschaft wog alles auf.
    Es war ihr Bedürfnis nach stillen, endlosen Spaziergängen im nahen Wald. Meist schwiegen sie sobald sie das Dorf verlassen und redeten erst wieder, als sie selbiges wieder betreten hatten. Auf ihren Wanderungen ließen sie ihren Gedanken freien lauf, ergründeten beflissen die Untiefen des eigenen Wesens. Nie tauschten sie ihre Gedanken aus. Es war schlechterdings nicht nötig, denn sie verstanden einander ohne Worte. Innige Verbundenheit wand sich in solchen Momenten um ihre Seelen, enthob sie aller körperlichen Verhaftungen und der flüssige Äther ihrer Wesen geronn zu einem Wesen zweisamer Einsamkeit.
    Nun war es eines Tages so weit, dass Renard der tief verwurzelten Tradition Bretonias folgte und sich, ausgestattet mit Schwert, Rüstung, einem einfachen blau – gelb karierten Schild und einem alten, zotteligen Hengst aufmachte, sich als Ritter würdig zu erweisen. Tränen wurden vergossen, Worte des Abschieds getauscht und schließlich brach Renard auf. Um seinen Hals baumelte an zwirnenem Faden eine hölzerne Ikone, dessen bauchige Gestalt durch einen Druckknopf zu öffnen war. In ihr verbarg sich eine blonde Locke seiner Schwester.
    Auch wenn allen in dem kleinen Dorf die Abwesenheit Renards anfangs etwas seltsam vorkommen mochte, hatte er durch seine auffallende Erscheinung doch selbst für seine jungen Jahre eine recht zentrale Rolle im alltäglichen Leben vieler eingenommen, legte sich dieses unbestimmte Gefühl in ihren Herzen bald unter den glättenden Wogen des Alltags. Man rechnete überdies fest mit seiner baldigen Wiederkehr und schien froh über die Aussicht zu sein, bald wieder über einen anständigen Schutzherren zu verfügen. Nur Mathilde verkümmerte zunehmend in ihrer Einsamkeit. Manch einer bemühte sich um sie, doch sie verschloss ihr Innerstes und lebte immer zurückgezogener.


    Weitere Teile folgen demnächst ... :P

  • Kapitel 4


    Renard sagte die neue Freiheit ungemein zu. Er zog von einem Dorf zum nächsten, wobei er oft in herabgekommenen Tavernen oder abgelegenen Bauernhöfen kampierte. Die Leute wusste er mit seinem leutseligen Wesen schnell auf seine Seite zu bringen und es kam nur selten vor, dass er für seine Logis einen kleinen Dienst zu verrichten hatte. So war es bis in den dritten Monat hinein seine schwierigste Aufgabe gewesen, ein Rudel Wildschweine, welches die Äcker eines Weilers verwüstet hatte, zu vertreiben. Als nun der Herzog von Parravon seine Ritter zu den Waffen rief, um die mühseligen Grenzstreitigkeiten mit einem Adeligen des Imperiums von niederem Stande voran zu treiben, witterte Renard seine Chance und schloss sich dem Gefolge des Herzogs an.
    Nun brach für Renard eine einzigartige Zeit des Müßiggangs an. An der Grenze angekommen befahl der Abgesandte des Herzogs, Graf Willibald de Montaigne, die Bewegungen des Feindheeres sorgfältig auszukundschaften und unterdessen Stellung zwischen den steilen Hängen im Axtschartenpass zu beziehen. Im Tross befanden sich nicht nur edle Ritter sondern allerhand Bauern -, Wirts – und Künstlervolk. Gaukler und Feuerspeier unterhielten das reitende Volk. Dirnen und Mägde willfuhren ihnen zu hauf.
    Renard erfreute sich an den vielen bunten Eindrücken. Tags vertrieb er sich die Zeit mit ritterlichen Zweikämpfen, die ihm schnell den Ruf eines besonders geschickten, unüberwindbaren Gegners eintrugen, was seiner eigentlichen Leidenschaft in ungeahntem Maße zugute kam. Das beeindruckte Weibsvolk drückte sich in Scharen um seine mächtige Brust und er liebte sie, liebte sie alle. Die drallen Bauernmägde liebte er ihrer üppigen Brüste, die schlanken Stadtdirnen ihrer schmalen Taillen willen, welche er mit seinen riesigen Pranken presste, während er in sie eindrang. Seine Wollust entfachte in ihm immer wieder aufs neue mächtige Flammen der Begierde, Renards Lust steigerte sich von Mal zu Mal. Nur wenigen konnte dieses animalische Treiben verborgen bleiben, doch war man gewillt seine Ausschweifungen hinzunehmen, da man seine unglaubliche Kraft durchaus zu schätzen wusste. Man behandelte ihn weit ehrerbietiger als sein geringer Stand es verlangt hätte und Renard gefiel sich sichtlich immer besser in seiner Rolle. Er gebärdete sich als Herr über seine Brüder, indem er ihnen Befehle gab, dies und jenes für ihn zu besorgen. Stets hatten ihn nun zwei seiner liebsten Dirnen zu begleiten, falls ihn die Wollust heimzusuchen drohte. Bei den ritterlichen Zweikämpfen begann er seine unterlegenen Gegner zu verhöhnen sobald sie am Boden lagen, zu bespucken, einem urinierte er gar ins offene Visier. Der Hochmut kommt ungefragt, kommt unbemerkt und klopft nicht an. Jede ritterlicher Tugend war in nebliger Vergangenheit versunken. Als die Ausschweifungen des jungen Renards zum Ärgernis des Grafen Montaigne auch auf weitere liederliche Genossen übergriffen schien ein Maß erreicht, welches jenseits jeden duldbaren Zustands schien.
    Eines Tages hatte sich Renard, wie er es nun immer zu tun pflegte, sein Gemüt mit gezuckertem Wein angeregt. Da packte ihn die Wollust im Schritt. Schon länger hatte er ein Auge auf Grete, die Frau des dicken Schankwirtes geworfen. Besonders gefiel ihm, wenn sie ihre flüssigen Genüsse auf den rauen Fichtentischen abstellte, sich vorbeugte und einen wahrlich tiefen Blick, der oftmals bis hinab zum Nabel reichte, in ihre aufgeknöpfte Jutebluse gewährte. Grete wischte gerade ein paar feuchte Krüge hinter ihrem Tresen aus, als Renard sich ihr von hinten näherte. Mit beiden Händen presste er ihren warmen Körper gegen den Tresen und vor den Augen aller machte er sich an ihrem Rock zu schaffen. Sie wehrte sich nicht, denn ihr Charakter war von niederer Beschaffenheit. Glückselig schloss Renard seine Augen, als er in sie eindrang. Das hysterische Geschrei des Wirtes, welchen Renards Kumpanen zurückhielten und die johlende Menge befeuerten seinen Übermut. Sich im Hochgefühl der eigenen Macht suhlend, jauchzte er, als ihn ein harter Gegenstand im Gesicht traf. Zornesfalten überzogen seine Stirn, als er die Augen öffnete und ein Wutschrei brach aus seiner breiten Brust.
    Vor ihm stand ein älterer, schmächtiger Ritter, das graue wellige Haar sauber gekämmt, die fein geschnittene Wangenpartie sauber ausrasiert. Nur an seine Unterlippe heftete sich ein schelmischer Spitzbart, der sich in seinem gestrengen Gesicht seltsam gut einbettete. Doch was Renard tatsächlich ergriff, waren seine wasserblauen Augen aus denen die reine Verachtung hervorstach.
    Indem er seinen gepanzerten Handschuh wieder aufnahm, presste er über seine schmalen Lippen:
    „Hiermit fordere ich dich, dich und dein ganzes erbärmliches Pack. Am Grenzstein, morgen nach Sonnenaufgang. So ihr noch einen Funken Ehre im Leib tragt, erscheint pünktlich.“
    Dann wandte er sich um und ging. Es war still. Niemand wagte den Mund aufzutun.
    Renard verharrte und blieb starr, bis Grete sich von ihm zu lösen suchte. Er entließ sie. Die Lust war ihm geschwunden. Auch seinen Gefährten war der Ernst der Stunde keineswegs entgangen. Schweigsam verbrachten sie die Nacht und erstmals seit seinem Fortgang erinnerte sich Renard der kleinen Ikone seiner Schwester und als er sie öffnete schämte er sich aus ganzem Herzen. Er fiel auf die Knie und weinte bitterlich, denn er erkannte nun sein Unrecht. Die ganze Nacht hindurch verbrachte er betend. Erst als die ersten Sonnenstrahlen über die Kuppen der Berge brachen erhob er sich, um sich von Frederic, seinem Pagen rüsten zu lassen. Zu viert schritten sie dann hinaus vor das Lager, wo sich bereits eine beträchtliche Menge Schaulustiger angesammelt hatte. Es war ein stummes Spektakel. Der Tod schwebte über der Richtstätte und wie ein gemeiner Tagedieb stahl er die Freude aus ihren Herzen. Als Renard und seine vier Gefährten ankamen, befahl ihnen ein Page außerhalb des provisorisch errichteten Kampfringes Aufstellung zu nehmen. Dann schwang sich ein brokatberockter Höfling auf ein niederes Podest, zog eine Rolle hervor und begann umgehend vorzulesen.


    „Sehr geehrte Damen, verehrte Herren. Blut wird heute Vergossen, doch nicht umsonst wird der rote Saft fließen. Nein. Denn um nichts geringeres als um das Recht und die Ehre bretonischer Edelmänner wird heute gefochten. Zu ihrer Linken sehen sie Sir Gawain de Lumière, Ritter des Grals von der ewigen Herrin Gnaden. Zu ihrer Rechten Franc Filou, Armand de Breche, Gideon de Limou sowie Renard Beauchamp. Ich verlese nun den Anlass des Ehrenhändels:
    Sir Gawain de Lumière, ehrenwerter Ritter des Grals von Ihro ewiger Gnaden, erhebt folgende schwere Vorwürfe wieder die vorher genannten Personen: Mannigfache Verletzung des ritterlichen Codex. Zuwiderhandlung gegen das göttliche Gebot unserer Herrin. Verführung ihrer ritterlichen Brüder zur Schandtat. Auch haben sie Schande von unerträglichem Ausmaße auf ihrem Haupt versammelt. Da wäre zu nennen: Trunksucht, Unzucht, Hochmut, schließlich Hartherzigkeit wider ihre Brüder und Freunde. Als rechter Arm der Herrin, fordert der ehrenwerte Ritter Sir Gawain de Lumière die genannten Herren zur Rechenschaft und zum Kampf auf Leben und Tod.“


    Der Ausrufer räusperte sich, zog eine seiner geschwungenen Brauen empor, dann fuhr er fort:


    „Den Kämpfern wird freigestellt, von welchen Waffen sie Gebrauch zu machen gedenken. Sie können kämpfen mit stumpfer Waffe, Axt, Schwert und Dolch. Die Kämpfer tragen Rüstung, Helm sowie Schild. Es kämpfen jeweils zwei Kontrahenten in direktem Duell, nicht mehr, nicht weniger. Dem Fordernden obliegt es, die Reihenfolge seiner Kontrahenten festzulegen. Vergehen gegen diese Bestimmungen sind mit dem ehrlosen Tode zu bestrafen. Hierfür bürgt seine Herrschaft Graf Willibald de Montaigne persönlich. Sollte ein Kontrahent nicht zum Zweikampf antreten, soll er mit Schimpf und Schande davongejagt werden und von jeder Zinne des Landes rufe man seine Schande ins Land, auf dass er sich ihr auf ewig nimmer wird entziehen können.“


    Langsam ließ der Ausrufer seinen Blick über die Menge schweifen, als wolle er die Wirkung seiner Worte an den vielen Gesichtern ablesen. Flink rollte er das Papier zusammen und schrie:


    „Es treten in den Ring; Der ehrenwerte Ritter des Grals Sir Gawain de Lumière und sein Kontrahent Gideon de Limou.“


    So, für diese Woche soll es das gewesen sein. Mal sehen, vielleicht Mittwoch, vielleicht Dienstag - auf jeden Fall dürft ihr euch schon mal auf weitere spannende Teile freuen.

  • Sind bis jetzt 11 Kapitel, bin also nicht wesentlich weitergekommen. Liegt zum einen daran, dass das Studium jetzt richtig los geht, zum anderen bin ich gerade bei GW-Fanworld am Bewerten der Teilnehmergeschichten des Geschichtenwettbewerbs. Aber durch den Vorsprung an Geschriebenem werden euch noch ein paar Wochen Lesevergnügen bevorstehen, bevor die Textstücke dann weniger häufig hochgeladen werden, ihr euch also dann immer etwas gedulden müsst ^^


    Kapitel 5


    „Den pack' ich mir, den Alten.“
    Gideon war ein stämmiger, mittelgroßer Kerl und ein Scharlatan wie er im Buche stand. Seine große Kunst war das Falschspiel, in der er es zu einer beachtlichen Meisterschaft gebracht hatte. Zu diesem Zweck kleidete er sich stets in weite Leinengewänder, oft von minderer Qualität, denn er war von Geburt aus armem Hause. Im Schaukampf und dem Duell war er vielen überlegen und nur Renard warf ihn regelmäßig zu Boden, wie er es mit allen seinen Kontrahenten tat. Auch war er noch in weitere Geldgeschäfte verwickelt, die Ausdruck seiner grenzenlosen Gier nach Reichtum waren, den er in seiner Jugend hatte missen müssen. Doch ging es ihm nicht um zur Schau Stellung seiner Habe, als vielmehr um die Befriedigung innerer Bedürfnisse, einem sich Laben am Haben. Wie ein Kobold hortete er sein Gold und hätte am liebsten kein Auge zugetan, so liebte er seine Schätze, die er in seinen Augen redlich erworben hatte. Dieser Gideon sprang nun also über die Schranke.
    Sir Gawain de Lumière, welcher seinerseits den Ring betrat, tat dies bereits in voller Montur. An seiner Hüfte hing zur Rechten ein einhändiges Schwert, zur Linken zwei lange Dolche. Auf seinem Schild prangte auf rot weiß gevierteltem Grund der schwarze Pegasus am Rad. Sein Harrnisch war mit filigranen, goldenen Ornamenten überzogen, die in warmem Kontrast zur blassblauen Kälte der Platte standen. Hoheitlich stieg der schwarze Pegasus zur zier eines Helms von imperialer Fabrikation. Es war paradox anzusehen, doch gegen den wohlhabenden, erfahrenen Paladin der Herrin, wirkten die Geforderten wie Bauern in klobigen Orkrüstungen. Bestaunte man einerseits die Krone menschlicher Schmiedekunst, Tugend, des Geistes und Körpers, so offenbarte sich einem am anderen Ende angerostetes, grob behauenes Eisen, Unzucht – überhaupt Wesen, die an niederem Geist, ja gar an Grobschlächtigkeit kaum zu übertreffen waren. Leichtsinnig waren sie mit ihrer jugendlichen Frische verfahren. Sie waren wie Blüten an einem Baum, die zu viel Wasser gesogen hatten und nun zu schimmeln und welken begannen.
    „Ritter, zieht nun eure Waffen.“
    Beide wählten sie das Schwert.
    „Möge der Gerechte obsiegen.“
    Mit ungeahnter Schnelligkeit sprang Sir Gawain auf sein verdutztes Ziel zu und es hagelte Hiebe, denen Gideon nur schwerlich gewachsen schien. Geschickt führte Sir Gawain seine Klinge, reich an Finten war sein Stil, voll harter und direkter Schläge gefolgt von listigen Stichattacken. Doch auch wenn Gideon auf dem Gebiet des Fechtens weit unterlegen war, so warf er seine ganze jugendliche Energie, die derer einer ausgehungerten Hyäne glich, in die Waagschale. Immer wieder wuchtete er seinen kompakten Körper mit einem Ausfallschritt und einem von oben herab geführten Schlag seines Schwertes nach vorne. Doch all zu absehbar war sein Verhalten. Gerade als er sich wieder mit aller Macht nach vorne stürzte, nutzte Sir Gawain die Angriffsbewegung seines Kontrahenten, stemmte sich seinerseits unter Gideons Torso, trat mit aller Macht gegen sein Standbein ergriff und warf ihn über seine Schulter zu Boden. Noch während jener zu Boden flog, zog er einen seiner Dolche. Dann packte er Gideon am Arm, drehte ihn auf den Rücken und stieß ihm den Dolch erbarmungslos unter den Helm in die Kehle. Kurz hörte man noch einen gurgelnden Laut, ein aufflackerndes Zucken der Arme in Richtung Hals, dann erschlaffte Gideons Körper. Sir Gawain murmelte ein kurzes Gebet, dann stand er auf, zog sich in seine Ecke zurück und betrachtete stumm die Knappen Gideons, wie sie seinen leblosen geharrnischten Körper davontrugen.
    Franc und Armand ereilte das gleiche Schicksal. In ihrer Unerfahrenheit waren sie chancenlos gegen einen derart abgebrühten Kämpen, wie sir Gawain einer war. Schließlich war es still geworden um Renard. Einsam stand er hinter der Schranke. Da erkannte er abermals die Schuld wie sie sich auf seinem Rücken türmte. Vorsichtig holte er die Ikone seiner Schwester hervor, entnahm die Locke und wand sie um sein Heft, dann richtete er den Blick gen Himmel.
    „Vergib mir Herrin, denn ich habe gesündigt. Vergib mir, denn ich war blind in meinem Hochmut. Vergib mir und ich werde dir mein Leben widmen, es dir zu Füßen ausbreiten. Züchtige mich, wenn du es für nötig hältst, aber verstoße mich nicht von deiner Brust. Gnädige Herrin, behüte mich um meiner Schwester willen, denn mein Tod bedeutete ihr dahinscheiden.“
    Danach schloss er sein Visier.

  • So soll es sein ...


    Kapitel 6


    Lange sah es so aus, als verginge Mathilde in Seelenschmerz über den Weggang ihres Bruders. Sie aß kaum und ließ niemanden an sich heran. Gerade als die Schwindsucht sie mit eiserner Faust zu schütteln und zu rütteln begann, erschien ein seltsamer Reiter am Dorfrand. In seinem Gefolge befanden sich zwei bucklige Knechte in zerschlissenen Kutten sowie eine ältere Dame von extravagantem Äußeren. Sie trug lange rubinrote Roben, dazu einen nachtblauen Reisemantel. Ihr schwarzes Haar trug sie kunstfertig zu Zöpfen geflochten unter einer samtenen Hörnerhaube. Von adliger Blässe war ihr makelloser Taint und ihre Züge wie in Marmor gemeißelt. Auf dem Rücken ihres prächtigen Schimmels turnte außerdem ein Schimpanse, der ihr je nach Lust und Laune zuweilen einen mit Spitze bestickten Seidenschirm über das Haupt hielt. Diese Dame gab sich den Dorfbewohnern als Baronesse D'Igny zu erkennen, welche sich mit ihrem Sohn, einem braun gelockten, mageren Jüngling, auf eine Wallfahrt begeben hatte. Es wäre natürlich äußerst indiskret und unangemessen gewesen, die näheren Umstände jener Dame, welche unzweifelhaft den höheren Ständen angehörte, oder Ziel, gar tieferen Zweck ihrer Reise in Erfahrung zu bringen. So beschränkte man sich auf die Bewirtung jener Durchreisenden, welche diese dankbar in Anspruch zu nehmen schien.
    Der an sich sehr schweigsame Sohn hielt sich sehr im Hintergrund, als die Baronesse D'Igny sich in phrasenhaftem Geplauder mit der Hausherrin, Renards Mutter, erging. Erst als das bereits ins stocken geratene Gespräch auf Mathilde kam, straffte sich sein eingefallener Rumpf. Sehr interessiert richtete er mehrere Fragen nach Mathildes Befinden an ihre Mutter, um schließlich in drängendem Ton zu erflehen, der Kranken vorgeführt zu werden. Renards Mutter, der die Angelegenheit etwas peinlich und wenig recht war, ließ sich schlussendlich erweichen. Sie führte Bertrec in die Stube Mathildes.
    Sobald Bertrec die ausgemergelte Gestalt, des einst so lieblichen Geschöpfs in den Bergen aus Daunendecken erblickte, da schluchzte er laut auf und begann wie wild ihre knöcherne Hand zu drücken, sie zu küssen. Gerade als Renards Mutter ihre Entscheidung ernsthaft zu bereuen begann, öffneten sich die Augen Mathildes. Zuerst schien sie verwirrt, doch dann spannten sich ihre Lippen und was aussah wie eine grausig starrende Schädelgrimasse, war das erste, sanftmütigste Lächeln seit Monaten auf ihrem Antlitz.
    Rührend kümmerte sich Bertrec fortan um Mathilde, wich weder Tag noch Nacht von ihrer Seite und zum Erstaunen aller besserte sich ihr Zustand zunehmend. Der Baronesse, welche aufgrund der Leidenschaften ihres Sohnes zu längerem Aufenthalt gezwungen ward, konnte dem Geturtel der jungen Leute wenig abgewinnen. Es bildete sich eine gewisse Unruhe in ihrem Wesen. Reizbar wie sie nun war setzte sie eines Tages in Gegenwart Mathildes Mutter dem Treiben ein Ultimatum.
    Sei ihr Sohn zu ehrlicher und aufrichtiger Liebe bereit, so eheliche er Mathilde an Ort und Stelle, andernfalls lasse er von seinen Spintisierereien ab, kühle seinen Kopf, um seiner Mutter nicht länger ständiger Stein des Anstoßes zu sein. Diese Last an den Fesseln ihrer Füße sei sie, die Baronesse D'Igny, nicht länger gewillt hinzunehmen. Werde man sich ihrer aus reiner Nachsicht unterbreiteten Vorschläge resistent zeigen, seien ihr sämtliche Wege als der der rohen Gewalt verschlossen und es bliebe ihr schlechterdings kein anderer Ausweg ihre berechtigten Interessen durchzusetzen. Daraufhin verließ sie den Raum, schmetterte die Tür ins Schloss, jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen, am nächsten Morgen über die Entscheidung ihres Sohnes, selbstverständlich ohne gesonderte Aufforderung, unterrichtet werden zu wünschen.
    In Anbetracht ihrer Heilung sowie die eventuell drohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach Fortgang ihres wundersamen Heilers in ihrer Entscheidung einbeziehend, entschloss sich Mathildes Mutter schweren Herzens einer Heirat nachzugeben. Gleichen Tags erklangen die hellen Glocken der kleinen Dorfkapelle. Unter den Klängen zweier Hausmusikanten zog das Brautpaar in behelfsmäßigem Gewand vor den Altar. Während Mathildes Mutter Träne um Träne in ihr seidenes Taschentuch drückte, zog die Baronesse es vor, der Veranstaltung fern zu bleiben. Noch am selben Abend packte Mathilde ihre Habe, schnürte sie zu einem Bündel zusammen und bereits am nächsten Morgen glitt sie unter heftigen Tränen aus den Armen ihrer Mutter in diejenigen Bertrecs. Noch einmal drehte sie ihr Köpfchen, als sie fortritt, dann verschluckte sie der dunkle Forst.

  • Kapitel 7


    „Es treten in den Ring; Der ehrenwerte Ritter des Grals Sir Gawain de Lumière und sein Kontrahent Renard Beauchamp.“


    Renard wand sich über die Absperrung, stemmte die Beine im Ausfallschritt fest auf den Boden und barg seine Flanke hinter dem hölzernen Schild. In der Rechten hielt er sein Schwert bereit, sich seines Gegenübers zu erwehren. Zugegeben, mit der gealterten Gestalt vom Vortag hatte dieser schlagfertige Streiter wenig zu tun. Sir Gawain stand aufrecht im Glanz seines prächtigen Kürasses, den aufwändig bestickten Waffenrock glatt streichend, welcher unter den zurückliegenden Auseinandersetzungen jedoch kaum gelitten zu haben schien. Seine Erscheinung war von einem seltsamen inneren Glimmen durchwirkt und es war, als würden alle Sonnenstrahlen um ihn herum wie magisch an seine Gestalt angesogen. Sir Gawains Schild war um den Rand über und über mit Segenssprüchen behangen, auf seinen Schulterpanzern ruhten Heiligenfiguren im Wachs ewig brennender Kerzenbündel. Sein Antlitz war nicht länger zu ertragen. Es blendete Renard so sehr, dass er seinen Blick zu Boden zwang, um nicht in jenem entscheidenden Moment vor dem Kampf das Augenlicht einzubüßen.
    Jetzt erklang das Zeichen. Wie zwei von der Tollwut befallene Löwen sprangen sie sich an. Renard hieb mit kräftigen Schlägen auf seinen Gegenüber ein, während jener sich mit Finten an der Abwehr Renards zu schaffen machte. Tritte gegen die Beine des Kontrahenten blieben ebenso wirkungslos wie ein plötzlich ausgeführter Schlag mit dem Schild, um die feindliche Deckung zu durchbrechen. Kreuz und quer, von oben nach unten und andersherum surrten die Klingen durch die Luft. Wie eine knisternde Masse ballte sich die allgemeine Anspannung zu Häupten aller Anwesenden, darauf wartend, sich in einer kolossalen Entladung bahn zu brechen. Sie wussten, dass diesen Platz nur einer aufrecht verlassen konnte. Keiner wollte weichen. Sie fochten schon fast eine halbe Ewigkeit, ohne dass einer der beiden Kämpfer auch nur einen geringen Vorteil zu verbuchen hatte. Schon wollten einige der Schaulustigen Ermüdung in den ausladend werdenden Hieb-, Stich- und Schlagbewegungen erkennen, da wurden sie von neuem heftig und stießen mit noch größerer Wucht gegeneinander vor.
    Mehrmals hatten sie die Klingen gekreuzt, sich an den Armen versucht zu packen, um den jeweils anderen in den Staub zu werfen. Doch was Renard mit schierer Kraft zu verhindern wusste, meisterte der ehrenwerte Ritter des Grals mit seiner Erfahrung. Als sie sich nun also derart unermüdlich an die Kehle sprangen, da sandte die Herrin ihre Stimme herab. Flutete die Zornesstätte mit gleissendem Licht und Hörnerschall.
    Ein mächtiger Stoß riss Renard von den Beinen und stieß ihn hart zu Boden. Einige Rippen hatten besorgniserregend geknackt, sein Kopf dröhnte. Er wollte aufstehen, doch wurde er unerbittlich zu Boden gedrückt. Jetzt erblickte Renard über sich die Gestalt Sir Gawains ruhen. Sein Visier stand offen und aus einer Mithrilkettenhaube blitzte das strenge Antlitz des heiligen Ritters. Sein Schwert hatte er zurück in die Scheide gesteckt. Scheinbar mühelos kniete er ab, zog einen seiner langen Dolche, packte Renard an der Helmzier und setzte die Klinge zwischen Helm und Kragen an, bereit ihn todzustoßen.
    Doch da geschah das Unerwartete. Sir Gawain durchtrennte den Helmriemen, striff Renards Helm ab und sprach:
    „So lautet das Urteil der Herrin. Frevel strafe ich und gezüchtigt wird auf ewig wer unrecht tut. Deshalb ist der Tod die Strafe für euer Vergehen.“
    Sir Gawain deutete in die Richtung, wo man die Gefallenen aufgebahrt hatte. Dann wandte er sich erneut Renard zu:
    „Doch wer umkehrt in echter Reue, dem soll verziehen sein. Jedoch: Nicht soll er mehr in meiner Söhne Reihen dienen, bis ich ihn erneut rufe. Bis dahin übe er sich in Geduld und Demut, einsam und fromm bis an den Tag, da ich ihn auserwählen werde. Auch: Sein Name sei nicht länger Renard, denn voll Hochmut war sein Treiben. Von nun an nenne er sich Hugo le petit, auf dass er sich an seine Nichtigkeit auf immer erinnere. Spruch der Herrin.“
    Da neigten alle die Köpfe in Ehrfurcht und murmelten im Chor:
    „Dank sei der Herrin in Ewigkeit.“


    Noch am selben Tag legte Renard sein Rüstzeug ab, verschenkte seine Kleider bis auf sein karges Leinengewand. Er behielt auch sonst nichts am Leib, als ein Viertel Brot, einen Strick mit dem er seine Hüften umgürtete und die kleine Ikone seiner Schwester. Dann schlich er gesenkten Hauptes davon.


    So, das wars dann für diese Woche. Eine kleine Sache noch: Vielen Dank für die regelmäßigen ~ 20 Klicks, das weiß ich sehr zu schätzen. Vielleicht macht sich mal jemand die Mühe mir ein Feetback zu geben, was er gut/schlecht findet, dann kann ich das auch in meine zukünftigen Posts miteinbeziehen. Vielen Dank und schönes Wochenende!

  • Wunderschön geschriebene Geschichte, muss ich ganz erlich sagen.
    Alles sehr gut ausformuliert, keine Lesehemenden Wiederholungen oder zu komplizierten Sätze, die mittelalterlichen Begriffe, sowie die mittelalterliche Sprachstellung
    Bloss bei einem Satz hatte ich Probleme:
    Sir Gawains Schild war um den Rand über und über mit Segenssprüchen behangen, auf seinen Schulterpanzern ruhten Heiligenfiguren im Wachs ewig brennender Kerzenbündel.
    Hier musste ich erst einige Zeit überlegen wie das mit den Figuren gemeint war, sind die im Wachs eingeschmolzen oder sehen die Kerzen nach Heiligen aus?
    Vielleicht hier etwas abwandeln, kann aber auch nur an meiner Unfähigkeit liegen, also nix dramatisches.
    Hoffe du schreibst noch EINIGES zu der Geschichte, find ich wirklich super.
    Dann warte ich mal gespannt auf den Vortgang von Hugo...

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  • Nein, das ist so zu verstehen, dass die Heiligenfiguren quasi die Kerzenhalter waren, dann aber einfach immer wieder neue Kerzen aufgesteckt wurden, weswegen die Kerzenständer nun ganz in geschmolzenem Wachs versunken sind. Vielleicht ist die Formulierung tatsächlich unglücklich. Wer sich übrigens für den Hintergrund etwas interessiert kann mal "Bogenschützen von Bergerac" oder "Bertrand le Brigant" bei Lexicanum suchen, oder idealerweise das AB Bretonia fünfte Edition zu Rate ziehen, da hätte man dann auch Bilder. Jetzt folgen dann erst einmal ein paar erzählende Abschnitte zur Darstellung des Hintergrunds, aber es kommen dann auch wieder spannendere Kapitel. Viel Spaß :P


    Kapitel 8


    Tag und Nacht wanderte Hugo, ohne sich Rast zu gönnen, denn er hatte Schuld auf sein Haupt geladen. Er war zum unwürdigen Gewürm geworden, hatte sich vergangen an den Geboten seiner Herrin, dem ritterlichen Kodex und allen landläufig gültigen Sitten. Tief saß der Schmerz in den Kammern seines Herzens. Saß da und meißelte ohne Erbarmen in die Wände aus Fleisch, streute Salz in jede Wunde und wenn er ihn stellte, ihn zur Rede aufforderte, dann beliebte es diesem Wicht, ohne sich auch nur im Geringsten darum zu bemühen seiner Schadenfreude Einhalt zu gebieten, Hugo eine jede Tat seiner verwerflichen Vergangenheit auf die goldene Waage zu legen. Wort für Wort schleuderte er ihm dann ins Angesicht und hielt nicht inne, ehe er Hugo nicht völlig auf die Knie gezwungen. Hatte Hugo dann keine Antwort mehr parat, wollte sich ihm keine Ausflucht mehr bieten, blieb ihm nichts, als die Marter hinzunehmen, sich seiner wohlverdienten Strafe zu stellen. Paroli zu bieten, hieße sich rechtfertigen. Sich rechtfertigen heißt, die Sünde kleinzureden, sie zu leugnen. Wie könnte er je wieder reinen Gewissens einem Menschen gerade in die Augen blicken, verfiele er abermals den Lockungen des Bösen.
    So striff er also umher, ohne auch nur im Geringsten einen Blick auf seine Umgegend zu werfen. Weder sah Hugo links, noch rechts des Weges. Nicht lauschte er dem zarten Rauschen des Windes wie er durch die Bäume fuhr. Nicht machte es den geringsten Eindruck auf ihn, wie die Vögel der Heide trällerten. Schließlich blieb er taub für die Anreden der Menschen, welche sich an ihn wandten. Tief im Innern trug er einen Kampf aus. Einen Kampf mit einem Gegner, wie man sich grässlicher ihn schwerlich vorstellen kann, denn nichts ist schwieriger und auch mit List kaum zu übertölpeln, als der eigene Schatten. Das sogenannte Ich, es machte ihm zu schaffen. Die Beschäftigung mit sich selbst raubte ihm jeden Sinn für das ihn umgebende und so wandelte er wie in Trance. Dass er nicht unversehens in einen Tümpel gelaufen, hatte er allein der Herrin zu danken, welche ihn an die Hand genommen hatte, denn nicht er strebte, sondern vielmehr hielt sie ihm die Hand, um ihn zu seinem Besten zu leiten.
    Zur rechten Zeit entließ sie ihn. Behutsam, ohne ihn zu schrecken, glitt ihre schirmende Hand aus der seinen und als er sich dessen ganz bewusst wurde, war sie schon längst geschwunden. Etwas verdutzt hob er den Kopf, da ihn ein unbeschreibliches Gefühl des Durstes und des Hungers überfiel. Erst jetzt bemerkte er die vielen Tiere des Waldes, die es sich auf einer Lichtung, zwischen Flecken von Riedgras und Wachholderstauden gemütlich gemacht hatten. Gutmütig blickten sie zu ihm auf. Rehe, Füchse und Fasanen, alle genossen sie die wohlige Sommersonne. Im Schatten einer Ulme entdeckte Hugo einen sprudelnden Quell, welcher den nahen Tümpel speiste. Ausgedörrt wie er war, formte er mit seinen gewaltigen Händen eine Schale und füllte sie bis zum Rand mit klarem Wasser. Mit einem kräftigen Zug hatte er alles in sich hineingesogen. Dies wiederholte sich bestimmt ein Dutzend mal, bis sein Durst fürs erste gestillt war.
    Hugo richtete sich nun auf. Er brauchte nicht weit zu gehen, bis ihm die Waldbeeren förmlich in den Mund zu wachsen schienen. Über und über waren die Sträuche mit Wildbeeren behangen, dass sich die Äste bogen. Auch hier bediente sich Hugo mit beiden Händen und vor lauter Eifer konnte es schon passieren, dass das ein oder andere grüne Blatt mit in seinem breiten Kauwerk verschwand. Stundenlang malten seine kräftigen Kiefer, bis er sich endlich satt gegessen hatte. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende, die Sonne tauchte den Horizont in rote Glut, als ein Wandersmann pfeifend des Weges kam.
    „Ei Herr Wandersmann, sagt er, was ist es, das euch so fröhlich stimmt?“
    Da hielt der Unbekannte inne. Lächelnd ging er auf Hugo zu, dann sprach er:
    „Aber was sollte es schon sein? Es ist das unbeschwerte Leben, es sind die Freuden des kleinen Mannes, es ist die Tugend der Natur, welche sich weder des Lugs noch des Trugs je zu bedienen braucht. S'ist weil ich lebe und gut noch dazu.“ Dabei klopfte er sich mit der fleischigen, flachen Hand auf seinen vor lachen wippenden Bierbauch.
    „Warum sollt' man auch trüb sein, wenn einen das Leben so verköstigt?“
    „Recht hast du Wandersmann, doch habe ich versäumt mich vorzustellen. Hugo, so nennt man mich. Manchen Fehler habe ich begangen, doch suche ich mich zu läutern. Büßen will ich und auf ewig der gerechten Herrin dienen.“
    Da schmunzelte der Dickbauch, strich sich mit zweien seiner Stummelfinger über das stoppelige Kinn und murmelte:
    „Ich weiß, ich weiß.“
    Dann wuchtete er ein großes Holzfass von der Schulter, dazu ein karriertes Bündel, welches er an einen Stock geknüpft hatte.
    „Ich weiß doch schon alles. Sie, die Herrin hat zu mir geredet. Du musst dich nicht erklären, Hugo le petit. Ich weiß alles.“
    „Was ist dann dein Name? Wenn du schon alles über mich zu wissen scheinst, so ist es nur gut und recht mir deinen Namen nicht auf ewig zu verschweigen.“
    „Gui le Gros, so kannst du mich nennen, doch nun lass uns trinken, denn es ist ein langer Weg, den wir zu gehen haben. Da kann es kein Schaden sein, sich vorab ordentlich zu stärken.“
    Gui nahm einen kleinen Steinkrug vom Gürtel, der unter seinen Speckschwaden zu verschwinden drohte und hielt ihn unter einen Zapfhahn aus Messing. Kurz darauf floss auch schon Château de Brionne in Strömen und versiegte nicht den ganzen Abend.

  • tja wieder schön geschrieben, aber am besten gefällt es mir, das du ja existierende modelle beschreibst.
    hat zwar noch etwas gebraucht bis ich darauf gekommen bin, doch als der fette kerl mit dem faß auf dem rücken aufgetaucht ist, kams langsam.

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  • Kapitel 9


    Hört der Hörner Schall. Hört das mannigfache Stampfen genagelter Stiefel. Hört den Widerhall des beschlagenen Hufs wie er den mächtigen Felsen erzittern lässt. Jauchzt sodann und freut euch alle, denn es ist ein Jubeltag. Hoch zu Ross seht ihr sie kommen. In mitten taumelnder Massen suchen sie sich ihren Weg. Gleich Galeonen bahnen sich ihre mächtigen Rümpfe durch tosenden Lärm. Man ruft ihnen zu, winkt, der Dame steigt vor Erregung die Röte in die Wangen, Kinder streuen Blumen aufs steinerne Pflaster, dem Jüngling glänzen die Augen feucht vor Sehnsucht, dem Greis schwillt vor Stolz die Brust, als er den kühnen Sohn auf wildem Hengst erblickt. Aus allen Fenstern recken sich nun die Köpfe und die Menge stimmt an das Heldenlied. Girlanden hat man über die Gassen gespannt, man wirft bunte Tücher, windet Locken, windet Rosen um der geliebten Waffen. Prächtig schmiegt sich der Zug an reiche Fassaden, quert Plätze sauber gepflastert und rein, schlängelt sich durch enge Gassen hinunter zum Tor. An den Kapellen stehen die Kirchdiener Spalier und man läutet die Glocken zu Ehren der tapferen Herren. Chorknaben singen: „Ehre der Herrin auf ewig und Kraft ihren mutigen Rittern.“ Die Mädchen hüpfen dazu im Reigen.
    Doch trotz all des Trubels ist der Ritter Antlitz wie in Stein gehauen. Aufrecht stemmt sich ein jeder ins Steigeisen und strahlt in seiner Pracht vor überlegener Ruhe. Mit eisernem Griff halten sie den Zügel und ihre gewaltigen Streitrosse folgen ihnen ohne ein einziges Wort. Um den Rumpf der Rösser haben sie eine prächtige bis über die Knie reichende Schabracke gelegt, die an den Flanken nur mehr bis auf Höhe des Bauches reicht und überdies bald unter einer massiven Stahlplatte über der Pferde Rücken, verschwindet. Die Herren selbst tragen einen stählernen Plattenkürass, wie man ihn im Land kein zweites mal bestaunen kann, jeder für sich ein Unikat und präzise auf den Leib gefertigt. Darüber kleiden sie sich in einen nachtblauen, mit kunstvollen Heldenmotiven bestickten Waffenrock, umgürten die Hüfte mit einem kalbsledernen Band, an welches sie Schwert, Axt und Dolch hängen. Die Lanze befestigen sie am Sattel und halten sie nur mit zwei Fingern ihrer Rechten. Lustig flattert der Wimpel im Wind. Über den Rücken tragen sie einen hölzernen, nachtblau – schwarzen Schild. Darauf das Wappen des beigen Doms mit den sich darüber bäumenden Pegasi in deren Mitte der mächtige Kirchturm in den Himmel ragt. Um die Schultern haben sie den Mantel aus nachtblauem Brokat liegen, der von der rechten Brust bis auf den Rücken des Pferdes fällt, auf der Brust gar das heilige Wappen des Ordens mit weißem Faden gestickt. Ihre Häupter hüllen sie in mithrilene Kettenhauben, der Helm baumelt am Sattel. Er ist in den Schmieden der Zwerge geformt und auf ihm thront der mächtige Dom, zu beiden Seiten des Pegasus. Dies sind der Herrin erste Paladine. Die Helden unter den Helden Bretonias und nur den mächtigsten Gralsrittern stehen die Pforten des verborgenen Heiligtums offen. Denn dies ist die Ritterschaft des Felsendoms zu Bergerac.


    Freut mich, dass der Wiedererkennungseffekt langsam eintritt :D

  • Es ist Mittwoch und somit Zeit für einen weiteren Teil dieser Geschichte. Leider sieht es mit den Lesern ja eher mau aus. Im Durchschnitt so 10-12 Klicks pro Post. ;( Aber über alle die treu zu mir stehen freue ich mich besonders ;)

    Kapitel 10


    Lange wanderten sie auf den Wegen, welche die Herrin ihnen gewiesen, als schließlich Gui unvermittelt hervorstieß:
    „Dort ist es. Von der Handelsstraße hinauf über den bewaldeten Bergkamm führt ein kleiner Pfad. Hier sollen wir uns niederlassen und das reisende Volk bewirten. In der Zeit aber, da die Gäste ausbleiben, wird es unsere Pflicht sein, der Herrin dienstbar zu folgen.“
    „Mit was sollen wir denn den Gästen aufwarten, so mitten im Wald?“
    „Jagen wird der, welcher einst noch kommt. Beeren findet man im Wald. Getreide und Hopfen gibt es in den umliegenden Tälern zu Hauf, nur mit den Bauern muss man sich gut stellen.“
    „Dann werden wir sie auch gleich um Werkzeug angehen dürfen, ein Haus baut sich schließlich nicht von alleine.“
    „Oh, das ist nicht nötig. Bevor ich auszog dich zu finden, wies die Herrin mich an, in einem verlassenen Fuchsbau einen Vorrat anzulegen. Werkzeug und Nahrung ist fürs erste vorhanden.“
    „Die Weisheit der Herrin ist grenzenlos.“
    Da schmunzelte Gui.
    „So ist es, mein Bruder. Doch ihre Wege bleiben uns unergründlich.“


    Es sollte sich recht schnell herausstellen, dass eine Verständigung mit den örtlichen Bauern auf gewisse Hindernisse stoßen würde, die sowohl Hugo als auch Gui nicht vorauszusehen vermocht hatten. Zwar zog sie das plötzliche Klopfen und Hämmern im Wald an wie das Kerzenlicht die Motte, doch blieben sie scheu wie Waldtiere in einiger Entfernung, liefen gar davon, falls Hugo oder Gui sich ihnen zu nähern versuchten. Wenn sie auch tatenlos blieben, behinderten sie den Bau in eben solcher Weise, als dass die Bemühungen einen von ihnen zu fassen zu bekommen, die Arbeiten jedes mal bedeutend unterbrachen. Einmal hatte Hugo einen Jüngling, welcher seiner Neugier erlegen und zu nah herangeschlichen war zu fassen bekommen, jedoch schrie jener so markerschütternd auf, dass Hugo ihn voll Schreck wieder frei ließ, ohne ihm auch nur die unbedeutendste Auskunft abgerungen zu haben. Dies hatte lediglich zur Folge, dass die Bauern noch vorsichtiger, ja geradezu listiger in ihrer Vorgehensweise geworden waren. Einmal, als die Nacht bereits ihre Fittiche spannte, war im Unterholz plötzlich ein sagenhafter Lärm losgebrochen. Hugo und Gui, welche befürchteten einer der Bauern könnte von einem wilden Tier angefallen worden sein, liefen sofort in die Richtung des größten Getöses. Sie hetzten voran, bis sie sich schließlich eingestehen mussten, dass sie sich aussichtslos verlaufen hatten. Verärgert kauerten sie sich in ihre Mäntel, um mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages den Rückweg anzutreten.
    Außer ein paar Bissspuren im Schinken, waren ihre Habseligkeiten jedoch nicht angerührt worden. Es erweckte den Anschein, als habe man wenig interessantes, gar gefährliches finden können, denn in der Tat schien Letzteres der eigentliche Grund ihrer – wie Hugo und Gui bald erkannt hatten – Bewachung gewesen zu sein. Waren es bisher vor allem Männer gewesen, die die Bewachung übernommen hatten, so kamen jetzt oftmals Kinder und Frauen. Auch setzten sie sich nun oft einen Steinwurf entfernt ins weiche Moos, tuschelten und versuchten mit kindlicher Neugier keinen noch so uninteressanten Vorgang zu verpassen.
    Hugo und Gui hatten unterdessen einige Fortschritte im Bau ihrer Waldspelunke erzielt. Das Fundament, welches sie aus kleineren Felsbrocken, die sie im Kiesbett eines nahen Gebirgsbaches gefunden und gestampftem Lehm geformt hatten, krönte ein aus grob behauenen Holzbalken bestehendes Wandgerippe. Der Schankraum war mit Abstand der größte und direkt durch eine schwere Eichentür an seiner Längsseite zu betreten. Gegenüber dieser Tür befanden sich drei weitere Türen, welche in die Gastkojen führten. Diese schmalen Zimmer sollten einst dem erschöpften Reisenden mit ihren Holzpritschen und einem Berg Stroh eine leidliche, wenn auch kaum bequeme Rast ermöglichen. Links des Eingangs befand sich die Theke, hinter welcher sich in einer etwa zwei auf zwei Meter großen Nische eine Leiter hinab in ein provisorisch ausgehobenes Gewölbe, zur Lagerung der Lebensmittel, befand. Vis-à-vis jener Theke war ein Raum, in dem Hugo und Gui selbst zu wohnen gedachten. Auch führte von hier eine Treppe in den noch fehlenden Dachstuhl.
    Als nun auch das Dach endlich mit Brettern gedeckt, also die Arbeit vorerst zu einem Ende gekommen zu sein schien, fielen Hugo und Gui sich lachend in die Arme, betranken sich hemmungslos bis tief in die Nacht, grölten, sangen, sodass es niemandem im Umkreis mehrerer Meilen verborgen bleiben konnte. Als sie am nächsten Morgen erst spät erwachten, die Sonne stand schon beinahe im Zenit, da staunten sie nicht wenig. Um sie herum saßen einige Bauern auf geknüpften Decken, manche rauchten, andere unterhielten sich lebhaft, alle waren sie jedoch sichtlich bester Laune. Einer jedoch, es war ein weißhaariger, buckliger Kreis in erdgrauer Kutte, starrte ihnen geradewegs in die Augen, ohne auch nur einmal seinen Blick von ihnen zu wenden. In der Hand hielt er einen knotigen Eichenstab. Als sich seine aufgeplatzten, faltenumrankten Lippen schwerfällig in Bewegung setzten und seiner brüchigen Stimme zu ihrem Recht verhalfen, verstummten plötzlich alle, sei es aus Ehrfurcht, sei es aus reiner Neugierde.
    „Fremde, hört meine Worte. Man nennt mich Aron den Seher. Eure Namen sind mir bekannt, denn regelmäßig befragte ich das Orakel am Tümpel. Seht, lange lebten wir abgeschieden von den Wogen der Zeit, friedlich und sorglos, doch dies ist nun vorbei. Ihr seid die ersten Boten der neuen Ära. Aus dem Schatten dieser Wälder werdet ihr unsere bescheidenen Dörfer führen, Ruhm und Ehre werdet ihr in unserem Namen erlangen. Man wird kommen, unser sorgloses Leben zu teilen, doch mit dem Ruhm wächst auch die Missgunst, dem Reichtum folgt wie kein Zweiter der Neid. Das Böse wirft seine dunklen Schatten voraus. Doch gibt es noch Hoffnung.“
    Lange, als wolle er sich der Wirkung seiner Worte vergewissern, hielt er inne, warf seinen Blick abwechselnd auf Hugo, dann wieder auf Gui, ehe er weiter sprach.
    „Seht, die Herrin hat zu mir gesprochen. Sie befahl mir euch alle Hilfe, die ich in meiner Kläglichkeit aufzubringen im Stande bin, zukommen zu lassen.“
    Hugo beugte sein Haupt, auf welchem ein mittlerweile beträchtlicher Bart gewachsen war, dann entgegnete er:
    „Eure Großherzigkeit ehrt euch, werter Seher. Die Weitsicht, ja die Klarheit mit der ihr die Dinge vor uns hingebreitet habt, versetzt mich in aufrichtiges Erstaunen. Doch blieb eine Frage ohne Antwort. Wie gedenkt ihr uns unter die Arme zu greifen?“
    Da erhob sich der alte Mann und auf sein Zeichen hin wurden mehrere Wagen, beladen mit Riedschilf herangeschoben.
    „Diese Männer stehen zu eurer Verfügung. Kundige Handwerker, kräftige Burschen. Baut was ihr bauen müsst, dann lehrt sie euer Handwerk, denn in den Untiefen unserer dunklen Zukunft lauert nichts als Krieg und Tod.“
    Daraufhin wandte er sich ab.
    Tagelang schufteten sie. Das Dach dichteten sie mit Schilf ab, im Gastraum errichteten sie einen offenen Kamin. Den Keller trieben sie wie einen Stollen viele Meter in die Erde. Vor dem Haus rodeten sie Bäume, rissen Strunk um Strunk aus dem Erdreich, dann planierten sie alles, legten Entwässerungsgräben an, schütteten Kies auf und gruben unweit der Herberge einen Brunnen. Gegenüber des Gasthauses entstand eine Scheune samt Stallungen sowie eine Hütte für Brennholz. Zu guter Letzt umfriedete man alles mit einer schulterhohen Mauer aus Lehm und Steinen, die nur an der Stelle an welcher der Weg in den Hof mündete von einem hölzernen Tor durchbrochen war, dieses wiederum von einem Hochstand direkt hinter der Ringmauer bewacht wurde. Den einstigen kleinen Pfad hatte man natürlich verbreitern müssen, um auch den Händlerkutschen die Zufahrt zu ermöglichen. Auch hatte man den Dachstuhl des Gasthauses angehoben, um den Raum als Quartier für die Bauernsöhne nutzbar zu machen. Als nun die Arbeit getan war, feierte man gerade das Erntefest in den umliegenden Dörfern. Hugo entschied nun, dass Gui sowie er selbst im Gasthof zurückbleiben, den Handwerkern jedoch ein freier Tag gewährt werden sollte. Abends, Hugo und Gui saßen gerade bei einem Krug Bier, pochte plötzlich jemand an die Tür. Gui erhob sich ächzend, um nachzusehen, wer zu solch später Stunde noch Eintritt verlangte.
    „Vielleicht haben wir heute unsere ersten Gäste.“
    „Gäste? Wie sollten sie uns gefunden haben, da kein Schild uns an der Straße anzeigt?“
    „Hm,“ brummte da Gui und schob den Riegel zurück.
    Vor ihm stand ein gutes Dutzend in lange Mäntel vermummte Gestalten, bewaffnet mit Dolch und Bogen. Die Kapuzen hatten sie weit in die Stirn gezogen. Da trat einer der Männer vor, striff seine Kapuze in den Nacken und sprach:
    „Bonsoir, meine Herren.“ Dabei verneigte er sich leicht, „mein Name ist Bertrand, Bertrand le Brigant.“