Kapitel 2
Das Bankett:
Noch am Tag seiner Ankunft liess Graf Tyvalt ein großes Festessen eindecken. Nur einige Ritter und Würdenträger aus der Burg und dem Dorf würden kommen, sagte er. Und doch war die große Tafel im Speisesaal voll. Mindestens zwanzig Männer und Frauen, welche Etienne nicht kannte, saßen an einem großen Eichentisch. Es war lange her, dass Etienne einen so reich gedeckten Tisch sah. Die meisten seiner Gefährten lehnten das Angebot mit ihnen zu speisen ab. Sie bevorzugten es, ihre Mahlzeit auf den ihnen zugewiesenen Quartieren einzunehmen. Der Alte Pierre leistete Phillipe im Krankenzimmer Gesellschaft. Nur Guillaume war anwesend, und sass zu seiner linken. Auch wenn er ein grobschlächtiger und ungeschliffener Kerl war, dessen Manieren an einen Ork beim Verteilen der Beute ähnelte, war der Gralsritter froh über seine Anwesenheit. Je länger er Guillaume beobachtete, desto mehr zweifelte er daran, dass er in seiner Zeit vor der Quest ein Adliger mit gesitteten Tischmanieren war. Doch wahrscheinlich war er selbst nicht besser, überlegte Etienne. Etienne bekam den Platz zur linken seines Vaters, welcher selbstverständlich am Kopfende der Tafel sass. Ihm gegenüber nahm gerade Lucien platz. Etienne freute sich, seinen jüngsten Bruder wieder zu sehen. Als er ihn das letzte mal sah, war er noch ein kleiner Junge von vielleicht 7 Jahren gewesen. „Schön dich zu sehen, Bruder“, sagte Lucien, während er sich hinsetzte. Kein Lächeln, nicht einmal ein Blick warf er Etienne zu. Ein Barde fing an, ein Stück auf seiner Laute zu zupfen. „Lucien!“, schalt ihn Graf Tyvalt. „Mehr Anstand. Du sprichst mit einem Gralsritter.“ - „Verzeih mir Vater.“ Lucien stand wieder auf. Er verbeugte sich lächerlich tief und sah Etienne mit einem feindseligen Blick an. „Willkommen zu Hause, Bruder Gralsritter.“ Dann setzte er sich wieder hin. Neben Etienne sprang Guillaume auf, wurde aber von Etienne sofort wieder auf seinem Platz gezerrt. „Lucien“, begann Etienne in einem ruhigen Ton, „du bist groß geworden. Wie alt bist du jetzt. Siebzehn?“ - „Neunzehn. Ich bin neunzehn Jahre alt.“ Neunzehn? War er doch länger als Zehn Jahre unterwegs gewesen? „Verzeih. Neunzehn. Aus dir ist ein starker Mann geworden. Vater sagt, du reitest in seiner Garde?“ - „Ja. Aber dies hätte sich nun ändern sollen. Danke Bruder Gralsritter!“ Auch wenn ihm Luciens Ton nicht gefiel, war es doch sein Vater, dem er seinen Blick zuwarf. Tyvalt räusperte sich, bevor er zu sprechen anhob. „Nun-ja, Lucien ist ein ausgezeichneter Reiter. Auch ist er hervorragend mit der Lanze, und führt sein Schwert wie es sich für einen Ritter aus Carcasonne gebührt. Aus diesem Grunde sollte er seine eigene Ritterlanze führen dürfen. Mit eigenem Banner. Elf Ritter meldeten sich zum Dienst auf Burg Navarre. Zwei von ihnen erfahrene Veteranen, die uns Herzog Huebald mit seinem besten Wünschen schickte.“ - „Mit seinem besten Wünschen?“, fragte Etienne. „Ja“, antwortete Graf Tyvalt „Der Süden Carcasonnes ist nicht gerade der sicherste Teil Bretonias. In letzter Zeit sind hier viele Orks und auch verstärkt Tiermenschen unterwegs.“ - „Und da hat der Herzog entschieden, die Besatzung in Burg Navarre zu verstärken? Und Lucien sollte diese Verstärkung anführen?“, sinnierte Etienne vor sich hin. „Dies scheint mir vernünftig zu sein. In den Düsterlanden ist es auch gefährlicher geworden.“ - „Schön, dass Ihr das auch so seht, Bruder Gralsritter“, spottete Lucien. Sämtliche Gespräche an der Tafel verstarben, als Graf Tyvalt mit der Faust auf den Tisch schlug. „Das reicht, Lucien!“, schnauzte der Graf seinen Jüngsten an. „Was ist in dich gefahren?“ - „Jetzt, da mein Bruder Gralsritter wieder da ist, werde ich doch nur wieder ein einfacher Ritter in der Burg meines Vaters sein. Meine eigene Lanze hast du mir versprochen, und nun, nun wird er diese Lanze anführen. Und ich gehe leer aus. Weil ich der Jüngste bin!“ Lucien erhob sich und wandte sich zum Gehen. „Warte, Bruder“, sagte Etienne in einem ruhigen Tonfall. Lucien blieb stehen und sah seinen Bruder mit kalte Blick an. „Ist das wahr Vater? Hast du Lucien sein eigenes Kommando versprochen? Und dieses nun zurückgezogen?“, fragte Etienne. „Ich versprach ihm sein eigenes Kommando über elf Ritter. Doch nie zog ich dieses Versprechen zurück“, antwortete der Graf. „Aber du wirst noch. Hab ich nicht recht?“, fragte Lucien. „Du bist ein starker Mann geworden, Lucien. Doch bist du nur ein gewöhnlicher Ritter. Wie könnte ich einen Heiligen unter dein Kommando stellen? Selbst meinem Kommando kann ich ihn nicht unterstellen, ohne ihn und die Herrin zu beleidigen. Sag mir, was soll ich tun?“, fragte Graf Tyvalt seinen jüngsten, und sah ihn dabei in die Augen. Dieser senkte den Blick. Er wusste es selbst nicht. “Willst du mein Banner führen?“, stellte Etienne seinem jüngsten Bruder in Aussicht. Niemand wagte es in der darauf folgenden Stille auch nur zu husten. Die Standarte einer Einheit Ritter zu tragen galt als große Ehre. Und das persönliche Banner eines Gralsritters? Nur den erfahrensten Veteranen wurde diese Ehre zuteil. „Meint Ihr das ernst, Bruder?“ Lucien sah Etienne tief in die Augen. Etienne erwiderte den Blick „Ja. Bruder.“ Erneut verbeugte sich Lucien vor seinem älteren Bruder. Diesmal aber mit viel mehr Respekt. „Ich danke Euch, Gralsritter. Ich werde Euer Banner mit Stolz in die Schlacht führen.“ Mit diesen Worten setzte er sich und liess sich Wein einschenken.
„Pah, ich hasste dieses Zeremonielle schon immer“, ereiferte sich Guillaume, „Auf Reisen, da schert sich kein Schwein um die Etikette. Sehr viel angenehmer als am Hof.“ - „Das hält dich aber nicht davon ab, die Etikette auch zu Hofe zu vergessen“, neckte Etienne seinen Gefährten. Guillaume errötete. Etienne klopfte seinem Freund auf die Schulter und begann zu lachen.
Die Questritter machten sich am nächsten morgen früh auf den Weg. Sie wollten ihre Quest so schnell wie möglich fortsetzten. Nur Guillaume, der Alte und Phillipe blieben. Sie wollten nicht mehr mit den anderen zusammen reisen.
Die Sonne hatte noch nicht mal den Zenit erreicht, da wurde Etienne von einem Diener bereits in das Arbeitszimmer seines Vaters geführt. Es war ein großes Zimmer. Schwere Wandteppiche verzierten die Wände. Sonst war das Zimmer sehr einfach eingerichtet. Ein Schreibtisch, an dem sein Vater gerade saß, und zwei schwere Stühle davor. In der Ecke stand noch ein kleiner Tisch. Einige Bücher standen in einem Regal hinter ihm. Hätte Etienne es nicht besser gewusst, würde er meinen, er stünde im Büro eines imperialen Kaufmanns, nicht im Arbeitszimmer eines bretonischen Grafen.
„Ihr liesst mich kommen, Vater“, begann Etienne, der noch immer in der Tür stand. „Ja Sohn, tritt ein und nimm platz.“ Etienne tat wie ihm geheißen und nahm auf dem Stuhl platz, den sein Vater ihm angeboten hatte. Der Diener verliess das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Was kann ich für dich tun Vater?“, eröffnete Etienne das Gespräch. „Nun, der Herzog hat in ein paar Tagen Geburtstag. Und ich wurde zu den Feierlichkeiten eingeladen“, sagte Graf Tyvalt. „Das freut mich sehr Vater, bitte, übermittelt dem Herzog meine besten Wünsche.“ - „Das werde ich. Ich werde in einigen Tagen aufbrechen. Und du wirst die Verantwortung über die Burg und das Dorf tragen, während ich unterwegs bin.“ - „Wenn dies euer Wunsch ist Vater, werde ich es tun“, antwortete Etienne. „Sehr schön. Aber ich habe noch etwas für dich.“ Graf Tyvalt griff nach einer goldenen Kordel zu seiner rechten und zog einmal daran. Kurz darauf betraten zwei Diener das Zimmer und trugen eine flache Truhe aus dunklem Holz herein. Auf der Truhe prangte das Familienwappen der Navarres. Ein weißes Schwert auf rotem Schild. Die Diener stellten die Truhe auf den kleinen Tisch, öffneten sie und brachten ein gelbes Tuch zum Vorschein. Als sie es herausnahmen und ausbreiteten, merkte Etienne erst, um was es sich handelte. Es war kein Tuch, sondern ein Ritterbanner. Das Banner selbst war in einem grellen Gelb gehalten. In der Mitte prangte ein großes, rotes Schild mit einem weißen Schwert in der Mitte. Das Familienwappen, welches auch die Truhe bereits zierte. Nur mit einem Unterschied. Das weiße Schwert lag auf einem goldenen Kelch. „Es ist wunderschön, Vater“, brachte Etienne raus. Er stand auf und ging zum Banner hin, um es besser betrachten zu können. „Ich liess es ein Jahr nach deiner Abreise anfertigen. Ich zweifelte nicht einen Tag an deiner Rückkehr“, sagte der Graf. „Danke Vater.“
Am fünften Tag nach Etiennes Rückkehr standen seine elf Ritter mit polierter Rüstung in einer Reihe auf dem Burghof. In der linken hielten alle ihre Schilde und in ihrer rechten die Zügel ihrer Schlachtrösser, welche hinter ihnen standen. Etienne schritt die Reihe ab. Lucien folgte ihm auf Schritt und Tritt. Die meisten waren noch jung, nur zwei von ihnen Veteranen. Erst vor zwei Tagen wurden sie miteinander bekannt gemacht. Vor dem letzten blieb er stehen. Ein älterer Mann, mit kurzem braunen Haar. Sein Gesicht war glatt rasiert. Etienne schätze ihn auf Anfang dreißig. Die Mauern waren voll besetzt mit Bogenschützen. Zwei volle Regimenter Landsknechte reihten sich hinter Etiennes Ritter auf. Jeweils fünfzig Mann. Ein weiteres Regiment, ebenfalls bestehend aus fünfzig Mann, stand auf der anderen Seite des großen Hofes.
Dreißig Bogenschützen hinter ihnen. Vor ihnen stand weitere Reihe Ritter, genau wie die Einheit Etiennes. Mit dem Unterschied, dass sie Fünfzehn Mann zählten. Dann trat Graf Tyvalt mit seinem Hofstaat aus der Burg. In seiner Rüstung sah er immer noch wie der furchtlose Krieger aus, wie Etienne ihn in Errinerung hatte. Rechts hinter ihm schritt eine junge Dame, die ein Jahr älter war als Etienne. Salina, seine Schwester. Die einzige in der Familie die in der Lage war, Magie zu wirken. Die einzige seit Mutters Tod. Sie trug ein blaues Kleid. Ihr goldenes Haar war zu einer komplizierten Frisur nach hinten geflochten. „Lucien, hebe das Banner“, gab Etienne Anweisung. Lucien hob Etiennes Standarte hoch. Dies war das Zeichen für seine Ritter. Sie schlugen sich alle gleichzeitig die linke Faust auf die Brust, und zeigten stolz ihre Heraldrik. Graf Tyvalt schritt, gefolgt von seinem Hofstaat bis vor Etienne. „Graf Tyvalt de Navarre“, erhob Etienne seine Stimme. „Ich wünsche Euch eine sichere und gute Reise. Auf, dass Ihr wohlbehalten euer Ziel erreicht. Ich gelobe, das weder Burg Navarre, noch Loire, das Dorf, das Ihr zu beschützen gelobten, noch dem Umland Schaden zugefügt wird. Solange ihr fort seid, wache ich über euer Land im Namen unseres geliebten Königs.“
Graf Tyvalt nickte Etienne zu. „Nun denn, Etienne de Navarre, ich nehme euch beim Wort“, sagte Graf Tyvalt. Zu seinen Rittern gewandt, gab er den Befehl aufzusetzen. Er liess sich sein Pferd bringen, einen Rappen, und stieg auf. Der Ritter, welcher während des Banketts zu Luciens rechter sass, brachte sein Ross neben den des Grafen zum Stillstand. Er hielt die Standarte des Hauses Navarre. Und dann sollte sich Etienne ein wahrhaft erstaunlicher Anblick bieten. Ein Knappe brachte aus einem der Ställe ein königliches Pegasus und führte es zu seiner Schwester. Sie warf Etienne ein kleines Lächeln zu, ehe sie es bestieg. „Auf, ihr stolzen Ritter, ich möchte den Herzog nicht warten lassen!“ Mit diesen Worten setzte sich der ganze Tross in Bewegung und ging durch das geöffnete Tor. Am Ende der Kolonne wurde ein schwerer Wagen mit vergitterten Fenstern gezogen. Er wurde von sechs Wachen, zwei zu jeder Seite und zwei hinten, bewacht. Dort musste das Geschenk an den Herzog drin sein.
Nachdem der letzte Soldat das Tor passiert hatte, machte sich Etienne auf den Weg die Mauer hoch. Lucien folgte ihm. Sie wurden bereits von Guillaume und dem Alten erwartet. Sie alle folgten Graf Tyvalt mit ihrem Blick. Sein Tross bewegte sich auf den großen Wald zu, der sich ungefähr fünfhundert Meter von der Burg entfernt erstreckte. Sie würden den alten Waldweg nutzen. Nicht eben der sicherste Weg, aber wer griff schon eine fast hundert Mann starke Reisegruppe an. „Wir sollten hineingehen, ich habe Durst,“ sagte Guillaume. Etienne nickte und drehte sich um. Er schritt die Stufen in einem gemütlichen Tempo hinunter. Gerade als er unten ankam und er zuschaute, wie sich die Einheiten auflösten, ereilte ihn ein Alarmruf von der Mauer. Etienne mache auf dem Absatz kehrt und lief die Stufen wieder empor. Sein Vater hatte gerade den halben Weg zum Wald hinter sich gebracht, da brachen sie aus dem Wald hervor. Auf dem ersten Blick sahen sie aus wie Tiermenschen. Doch irgendetwas irritierte ihn daran. Es mussten mindestens hundert sein. Und immer mehr brachen aus dem Wald hervor. Etienne sah wie sein Vater Befehle gab, eine Verteidigungsposition einzunehmen. Doch schon lief Etienne bereits wieder die Stufen runter. „Was ist da los?“, rief ihm der ältere Ritter aus seiner Einheit zu.“AUFSITZEN!“, brüllte Etienne seinen Befehl. „Bringt mir mein Ross. Die Landsknechte sollen sich wieder formieren und sich bereit halten. Wir werden jeden Mann brauchen. Ritter mir nach!“ Es dauerte nur Sekunden, bis alle Ritter in ihren Sätteln sassen. Mit Etienne an der Spitze verliessen sie die Burg. „Seht, Bruder!“ Lucien, welcher zu seiner linken ritt zeigte auf den Waldrand. Eine Gruppe schwer gerüsteter Krieger marschierte eben aus dem Waldrand. Sie trugen schwere Hellebarden in ihren Klauen. Wenn diese seinen Vater erreichten, war es aus mit ihm. Er musste sie vorher abfangen. Jetzt erkannte Etienne den Feind auch genauer. Es waren die verfluchten Rattenmenschen.