Kapitel 173 - Das Schmettern der Wellen
Den Schädel seines Opfers noch bei einem der Hörner gepackt, sprang Merrhok vom Rücken der verstümmelten Leiche herab und trat an Shargah heran. Als er den Augenkontakt zu dem Alten suchte, bemerkte er sofort, dass etwas die Aufmerksamkeit des Schamanen geweckt haben musste. Von jetzt auf gleich schien er ihn gar nicht mehr zu beachten. Stattdessen starrte er in den Wald hinter ihm, ins Nichts. Merrhok blickte sich um, konnte aber keine Bewegung erspähen. Dort war es still. Das Kampfgetümmel war genau auf der anderen Seite, direkt vor ihnen. Gerade wollte er auf den nächsten Feind losgehen, da hörte er es. Erst war es ein Raunen, über den Lärm der Schlacht kaum wahrnehmbar, dann wurde es deutlicher und lauter.
Plötzlich, Bewegung im Unterholz. Die Büsche zwischen den Bäumen brachen explosionsartig auseinander und riesige, behaarte Keiler jagten genau auf Shargah und den stummen Häuptling zu. Sie zogen krude, primitiv zusammengezimmerte Streitwagen hinter sich her, welche in halsbrecherischer Fahrt über den unebenen Waldboden bretterten. Merrhok konnte gehörnte Bestien auf den Wagen erkennen und unter ihnen war eine Geweihkrone, deren Silhouette so unverkennbar war wie der Kriegsschrei, welcher unmittelbar darauf durch das Unterholz tönte. Die Nachzügler - von vielen der Herdenmitglieder schon vergessen - hatten tatsächlich aufgeholt. Gurlak war hier.
Merrhok biss den eben noch lose herabhängenden Unterkiefer fest auf sein Gegenstück und ließ ein deutlich hörbares Schnauben los, bevor er Shargah am Arm packte und den Weg für die schnell heranpreschenden Wagen freimachte. Dann stürmte er auf eine Gruppe von Feinden zu, welche er vor sich ausgemacht hatte. Schließlich war er nicht hier, um einen gefallenen Häuptling beim Kampf zu beobachten, sondern um selbst das Geschenk des Todes unter seine Feinde zu tragen. Die Neuankömmlinge ignorierend, schnappte er sich einen Speer und eine am Boden liegende Hand-Axt. Dann beschleunigte er seinen Schritt, um seine blinde Wut an jenen auszulassen, die es gewagt hatten sich der vereinten Kriegs-Herde hier in den Weg zu stellen.
Weiter vorn befanden Ghorhok und seine Leibgarde sich inmitten einer Orgie des Blutvergießens und der Zerstörung. Das Aufeinandertreffen mit kampfwilligen Gegnern hatte für ihn und seine Krieger etwas Befreiendes. Wie bei einem Vulkan, der allzu lange unter der Oberfläche gebrodelt und Druck aufgebaute hatte, setzte sich nun die zerstörerische Kraft ihrer unterdrückten Urbedürfnisse frei. Die Kapuzen, Kutten und Kettenhemden der Bestigors waren durchtränkt mit dem Blut beider Seiten. Sie nahmen den Tod genauso bereitwillig und emotionslos wie sie ihn zu geben bereit waren. Viele ihrer Feinde teilten diese bedingungslose Hingabe nicht im gleichen Maße und waren angesichts der beängstigenden Gleichgültigkeit des Gegners zurückgewichen. Horden nackter, nachtschwarzer und mit weißer Kriegsbemalung geschmückter Gors warfen sich ihnen in immer neuen Wellen entgegen. Mit roher Wildheit und rostigen Äxten gingen sie auf ihre Widersacher los wie gereizte Stiere im Angesicht des nahenden Todes. Der Blutzoll war erschreckend hoch, aber dennoch strömten kontinuierlich mehr der primitiven Gors herbei.
Ghorhok wütete und sein Brüllen zog Freund und Feind an wie ein Magnet. Was als Befehl zum Sammeln für die Einen wirkte, war wie eine trotzige Herausforderung für die Anderen. Bestialische Urinstinkte waren alles was ihn in Momenten wie diesen antrieb. Gleich einem Jünger des roten Gottes, mähte er seine Feinde nieder, wie eine Sense die Halme des Weidegrases. Blut und Eingeweide bedeckten den Waldboden und tränkten das Erdreich.
Gerade hatte er einem langgliedrigen Gor mithilfe seiner Hand-Axt eines von dessen Bocksbeinen unter dem Rumpf abgetrennt, da traf ihn die Spitze eines Speeres im Rücken, oberhalb seines Bronzepanzers. Schaum spritzte von seinen Lippen, als er gellend aufheulte. Der Schmerz schoss wie ein lähmender Blitz durch seine Glieder und ließ gleich darauf wieder nach. In wilden Hieben hackte der Bronzehuf nach seinem Angreifer, packte den Schaft der Stichwaffe, bevor sie ihn erneut beißen konnte und grub das Blatt seines Beiles tief in die Schulter des überrumpelten Gegners. Es brauchte einige Zeit und Kraft, die Klinge der Axt aus dem Körper des Toten zu befreien und unterdessen drangen weitere Gors von allen Seiten auf ihn zu. Ghorhoks Garde hackte sich – gleich einem Fleischwolf – zu ihrem Herrn durch, um einen Ring zu seinem Schutz zu bilden, doch die nackten Wilden waren, dank ihrer kleineren und leichteren Handwaffen, einfach schneller. Sie schwemmten über die Lichtung wie eine Flutwelle aus nackten, schwarz bemalten Leibern. Ihre Zahl war ohne Gleichen und auch ihr Kampfeswille schien kein Ende nehmen zu wollen.