Unterm Herdenstein (eine Tiermenschen Geschichte) - Des Dramas Dritter Teil

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    Kapitel 128 - Riesen Überraschung II



    Der Riese beschleunigte seinen Schritt, die ausdruckslosen Schweinsäuglein fest auf die Menschengruppe vor sich gerichtet. Der Boden bebte unter jedem seiner schweren Schritte und er ließ sein dröhnendes Gebrüll hören. Wie zur Antwort erscholl das Kreischen einer der Frauen vom Waldrand her und der Unhold zögerte kurz, während er versuchte auszumachen woher der Schrei gekommen sein mochte. Diesen Augenblick nutzten die Armbrustschützen und ließen ihre Bolzen fliegen. Trotz der hohen nervlichen Belastung der Männer gehorchten ihnen ihre Körper. Jahrelange Übung machte sich in Momenten wie diesen bezahlt. Jede ihrer Bewegungen war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen und sie trafen ihr Ziel. Leider machten die Geschosse keinen allzu großen Schaden und der Riese wurde lediglich wütend, als die Bolzen ihn unsanft in seine dicke Haut bissen. Wenn die Männer mit dieser Aktion eines ganz sicher geschafft hatten, dann war es die volle Aufmerksamkeit des Giganten auf sich zu lenken. Sie versuchten erst gar nicht ihre Waffen aufs Neue zu spannen, denn dafür blieb keine Zeit mehr. Mit zwei stampfenden Schritten war der Unhold bereits bei ihnen und trampelte auf die Winzlinge zu seinen Füßen ein. Der Kommandant, welcher noch immer alle Mühe hatte sein Pferd unter Kontrolle zu halten, konnte seine Männer nicht einfach ihrem Schicksal und der Wut des Kolosses überlassen. Er hob seine Pistole, legte an und feuerte. Der Riese brüllte auf als wäre ihm der heiße Funken eines Feuers ins Auge gesprungen. Seine gigantische Hand hielt für einen Augenblick das unförmige Gesicht und im nächsten Moment ließ er seinen Arm in weitem Bogen herniederfahren. Wie der Schwanz einer Kuh, welcher die Insekten vertreibt, flog der monströse Arm durch die Luft. Die Armbrustschützen duckten sich darunter hinweg und machten mehrere Schritte zurück, um Abstand zu gewinnen. Ihr Anführer konnte jedoch nicht ausweichen und so traf die Rückseite der Riesenhand das Reittier seitlich an Schulter, Hals und Schläfe. Das Pferd ging unmittelbar zu Boden und begrub seinen Reiter halb unter sich. Was von den Armbrustschützen übrig geblieben war, rannte um sein Leben.


    Die Hellebardenträger versuchten noch so etwas wie eine Formation zu wahren und rückten dicht zusammen, auch wenn der Ausdruck auf ihren Gesichtern nicht von Hoffnung kündete. Als der Riese aus einem blutüberströmten Gesicht auf die Männer herabblickte, wurden ihre Knie weich. Einige taten es den Schützen gleich und suchten ihr Heil im nahegelegenen Unterholz des Waldes. Der Rest der Soldaten brach schließlich auch noch auseinander, als der Koloss ein markerschütterndes und diesmal auch wuterfülltes Brüllen auf sie losließ. Sie stoben auseinander in alle Richtungen, wie aufgescheuchte Fliegen. Der Riese griff nach einem von ihnen, packte den Unglücklichen und biss ihm unversehens den Kopf ab, bevor er ihn nach einigen der anderen Flüchtenden warf. Das Chaos war perfekt und Merrhok starrte mit halbem Unverständnis angesichts seines unfassbaren Glücks auf das Treiben an der Lichtung hinaus. Ab und an ließ er seine Blicke in die Richtung huschen, in der seine Untergebenen lauerten und über jene herfielen, die in den Wald geflohen waren. Die Glücklosen wurden mit Knüppeln niedergeschlagen, ohne ihrerseits große Gegenwehr leisten zu können. Die Bahre, mit dem noch immer bewusstlosen Verletzten, lag am Waldboden und unmittelbar daneben waren die beiden Wachmänner niedergegangen. Der Bauer und beiden Frauen waren ebenfalls gewaltsam ins Land der Träume befördert worden. Im Moment rangen die Gors und Ungors die größtenteils unbewaffneten und übertölpelten Soldaten nieder, welche vereinzelt und in blanker Furcht durch das Dickicht rannten. Wie aus dem Nichts wurden sie von Gehörnten angesprungen und gingen in dem dichten Farn-Meer unter, welches den Boden an dieser Stelle des Waldes verbarg. Merrhok hätte vor Glück jauchzen können, wenn sein Hals ihm nicht wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Jetzt hieß es erst einmal Ruhe bewahren, die Krieger im Zaum halten und unter allen Umständen außer Sicht des noch immer auf der Lichtung wütenden Monstrums zu bleiben.


    Der Riese hatte Tod und Verderben über jene Soldaten gebracht, welche nicht in der Lage gewesen waren rechtzeitig zu fliehen und so war der von riesigen Fußspuren zertrampelte Acker gesprenkelt mit den toten oder bewusstlosen Körpern der Männer der Wachkompanie. Als jede Gegenwehr erstorben war, hielt der Riese ein und machte auch keine Anstalten jene zu verfolgen, welche im Unterholz verschwunden waren. Merrhok runzelte die Stirn, angesichts dieses unverständlichen und ganz und gar unnatürlichen Verhaltens. Was war nur in dieses Ungetüm gefahren, dass er eben noch wütete wie eine Furie und nun auf dem Feld stand als würde er schlafwandeln? Mit einem Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag, seine in Runzeln gelegte Stirn entspannte sich und er erhob sich aus seiner Deckung, um sich besser umblicken zu können.


    Merrhok schien keinerlei Angst zu haben, dass der Riese ihn angreifen würde und erntete entsetzte und entgeisterte Blicke von seinen Untergebenen aus deren Verstecken im Dickicht. Der junge Gor stand aufrecht am Rande des Waldes und blickte sich suchend um. Den Giganten, welcher immer noch geistesabwesend auf freiem Feld stand, beachtete er genauso wenig wie es umgekehrt der Fall war. Den Ungors stockte dennoch der Atem. Merrhoks konzentrierter Blick suchte systematisch und geduldig das Unterholz und den Waldrand ab. Mit einem Mal stoppte er und seine Schultern und Brust begannen augenblicklich unter einem lautlosen Lachen zu hüpfen. Endlich hatte er die Bestätigung für seine Vermutung gefunden. Am Saum des Unterholzes, westlich von ihrer Position und in eben der Richtung, aus der auch der Riese gekommen war, stand eine in schwarze Roben gehüllte und auf einen Schädelstab gestützte Gestalt. "Shargah."



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    Wie wäre es denn mal mit einem PDF der gesamten Geschichte und den eingebundenen Bildern?
    Langsam aber sicher wird ja ein kleines Buch draus.

    Existiert bereits für die ersten beiden Teile. (Allerdings noch ohne Bilder.) Wenn Ihr mögt, häng' ich die hier an. (Liest sich evtl. besser? Bin kein großer Digital-Konsument. Kann das nicht einschätzen.)

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    @Captain Malzbier OK, hab die PDFs der ersten beiden Teile zum herunterladen an den ersten Beitrag hier im Thread gehängt. :) Teil 3 folgt, wenn alle Kapitel veröffentlicht sind.

  • Oh, mit Widmung! Jetzt fühl ich mich aber geschmeichelt. ^^
    Wieder tolle Kapitel mit immer tolleren Charakteren! Der Riese hat sowohl die für so ein Monster passende Szenerie bekommen, als auch die Mechaniken des Spiels durchblicken lassen! :thumbup:


    Das also sind diese Tage, an denen man zuhause sitzt, Bier direkt aus der kaputten Kaffeemaschine trinkt und wartet, dass es regnet, damit man endlich raus kann. - Horst Evers

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    Oh, mit Widmung! Jetzt fühl ich mich aber geschmeichelt.

    Ohne Deine Frage nach Ungors hätte ich das Kerlchen sicher nicht gezeichnet. Du hast also klar Deinen Anteil daran, dass er jetzt skeptisch die Leser anstarrt. :D (Es gibt übrigens noch einen Zweiten. Der kommt bei Gelegenheit.)



    Und Danke (an Alle) für das Lob!

  • Hey Merrhok,


    du bist ein Monster!


    Ich hab mir grad die PDFs geholt und schau mal wie ich zum lesen komme. Bisher habe ich immer mal kurz in diesen Thread geschaut und es hat mir immer gefallen!


    Hochachtungsvoll,
    r1d3

    "Chaos isn`t a pit..." by Littlefinger

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    (Vielen Dank!)




    Kapitel 129 - Abschied



    Merrhok schritt langsam auf den alten Schamanen zu. Nun sah er auch den Späher, welchen er ausgesandt hatte, um Rat und Hilfe aus dem Herdenlager zu erbitten. Wie es im Moment aussah, hätte die Unterstützung effektiver kaum sein können. Selbst der Zeitpunkt war geradezu ideal gewesen und Merrhok schüttelte nur den Kopf, während er mit einem verzerrten Lächeln auf den Lippen auf Shargah und den Ungor zu stapfte. Nach und nach erhoben sich nun auch die Gors und Ungors aus ihrer Deckung, inmitten der dichten Farndecke. Unverzüglich machten die Ungors sich daran die niedergeschlagenen Menschen zu fesseln. Nach und nach zerrten sie die zumeist reglosen Körper an einen Sammelpunkt, wo die Gefangenen überwacht werden konnten, bis sie wieder zu sich gekommen wären. Die Gors übernahmen die Oberaufsicht und taten so, als würde der Riese auf dem Acker sie nicht weiter beunruhigen. Hier und da halfen sie den Ungors, damit auch keiner der Menschen durch Unachtsamkeit entkäme.


    Als Merrhok näher trat sah er, dass Shargah äußerst konzentriert war. Sein Gesichtsausdruck war emotionslos, aber jeder Muskel schien unter Spannung zu stehen. Dennoch grüßte der Alte seinen Häuptling und Merrhok erkannte trotz Allem, dass er froh war ihn bei guter Gesundheit anzutreffen. Dann drehte sich der junge Gor in Richtung des Riesen und fragte sich, was wohl nun mit diesem Berg von einem Wesen geschehen solle. Ganz so als hätte der Häuptling diese Frage lauthals in den Raum gestellt, antwortete Shargah ihm. "Ich schätze ich werde ihn gehen lassen müssen. Ihn zu kontrollieren ist keine leichte Angelegenheit und ob er ohne meinen Einfluss dauerhaft friedlich uns gegenüber bleiben würde, da bin ich mir nicht sicher. Selbst wenn, dann wäre sein Appetit eine unglaubliche Belastung für uns, solange die Versammlung noch tagt. Wir haben schon genügend Probleme, die Versorgung der Herden aufrecht zu erhalten." Merrhok nickte nur, ohne dabei den Blick von dem Giganten zu lassen. Dann wandte er sich wieder dem alten Schamanen zu und nickte in Richtung der Stelle, an welcher der Rest seines Spähtrupps noch immer die Gefangenen zusammentrug. Sharagh und der Späher folgten diesem Wink und schlossen zu der Gruppe auf. Merrhok selbst ging hinaus auf das Feld, geradewegs auf die leblosen Leiber der Soldaten und den Riesen zu.


    Der Häuptling achtete darauf wo er hintrat, um keine unnötig verräterischen Spuren zu hinterlassen. Ob eine weitere Entsatz-Truppe der Menschensiedlung den Spuren eines Riesen folgen würde, war fraglich. Aber seine eigenen Hufabdrücke oder auch die Spuren seiner Untergebenen wären sicher durchaus interessant für sie, da ihre geringe Zahl sie als leichtes Ziel einstufen würde. Sie hätten umgehend einen Jagdtrupp auf den Fersen und so etwas konnte er ganz und gar nicht gebrauchen. Also war es in jedem Fall besser, wenn dies hier wie ein unglückliches Zusammentreffen des Wachtrupps mit einem Monster wirkte. Merrhok hatte einfach einen Hang dazu weniger Staub aufzuwirbeln als unbedingt notwendig war, selbst wenn – oder vielleicht sogar gerade weil – seine Artgenossen solche Angelegenheiten ganz und gar anders zu handhaben pflegten.


    Das noch immer am Boden liegende Pferd atmete flach und seine Läufe zuckten ab und zu unkontrolliert. Der Riese musste es schwer getroffen haben und in keinem Fall würde das Tier dieses Feld lebend verlassen. Als Merrhok an den sterbenden Hengst herantrat sah er, dass sein Reiter sich abmühte und vergeblich versuchte sein Bein unter der Last des Tieres hervorzuziehen. Als der schwer atmende Kommandant sah, dass die Gehörnte Bestie bedächtig auf ihn zukam, nestelte er an seinem Gürtelhalfter und zog augenblicklich seine zweite Pistole. Merrhok reagierte blitzschnell und sprang auf den Brustkorb des Pferdes. Der Reiter schrie auf, als sich das auf sein Bein drückende Gewicht zu vervielfachen schien. Dennoch legte er mit der Pistole an, feuerte und verfehlte den Gor, als dieser den Lauf der Schusswaffe im letzten Moment beiseite drückte. Ein gewaltiger Schlag gegen das Kinn des bewegungsunfähigen Mannes sandte ihn unsanft ins Land der Alpträume. Die Luft stank nach Schießpulver und dennoch konnte Merrhok den Menschen wittern. Das Blut der umliegenden Leichen tat sein Übriges um ihn kirre zu machen. Er musste sich unglaublich zusammenreißen, den vor ihm am Boden liegenden Menschen nicht ebenfalls zu töten. Wenn er die Distanz zu ihnen wahrte, konnte er mit seinen Instinkten umgehen. Dann war er lediglich wie ein Jagdhund, der seiner Beute nachstellte. Aber hier, in unmittelbarem Kontakt mit ihnen, war es als reite ein wilder Dämon auf seinem Rücken, der ihn mit scharfen Sporen dazu antrieb seine menschlichen Opfer zu zerreißen und roh zu verspeisen. Seine Nackenhaare standen wie elektrisiert in die Höhe. Dann riss Merrhok sich mit aller Gewalt innerlich los und trat an das noch immer hilflos zuckende Pferd heran. Sanft legte er eine Hand auf die Blesse des Tieres und schnitt ihm dann, mit einer schnellen und sauber geführten Bewegung seiner Klinge, die Kehle durch. Seine Läufe zuckten noch ein letztes Mal auf und dann verschwand der Funke des Lebens aus den unergründlich tiefen Augen des einst stolzen Geschöpfes. Der Häuptling ließ sich einen Moment Zeit, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe, packte den Reiter bei den Armen und zerrte ihn unter dem toten Pferd hervor. Zwei der Gors kamen ihm vorsichtig und immer wieder an dem beängstigend großen Riesen emporstarrend, entgegen als sie sahen, wie er den Bewusstlosen in Richtung des Waldrandes zu schleifen begann. Der, noch immer unter der Kontrolle des Schamanen stehende, Gigant stand während all dem nur mehr oder minder unbeweglich da, ließ seine beinahe schon lächerlich langen Arme baumeln und starrte in die Ferne, als wäre es das Normalste auf der Welt.


    Mit einem Mal kam Bewegung in den Koloss und alle Anwesenden, mit Ausnahme Shargahs und seines Häuptlings, wichen einen Schritt zurück. Dann griff der Riese nach dem Leichnam des Pferdes, hob ihn auf und begann den Erdboden vor dem Gehöft zu zerstampfen. Jeder Fleck auf dem die Behuften gegangen waren, wurde zertrampelt. Er kam bis hin zum Waldrand heran und sogar ein Stück ins Dickicht hinein, um alle Spuren unkenntlich zu machen. Die perplexen Tiermenschen starrten wie gebannt auf das Schauspiel und Einige mochten nicht ganz sicher sein, ob der Gigant nicht vielleicht doch jeden Moment außer Kontrolle geraten würde. Sie zogen sich langsam tiefer und tiefer in den Wald zurück, den Blick immer wieder auf das Ungetüm gerichtet. Dann hielt der Riese inne und wandte sich um. Er setzte sich schließlich wieder in Bewegung, stampfte wie in Zeitlupe an dem verlassenen Gehöft vorbei, um in Richtung des dahinterliegenden Waldes zu marschieren. Merrhok stand noch immer unbeweglich neben seinem in Konzentration vertieften Schamanen und schien zu genießen, wie ihm dieses Schauspiel einen Schauer über den nackten Rücken jagte. Dann, langsam aber sicher, entspannten sich Shargahs Züge wieder und der alte Schamane brach schließlich die mentale Verbindung ab. Nach einigen Augenblicken wendete er sich dem Spähtrupp und Merrhok zu, betrachtete die am Boden liegenden Gefangenen und nickte. "Es ist Zeit zurückzukehren."



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    Kapitel 130 - Von innen zerfressen



    Die Gefangenen waren, mit ihren Armen auf den Rücken verschnürt, aneinandergebunden worden und die Ungors trieben sie im hinteren Teil der Gruppe vor sich her, während die Gors, begleitet von einigen Spähern und Fährtenlesern, die Führung übernommen hatten. Merrhok war ebenfalls im vorderen Teil der Kolonne und hatte keinen Sichtkontakt zu den Menschen, glaubte sie jedoch permanent riechen zu können, ganz gleich wie der Wind auch stand. Ihre Anwesenheit hatte einen ablenkenden und zweitweise gar zermürbenden Einfluss auf den jungen Caprigor. Er versuchte sich abzulenken, indem er die Lage vor der Gruppe sondierte und somit sichere Passage durch das Gelände gewährleisten würde. Er konnte kaum erwarten, dass sie endlich im Lager ankämen und er auf Sicherheitsabstand gehen könnte. Was ihm im Moment half, war Shargahs Anwesenheit. Die Tatsache, dass jemand bei ihm war, der seine Qualen kannte, verstand und teilte war regelrechter Balsam für den geplagten Gor und er wusste nicht was er tun würde, wenn der Alte nicht bei ihm wäre.


    Shargah konnte sehen wie es in Merrhok brodelte und er damit zu kämpfen hatte, nicht über die Beute seiner Jagd herzufallen. Dahinter steckte ein Aspekt ihres Roten Vaters, der in allen Kindern des Chaos zum kleineren oder größeren Teil schlummerte und den er zu unterdrücken suchte, um nicht blind zu werden für das, was sie Beide der wahren Macht innerhalb ihrer Gesellschaft näherbringen würde. Denn es brauchte einen klaren und wachen Geist, der mit ungetrübtem Blick die Gefahren erkannte, bevor sie ihn zu vernichten drohten. Dafür mussten sie die Rote Wut und den animalischen Aspekt ihres Daseins überwinden und wenn möglich schließlich gänzlich ablegen. Shargah hatte dem Genuss von Menschenfleisch schon vor langer Zeit abgeschworen, lange bevor er Merrhok und die Söhne der dreiäugigen Bestie kennengelernt hatte. Er wusste, dass es nicht leicht war die eigene Natur zu unterdrücken und sich gegen angeborene Triebe und Gewohnheiten zu stellen. Aber eiserner Wille und großes Durchhaltevermögen hatten den Schamanen schließlich aus dem Tal des Leidens herausgeführt. Er war überzeugt davon, dass diese Kraft auch in seinem Häuptling steckte und sie beide am Ende dieses Weges die Herden unter sich vereinen würden, um mehr zu erreichen als die anderen Emporkömmlinge. Er hatte eine Vision, in der es nicht nur um das Führen bedeutungsloser Kleinkriege oder Raubzüge ging, sondern darum, etwas wirklich tiefgreifend und dauerhaft im Gefüge ihrer Gesellschaft und den Wäldern ihrer Väter zu verändern. Bis dahin hatten die Beiden jedoch noch einen beschwerlichen Weg vor sich. Wenn er sah wie Merrhok mit sich selbst zu kämpfen hatte, war ihm das klar. Der Drang nach Blut und rohem Fleisch musste in dem jungen Gor größer sein als es bei ihm selbst wohl je der Fall gewesen sein mochte. Dieser Gedanke hielt sich für einen Moment im Unterbewusstsein des Schamanen, bis seine innere Stimme sich wieder zu Wort meldete und ihn mahnte nie den eigenen Erinnerungen zu trauen. Sie waren immer geschönte und bis zur Unkenntlichkeit verdrehte Lügen dessen, was einst tatsächlich oder doch nie geschehen sein mochte. Der Verstand veränderte die Abbilder der Realität so lange, bis er mit ihnen leben konnte. In der Regel bedeutete dies aber, dass von ihrem ursprünglichen Bild kaum noch etwas übrig war. Und damit schloss er das eingestaubte Buch seiner Erinnerungen wieder und konzentrierte sich erneut auf die Aufgaben, welche unmittelbar vor ihnen lagen. Er und die anderen Schamanen hätten komplexe Rituale abzuhalten und schließlich – wenn das Auge der Dunklen Macht auf ihnen ruhen würde und alles zu seinem Schluss käme – einen Führungstitel zu gewinnen.


    Die Menschen ließen sich, mehr oder minder widerwillig, durch den Wald treiben. Jene, welche keine Angst im Angesicht der Ungor zeigten, setzten sich selbst einer durchaus unangenehmen Lektion in Sachen Respekt aus. Jene unter ihnen, welche glaubten, dass die ein bis zwei Köpfe über sie hinausragenden, durch und durch furchteinflößenden Gors die größte Bedrohung für sie darstellten, verkannten die Situation gehörig. Gors scherten sich nicht allzu sehr um Menschen. Für sie waren diese schwächlichen Wesen nicht viel mehr als eine Nahrungsquelle auf zwei Beinen, Beutetiere, um ihre Jagdgelüste zu befriedigen und im Allgemeinen galten Menschen unter ihnen als eine Beleidigung für die gesamte Art der Behuften. Ungors hingegen, welche zwar oftmals einen Großteil der Tiermenschen-Gesellschaft ausmachten aber dennoch auf einer der niedrigsten Stufen der Hackordnung standen, erkannten in den Menschen etwas, was noch viel wertloser und unwürdiger war als sie selbst. Sogar horn- und huf-lose Kinder des Chaos – welche den absoluten Bodensatz der Herdengemeinschaft repräsentierten – waren noch höher gestellt als sie. Menschen galten als Unberührte. Wesen, welche in den Augen der Dunklen Mächte keinerlei Aufmerksamkeit verdient hatten, geschweige denn die segensreiche Berührung durch das Chaos. Und somit waren sie in ihrer Gefangenschaft schutzlos dem Hass der Niedersten unter den Behuften ausgesetzt. Jene, welche sonst selbst tagein, tagaus immer nur getreten wurden, durften sich in den wenigen Momenten, in denen Menschen unter ihnen waren, einmal wertig und mächtig fühlen. In diesen kostbaren Augenblicken waren es die Ungors, die traten… und sie traten unbarmherzig und hart.



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    Kapitel 131 - Bestandsaufnahme



    Jeder Schritt, jede Bewegung war eine Tortur. Hauptmann Hartnagels Fußgelenk war ebenso angeschwollen wie seine linke Gesichtshälfte. Die Oberlippe war taub und fühlte sich an, als wäre sie bis zum Platzen aufgebläht. Selbst der stolz getrimmte, braune Schnauzbart des Kommandeurs war nicht verschont geblieben und mittlerweile ganz und gar in dunklem, langsam trocknendem Blut getränkt. Sie waren nun schon eine Weile unterwegs und noch immer traute er sich nicht sein Körpergewicht auf das rechte Bein zu verlagern. Er fürchtete irgendetwas könne unwiederbringlich kaputt gehen, vielleicht sogar brechen und der bereits stechende Schmerz, welcher ihn mit jedem seiner Schritte durchflutete, würde ihn sicher ohnmächtig werden lassen. Im Moment war er besorgt und wütend zugleich. Sie waren in die Gefangenschaft stinkender, widerlicher Tiermenschen geraten und all das nur, weil seine Männer im Angesicht der Gefahr versagt hatten. Sie hatten direkte Befehle missachtet und waren beim Angriff eines zugegebenermaßen unglaublich hässlichen Riesen Hals über Kopf getürmt. Zu allem Überfluss hatten sie sich dabei auch noch im Dickicht des Waldes von diesen Ausgeburten der Hölle gefangen nehmen lassen. Und genau da setzte seine Besorgnis an. Bei Allem was er von diesen Wesen des Chaos zu wissen glaubte - und ein solches Wissen besaß er selbstverständlich offiziell überhaupt nicht und würde es auch nie eingestehen - waren sie doch ganz und gar nicht dafür bekannt Gefangene zu machen. In der Regel wurden Opfer, welche nicht sofort erschlagen oder gar zu grausamen Totems verarbeitet und als Mittel der Abschreckung zur Schau gestellt wurden, unmittelbar gefressen oder unbarmherzig zu Tode gefoltert. Verschleppungen jedoch, waren äußerst selten. Was hatte diese Wilden also dazu bewogen seine Männer und ihn hier durch die Wälder zu scheuchen? Sein Bauchgefühl ließ ihn nichts Gutes ahnen.


    Hartnagel zählte die nach dem Kampf mit dem Riesen noch verbliebenen Männer durch, welche nun vor und hinter ihm, an Stricken zusammengebunden, durch den Wald getrieben wurden. Unweigerlich fiel sein Augenmerk auch auf die Zivilisten, den rundlichen Großbauern Lassek, seine Frau und die Tochter. Sein Blick verfinsterte sich noch ein wenig mehr, denn sie waren die Nächsten, mit denen er noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Wäre es nicht um dieser dickköpfigen Tölpel Willen gewesen, hätte die ganze Misere gar nicht erst geschehen müssen. "Aber nein, der werte Herr Gutsverwalter muss ja Frau und Kinder zusammenhalten, nur weil der Herr Schwiegersohn sich von dahergelaufenen Plünderern den Schädel einschlagen lässt und danach zu allem Überfluss auch noch als 'nicht transportfähig' gilt. Und schon wird eine ganze Wachmannschaft abgestellt, um die Herrschaften aus dem Schlamassel zu holen. Was dabei herauskommt, sieht man ja." Wären die Höfe des Umlandes nicht so wichtig für die Versorgung der Stadt, hätte er dieses Gesindel am liebsten seinem Schicksal überlassen. Wenn er so darüber nachdachte, hätte er immer noch aus der Haut fahren können. Aber nun wo er sah, dass die armen Frauen wie Vieh durch das Unterholz getrieben wurden und vermutlich Todesängste auszustehen hatten, da drohte auch das sonst so harte Herz des Hauptmanns insgeheim weich zu werden. Mit ein wenig Glück würde es schnell gehen und ihr Ende käme plötzlich, wenngleich nicht schmerzlos. Wenn sie jedoch Pech hätten... - Da traf es ihn wie ein Blitz. Wo war eigentlich der Schwiegersohn des alten Lassek? Hatten diese Bestien den Verletzten direkt ermordet, gefressen oder gar einfach im Gestrüpp liegen lassen? Seitdem er wieder aus seiner Ohnmacht zu sich gekommen war, hatte er nichts mehr von dem Versehrten gesehen. Die Frauen weinten zwar unablässig, aber ob sie es nun aus schierer Angst taten oder aus Trauer um den jungen Burschen, das konnte er nicht ausmachen. Hartnagel knirschte mit den Zähnen und merkte, dass der große Gehörnte, welcher ihm den Mords-Schwinger verpasst hatte, eines seiner Beißwerkzeuge lockergeschlagen hatte. Der Hauptmann verdrehte entnervt die Augen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt zu seinem Glück. Wäre die Situation nicht so aussichtslos – und Hartnagel war nicht in der Lage auch nur ein einziges Szenario zu ersinnen, in dem diese Sache hier gut ausgehen könnte – hätte er sich eventuell einen letzten Rest seines bissigen Humors bewahrt und behauptet, dieser Tag würde von Minute zu Minute besser.



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    Kapitel 132 - Erkenntnis III



    Auf dem Weg zurück zum Herdenstein trieben die Ungors ihre Gefangenen weiterhin stetig vor sich her. Hier und da kam das stumpfe Ende eines Speers zum Einsatz, wenn einer der schwächeren oder verletzten Menschen drohte die Gruppe zu verlangsamen. Da sie alle wortwörtlich aneinander gebunden waren, galt es stets das schwächste Glied der Kette zu bearbeiten und somit alle gleichermaßen in Bewegung zu halten. Die Gors mischten sich noch immer nicht in diese Art der Angelegenheiten ein. Sie waren froh, dass ihr Proviantsack seit dem Aufbruch wieder gut gefüllt war. Von den Gefangenen hatte bisher keiner bemerkt, was mit dem schwer verletzten jungen Mann geschehen war, welcher vor dem Angriff noch auf einer Bahre getragen werden musste. Shargah hatte den Spähern, angesichts der Schwere der Verletzungen des Menschen, erlaubt ihn zu töten und zu zerlegen. All das war geschehen, noch bevor die Anderen wieder zu sich gekommen waren. Die Frauen ahnten selbstverständlich, dass ihr geliebter Ehemann und Schwiegersohn tot sein mochte, dass seine sterblichen Überreste jedoch ganz nahe bei ihnen waren und von den Tiermenschen in einem Leinensack umhergetragen wurden, wussten sie nicht.


    Brak wünschte, er wäre mit den Anderen unterwegs in den Wäldern. Hier im Lager zu warten, machte ihn kirre und im Moment wäre ihm alles recht gewesen, was ihn von den permanenten Schmerzen abzulenken vermochte, welche unablässig von der Innenseite seiner Hand ausgehend Körper und Geist malträtierten. Seitdem Bratak seine Verbrennung versorgt hatte, waren nur wenige Stunden vergangen. Brak kam es allerdings vor wie eine Ewigkeit. Er fragte sich, ob diese Qualen ein Test wären und was wohl von ihm erwartet würde, um eine solche Prüfung zu bestehen. Aber all die Fragen, welche ihm in ständiger Wiederholung durch den verschwitzten Kopf gingen, blieben unbeantwortet und so stand er am Rande des Steinkreises und starrte gedankenverloren auf den großen Monolithen, dessen Quarzadern das Sonnenlicht schluckten, als wären sie die steingewordene Manifestation absoluter Finsternis. Niemand befand sich im Inneren des Kreises und auch Brak schien nun zu verstehen warum. Der Stein barg große Macht und man näherte sich ihm nicht unbedacht, zumindest nicht ohne einen Preis dafür zu zahlen. Die erfahreneren Häuptlinge und selbstverständlich auch die Schamanen wussten das. Und wenn nicht, dann würden sie diese Lektion früher oder später noch schmerzlich lernen müssen, ebenso wie er selbst.


    Egal wie unauffällig sie es versuchten, bereits die geringsten Versuche der Gefangenen untereinander zu kommunizieren wurden von den Ungor-Wächtern mit unbarmherzigen Stockhieben und -Stößen bestraft. Mit jedem dieser Zwischenfälle wich Hauptmann Hartnagels Zorn auf die Mitschuld seiner Leidensgenossen langsam der Abscheu gegenüber ihren Peinigern. Je weiter sie sich aus dem Umland von Isenbüttel entfernten, desto sicherer war der Kommandant sich, dass sie diesen übelriechenden Unholden nicht mehr lebend entkommen würden. Er wusste, dass noch einige Such-Kommandos unterwegs sein mussten, um marodierende Tiermenschen aufzustöbern und zu vernichten. Aber wo genau sie sich im Moment befinden mochten und ob sie sich so weit in den Norden vorgewagt hätten, das vermochte Hartnagel nicht einzuschätzen. Das Einzige was er mit relativ bestimmter Sicherheit sagen konnte war, dass ihre Chancen von einer anderen Patrouille gefunden und gerettet zu werden mit jedem weiteren ihrer Schritte schneller sanken als die Sonne in Richtung des Horizontes. Sich an diesen Gedanken und die Hoffnung klammernd, ließ er sich fallen als wäre er mit seinem verletzten Bein fehlgetreten. Die unmittelbar folgenden Hiebe und Tritte der Bestien gegen seinen Rücken und die Schultern steckte er ein ohne einen Laut von sich zu geben. Er rollte sich zusammen und hielt die gebundenen Hände so gut es ging schützend über Gesicht und Kopf. Als die Schläge plötzlich erstarben, lugte Hartnagel langsam und vorsichtig unter den schützenden Fingern hervor. Was er sah, ließ ihn erschaudern. Ein breit gebauter Gor stand bedrohlich über ihm und unmittelbar schoss dem Hauptmann die Erkenntnis durch den Kopf, dass seine Heldentat wohl eine große Dummheit und möglicherweise sein letzter Fehler gewesen sein mochte. Dann packte der stinkende Tiermensch ihn am Kragen und hievte ihn ohne sichtliche Schwierigkeiten hoch, auf Augenhöhe. Hartnagels Füße berührten den Boden nicht mehr. Er zitterte und spürte den warmen Hauch der Atemstöße, welche ihm aus den Nüstern des gehörnten Hünen ins Gesicht entgegenstießen. Der ekelhaft faulige Atem des ziegenköpfigen Unholdes ließ ihn beinahe ohnmächtig werden und er konnte gerade noch den Brechreiz unterdrücken, welcher ihn augenblicklich zu übermannen drohte. Er verkniff angewidert das Gesicht und als er sich wieder traute die Augen zu öffnen, sah er in das abstoßende Antlitz des wütenden Tiermenschen. Die Augen der Bestie waren fremdartig verformt und zeugten dennoch von einer tieferliegenden Intelligenz, welche Hartnagel diesen Wilden nicht zugetraut hätte. Die Stirn des Tiermenschen legte sich in unzählige Falten und schien sich zu Stein zu verfestigen. Seine Augenlider formten sich zu Schlitzen, welche den Argusblick des Unholdes wie ein Brennglas zu konzentrieren schienen. Der Hauptmann hatte das Gefühl, durchschaut worden zu sein und die Bedrohlichkeit im Blick des Gehörnten sprach deutlicher zu ihm als eintausend Worte. Schwäche und dumme Spielchen von Seiten der Gefangenen würden gnadenlos bestraft werden, daran wagte Hartnagel nun nicht einmal mehr einen Moment lang zu zweifeln. Ihre Entführer meinten es bitter ernst und im angsterfüllten Herzen des Hauptmannes schwand endgültig jede Hoffnung.



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    Kapitel 133 - Erkenntnis IV



    Turgok trank Wasser und es schmeckte immer noch nach Blut. Er hatte sich mittlerweile eine ruhigere Ecke nahe der Höhlen gesucht. Hier wollte er sich um seine Verletzungen kümmern, ohne dabei den neugierigen Blicken der Masse ausgesetzt zu sein. Auch wenn er sich keineswegs schämen musste, gegen einen Brecher wie den Bronzehuf zu Boden gegangen zu sein, so wollte er doch kein Publikum haben, wenn er sich seine blutige Nase hielt. Wenn er vorsichtig von der Nasenwurzel aus nach unten tastete, konnte er spüren wie sich das Nasenbein hin und her bewegen ließ. Immerhin schien nichts gesplittert zu sein. Die Schmerzen hätten sonst bereits deutlich Rückmeldung gegeben. Der Nasenrücken selbst war auch nicht aufgeplatzt. Bis vor kurzem war ihm das Blut immer mal wieder wahlweise aus den Nüstern oder in den Rachen gelaufen, je nachdem ob er den Schädel hängen ließ oder in den Nacken legte. Aber mittlerweile schien die Blutung endgültig gestillt zu sein und es tat sich nichts dergleichen mehr. Erst hatte sich ein Pfropfen in der Nasenhöhle gebildet und den Fluss nach vorn gestoppt, dann hörte es auch auf seine Kehle hinab zu laufen. Seitdem atmete der Gor durch das offene Maul und versuchte langsam und vorsichtig wieder Luft durch seine Atemwege zu pressen, ohne dabei eine erneute Blutung zu verursachen. Während er sich damit die Zeit vertrieb, grübelte Turgok vor sich hin und schnappte nebenbei immer wieder den einen oder anderen Gesprächsfetzen von einigen der in unmittelbarer Nähe lagernden Gors auf.


    Die Stimmung hatte sich seit dem publikumsträchtigen Streit wieder beruhigt, aber noch immer wurde viel innerhalb der einzelnen Gruppen über die Konfrontation zwischen Gurlak und Ghorhok geredet. Viele der Gors bezogen Stellung für einen der beiden Herausforderer, während hier und da andere Häuptlinge versuchten die Angelegenheit herunterzuspielen oder kleinzureden, um den eigenen Anspruch auf die Führung der Herden deutlich zu machen. Es mochten also wohl noch ein paar andere Emporkömmlinge am großen Gorkampf teilnehmen. Hauptgesprächsthema und gleichzeitig Favoriten auf den Titel des kommenden Großhäuptlings würden dennoch Gurlak und Ghorhok bleiben, da war sich nicht nur Turgok sicher.


    Nachdem der Gefangenentransport eine weitere halbe Stunde durch das Unterholz marschiert war, häuften sich die Fälle, in denen einzelne und hin und wieder sogar mehrere der Menschen die Gruppe aufhielten indem sie langsamer wurden. Selbst rohe Gewalt half auf Dauer nichts und Shargah gebot den Ungors schließlich Einhalt. Sie waren lange und zügig unterwegs gewesen und wie es den Anschein machte, waren Menschen nicht dazu in der Lage solche Strapazen über längere Zeiträume zu ertragen. In ihren Augen sah der alte Schamane keinerlei Widerstand oder Unwillen, nur pure Angst. Sie waren also erschöpft und er riet Merrhok also zu einer kurzen Rast, um danach mit erneuten Kräften den Rest des Weges hinter sich zu bringen. Der Häuptling nickte und bedeutete seinem Gefolge Halt zu machen. Die Gefangenen durften sich auf den Boden setzen und durchatmen. Wasser oder Nahrung bekamen sie keine. Den Gors und Ungors der Jagdgesellschaft hingegen, knurrte der Magen deutlich von den Strapazen ihres Tagwerks und so begannen sie sich aus ihren Vorräten zu bedienen. Die Menschen schauten nur sehnsüchtig aber ohne jede Hoffnung, wie die Tiermenschen gierig aus Wasserschläuchen tranken. Als die stinkenden Wilden dann begannen Teile rohen Fleisches zu verzehren, verging den meisten Gefangenen der Appetit wieder. Die junge Frau, in der Reihe der Aneinandergebundenen, starrte mit Entsetzen auf den Unterarm, welchen einer der Ungors aus dem Leinensack mit ihren Futter Vorräten genommen hatte und nun begann, daran herum zu nagen. Der Behufte merkte schnell, dass er beobachtet wurde und erwiderte den Blick neugierig. Er sah Tränen in den Augen des jungen Menschenweibchens und fragte sich, weswegen sie wohl so außer sich sei. Es musste wohl etwas mit ihm zu tun haben, da sie die Anderen keines Blickes zu würdigen schien. War er der Grund für ihre panische Angst? Fürchtete sie, dass er sie als nächstes verspeisen könnte? Während der Ungor über diesem Gedanken brütete, kaute er gedankenverloren und beiläufig auf dem Stumpf des Armes herum, welcher einst dem Verlobten der jungen Frau gehört hatte.



  • Die letzte Szene: Genial! :D
    Immer wieder cool, wie du ständig neue Blickwinkel einbaust!


    Das also sind diese Tage, an denen man zuhause sitzt, Bier direkt aus der kaputten Kaffeemaschine trinkt und wartet, dass es regnet, damit man endlich raus kann. - Horst Evers

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    Kapitel 134 - Auf der Schlachtbank



    Brak lenkte sich schon den ganzen Tag über mit diversen Tätigkeiten davon ab, ständig über das Pochen in seiner Hand nachzudenken. Hätte er etwas genauer darauf geachtet, wäre ihm aufgefallen, dass es sich seit einigen Stunden zu einem Kribbeln gewandelt hatte. Aber das Ausweiden, Zerlegen und Ausbeinen von Beutetieren, welche stetig von Jäger-Grüppchen ins Lager gebracht wurden, hatte etwas meditativ Beruhigendes und so verflog die Zeit für den jungen Gor ganz unbemerkt wie im Fluge. Er bemerkte schnell, dass er eine Art natürliche Begabung für solcherlei Arbeit zu haben schien. Wovon er im Moment ganz und gar keine Notiz nahm, waren die neugierigen Blicke anderer Behufter. Am Vormittag hatte er noch überlegt sich wieder den Kriegern seines vormaligen Regiments anzuschließen. Aber irgendwie schien ihm dies wenig erstrebenswert. Es war, als ob sich über Nacht eine Art intellektuelle Kluft zwischen ihm und den anderen Gors aufgetan hätte. Er fühlte sich allein plötzlich viel wohler als zuvor. Der Zuspruch der Anderen war ihm gar nicht mehr so wichtig wie das einst noch der Fall war, aber über diese Dinge hatte er noch gar nicht im Detail nachgedacht. Sie waren versunken in seinem Unterbewusstsein und schienen im Moment so selbstverständlich für ihn, dass ihm gar keine Veränderung aufgefallen war. Seine Kumpane hingegen fragten sich durchaus, was nur mit ihm los war und weshalb er ihnen so demonstrativ fern blieb. Ihren forschenden Blicken schenkte Brak jedoch keinerlei Beachtung. Der junge Gor war wie in seiner eigenen Welt versunken, als habe er irgendetwas zu verarbeiten.


    Gerade war er dabei den Hinterlauf eines erlegten Rehbocks sauber von dessen Rumpf zu trennen, da vernahm Brak eine vertraute Stimme. "Wie geht es deiner Hand?" Er blickte unversehens auf und konnte niemanden in seiner näheren Umgebung ausmachen. Systematisch suchte er die Umgebung ab, bis sein Blick schließlich an einem dunklen Fleck, einer schwarzen Kutte, hängen blieb. Es war Shargah, der mitsamt dem Spähtrupp und Gefangenen ins Lager zurückgekehrt war.


    Für das letzte Stück des Weges hatte der Gefangenentransport relativ lange benötigt. Den Entführten waren Säcke über die Köpfe gezogen worden und somit waren sie alle erheblich langsamer geworden. Shargah wusste, dass es bei Menschen in der Regel bereits ausreichte, wenn man ihnen die Sicht nahm um sicherzustellen, dass sie die Orientierung verlieren und den Weg nicht wieder finden würden. Und wenngleich er nicht vorhatte auch nur eines der Opfer zu verschonen, würde er doch keine unnötigen Risiken eingehen, wenn es darum ging die Position des Herdenlagers so gut es eben ging geheim zu halten. Tatsächlich halfen die verdreckten Leinenbeutel ausgezeichnet und keiner der Gefangenen glaubte auch nur ansatzweise zu wissen wo er war, geschweige denn, dass er den Weg zurück finden könne. Jetzt, wo sie das bis zum Bersten mit Kindern des Chaos bevölkerte Lager betreten hatten, drang der orangefarbene Schein der Feuer und ein bestialischer Gestank durch die engen Maschen des Leinen-Gewebes. Aus allen Richtungen vernahmen sie ein wildes Geblöke und Geschrei, welches kontinuierlich anwuchs, je tiefer sie in das Lager hineingeführt wurden. Was erst wie wildes Freudengeheul der Bestien angemutet hatte, wandelte sich immer mehr zu aggressivem Gekeife und hasserfülltem Brüllen nach dem Blut ihrer Opfer. Die bis ins Mark verängstigte Schicksalsgemeinschaft hatte nun wahrlich das Gefühl in der Hölle gelandet zu sein. Nur unter energischem Zerren an den Fesseln, sowie Schlägen und Tritten von Seiten der Ungors, konnten die Unglücklichen noch weiter auf dem Weg zu ihrem Untergang vorangetrieben werden. Shargah und Merrhok schritten dabei demonstrativ an der Spitze des Zuges, um vor der Herde unmissverständlich ihren Anspruch auf die mitgeführte Beute zu verdeutlichen und gleichzeitig zu verhindern, dass sich irgendwer an den Menschen vergriff und womöglich noch einen von ihnen töten würde, bevor die Rituale begonnen hätten. Auch hier hatte Shargah keineswegs vor die Dinge dem Zufall zu überlassen. Das Blut jedes dieser Opfer sollte einzig und allein dafür fließen, um die Tore ins Reich des Chaos zu öffnen.



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    Kapitel 135 - Fleischhandwerk



    Als sie das Lager fast komplett durchquert hatten, wies Shargah die Gors an, eine der Höhlen unweit des Steinkreises räumen zu lassen. Sie sollten sicherstellen, dass darin genügend Platz für die Gefangenen wäre und sich Ringe zur Befestigung der Fesseln in den Wänden befänden. Der Alte wusste, dass es solche Höhlen hier gab, jetzt war es an den Gors sie ausfindig zu machen und dafür zu sorgen, dass ihnen eine davon zur Verfügung stünde. Am Steinkreis angekommen machten sie Halt, bis einer der Krieger zurückkäme, um sie zu der entsprechenden Höhle zu geleiten. Die Menschen rückten dicht zusammen, wie eine Herde verängstigter Tiere bei aufziehendem Gewitter. Shargah sah dem Schauspiel interessiert zu. Dann schweifte sein Blick zu den geduldig wartenden Ungors, zu Merrhok, den Feuern abseits des Kreises und wieder zurück zu dem Gor Häuptling. Merrhok schaute ihn an und Shargah erwiderte den Blick für einen Moment, bevor er zu den Ungors zu sprechen begann. "Sobald eure großen Brüder zurückkommen, bringt ihr die Menschen in die vorbereitete Höhle. Stellt sicher, dass sie absolut leer ist. Dann bindet sie an die Ringe und wartet dort auf mich. Ich werde euch finden." Merrhok war keineswegs sauer darüber, dass Shargah im Moment die Befehle gab. Für ihn selbst war das Kommandieren ohne seine Stimme ein Graus und er war beinahe froh, dass sein Schamane ihm die Angelegenheit abnahm. Für die Ungors waren die Beiden ohnehin eine Art unzertrennliche Einheit und so wussten sie, dass das Wort des Einen so gut wie das des Anderen war. Dennoch blickten sie kurz zu ihrem Häuptling, der nur kurz und fast unmerklich zur Bestätigung nickte. Dann nickten auch sie dem Schamanen zu und warteten auf ihren Einsatz. Shargah verließ die Gruppe indessen ohne weitere Erklärung.


    Als der Alte zurückkehrte, war es bereits ganz dunkel geworden und die Menschen waren, wie zuvor angeordnet, in eine der Höhlen getrieben und mittels dort befindlicher Ketten an die schweren, korrodierten Metall-Ringe gekettet worden. Shargah beäugte das Werk der Ungors, ließ sich aber keinerlei Zufriedenheit anmerken. Dann kam er wieder aus dem Unterschlupf heraus und fand Merrhok – in leicht getriebenem Geisteszustand aber dennoch geduldig wartend – davor. Der junge Gor sah sofort, dass dem Schamanen etwas nicht passte und sein Blick suchte zu ergründen, was es war. "Keine Sorge, es ist nicht die Arbeit deiner Krieger, mit der ich mich schwer tue. Es ist viel mehr die unzureichende Hilfsbereitschaft unserer Gastgeber, die mich fuchst." Merrhoks Blick entspannte sich leicht und ging in einen fragenden Ausdruck über. Shargah fuhr fort, "Sie haben kein Interesse daran unwürdige Menschen im Auge zu behalten. Ihre Aufgaben lägen in der Sicherheit der Herde, der Unversehrtheit des Heiligtums und der Einhaltung der Regeln an diesem Ort. Sie meinten, wir könnten froh sein, dass sie keinen Blutzoll fordern würden." Merrhok verstand den Missmut des Alten nun und würde sich umgehend darum kümmern, dass die Wachen vor der Höhle verstärkt würden. Sogleich fügte Shargah an, "Es ist auch nicht für lange. Wenn die Dinge laufen wie geplant, werden wir morgen Nacht einen neuen Großhäuptling haben."


    Merrhok durchlief ein heißkalter Schauer beim Gedanken daran, dass der Gorkampf nun so unmittelbar bevorstand. Seit Tagen bereitete er sich darauf vor und mahnte sich immer wieder selbst zur Geduld, aber im Unmittelbaren Angesicht des Ereignisses ergriff ihn doch wieder die Ehrfurcht. Er fragte sich, ob es den Anderen genau so erging wie ihm und Shargah meinte nur halb in seinen Bart brummelnd, "Ganz sicher sogar." "Du alter Fuchs… ", dachte Merrhok sich, wissend, dass der Alte ihn verstand. Dann machte er sich auf den Weg zu seiner Lagerstätte. Er hatte das Gefühl sich vorbereiten zu müssen. Auch wenn ihm im Moment nicht ganz klar war, wie eine solche Vorbereitung aussehen solle.


    Brak hatte indessen seine Arbeit mit dem Fleisch beendet und war von dem erhebenden Gefühl beflügelt, etwas von Wichtigkeit geschafft zu haben. Der Verband an seiner Hand hatte dabei selbstverständlich gelitten und war durchtränkt mit Körpersäften, aber das war Brak inmitten dieser unglaublich befriedigenden Arbeit doch zugegebenermaßen ziemlich egal gewesen. So lange seine Wunde nicht schmerzte, tat er was sich anbot und ihm Ablenkung gewährte. Nun, wo es vorbei war, würde er einfach zu einem der Schamanen gehen und den ruinierten Fetzen wechseln lassen. Er marschierte durch das Lager, umklammerte dabei so gut es ging das an seiner Hand befestigte Amulett und wunderte sich gar nicht mehr darüber, dass ihm seine Hand nicht den Takt zu jedem seiner Schritte zu pochen gedachte. Shargah war der erste Schamane, der ihm ins Auge fiel und so hielt er unverwandt auf den alten Bock in dunkler Robe zu.


    Als Brak an den Schamanen herantrat, erinnerte er sich an dessen Frage bei seiner Ankunft und so knüpfte der junge Gor an diesem Punkt an und sagte ihm, als wäre es ganz selbstverständlich, dass es seiner Hand tatsächlich bereits besser ginge. Im Gegenzug sah Shargah was Brak da um seinen Verband gewickelt trug und kam ins Grübeln, wie er wohl dazu bekommen sein mochte. "Wo hast Du diesen Anhänger her?", fragte der Alte und Brak meinte, dass Bratak ihn wohl irgendwo in seinen Habseligkeiten gefunden haben müsse. Shargah besah sich die Hand, wickelte erst das Band mit dem Anhänger ab, dann den verdreckten Verband. Als der Stofffetzen schließlich von der zerknittert wirkenden Hand fiel, glaubten Beide ihren Augen nicht zu trauen.