Es kann nicht sein, alles ist nur ein böser Traum. Immer wieder fuhr der Gedanke durch Isabells Kopf. Der Gedanke spendete ihr Trost und Wärme und mit aller Kraft klammerte sie sich daran, denn es war das einzige was sie noch aufrecht hielt.
Tief in ihrem Inneren wusste sie es, er war fort, für immer gegangen. Er war tot.
Die Bilder des Scharmützels suchten sie immer wieder heim.
Sie stand wieder dort, auf der Lichtung im Wald, das dichte Blätterdach über dem Kopf und die Luft vom Geruch von Fichten und Walderde durchflutet. Felix stand neben ihr und der Rest der Jagdgemeinschaft war ein Stück hinter ihnen. Alles schien so perfekt, die Sonne hatte geschienen, ein leichter, wispernder Wind hatte geweht, der etwas Kühlung mit sich brachte.
Doch dann plötzlich schien alles zu verstummen, selbst das stetige Rascheln der Blätter wurde durch eine beängstigende Stille ersetzt. Die Stille wurde mit einem Schlag ihres aufgeregten Herzens zerrissen und Panik und Hektik machte sich in der Gruppe breit. Felix hatte sie zurückgehalten und er selber war nach vorne, an den Kopf der Gemeinde geeilt. Sie rannte hinterher, nicht einmal wissend was überhaupt passiert war. Kurz darauf hatte sie da gestanden, bei dem Rest der Dorfleute, der Waldboden mit Blut getränkt und einige bekannte Gesichter lagen am Boden. Sie nahm wahr, wie der Abzug einer Waffe betätigt wurde und wie die Kugel auf sie zuflog. Innerlich hatte sie schon mit dem Leben abgeschlossen, doch dann war Felix im letzten Moment vor sie gesprungen und Morr hatte ihn und nicht sie in die Tiefen des Todes hinab gezogen. Doch an dieser Stelle endeten die Erinnerungen.
Vor dem frisch geschaufelten Grab kniete sie und der Geruch von feuchter Erde erfüllte die Luft.
Sie wusste nicht, wie lange sie nun schon zusammengekauert dort hockte. Ihr Körper war mittlerweile vollkommen durchnässt und ihre Kleider klebten an ihrer Haut. Sie war am späten Mittag hier eingetroffen, gerade als Felix` Leichnam beigesetzt wurde. Doch nun war
die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und das fahle Licht der Mondsichel erhellte den Friedhof nur spärlich. Es war eine klare Nacht, die Sterne am Himmel schienen wie stumme Wächter.
Sie hatte ihn geliebt. Sie hatte ihn aus vollem Herzen geliebt, schon seit so langer Zeit. Sie hatte viel Zeit mit ihm verbracht und zusammen hatten sie viele schöne und lustige, wie auch traurige und von Wut erfüllte Momente erlebt. Doch nun war er fort, in der Erde verscharrt und bei Morr im Totenreich. Wieso, fragte sie sich erneut, wieso hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie ihn liebte. Jetzt war diese Gelegenheit vergangen, aber sie flüsterte den einen Satz immer wieder vor sich hin, fast schon so, als erwarte sie, dass sie mit diesen Worten alles wieder rückgängig mach könnte: „Ich liebe dich.“
Ein gedämpftes, aber trotzdem wohl vernehmbares Rascheln erklang, sie schreckte aus ihrer versunkenen Starre auf und Angst ergriff sie. Waren die Banditen nun gekommen um auch sie zu töten? Innerlich machte sie sich schon darauf gefasst den kalten Kuss des Todes zu empfangen. Die Augen geschlossen, die Luft angehalten und alle Muskeln angespannt stand sie da, doch statt der erwarteten Klinge oder der Kugel ertönte nun eine Stimme. Sie war nicht allzu laut, doch klang sie höflich und freundlich, auch wenn ein Anflug von Melancholie in der Stimme mitschwang: „Isabell bist du hier irgendwo ?“
Sie kannte die Stimme, ja sie war über die Jahre ihres Lebens ein stetiger Begleiter geworden, es war die Stimme ihres Bruders. Ihre Eltern waren bei einem Überfall getötet worden, als sie gerade sieben Jahre alt war. Ihr Bruder hatte sich seither um sie gekümmert. Mittlerweile war sie sechzehn, doch ihr Bruder kümmerte sich immer noch um sie, als wäre sie ein kleines Kind. Wieso wusste er, dass sie hier war? Sie hatte niemandem gesagt, dass sie hier war. Selbst während des Begräbnisse stand sie im Hintergrund, darauf bedacht nicht gesehen und nicht gehört zu werden. Niemand sollte sehen wie sie weinte, sie wollte mit ihrer Trauer alleine sein. Sie bemerkte erst als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, dass sie nicht geantwortet hatte. Sie wollte zu einer Erklärung ansetzten, doch plötzlich überkam eine nie dagewesene Müdigkeit ihren Körper und ihre Sicht wurde schwarz.
…
Sie war, nachdem sie auf dem Friedhof zusammengebrochen war, in ihrem Bett aufgewacht und hatte fieberhaft nach einer Lösung gesucht und am Ende auch eine gefunden.
Sie würde Felix zurückbringen!
Ein alter Magier sollte auf einem Friedhof unweit ihres Dorfes leben und er sollte die Macht besitzen Tote wiederauferstehen zu lassen.
Sie packte ein paar Habseligkeiten und etwas Proviant zusammen, schrieb ihrem Bruder einen Abschiedsbrief und machte sich auf den Weg.
Nun stand sie vor einem Tor, welches der Rost schon zerfressen hatte. Die Nacht war schon längst hereingebrochen und ihr gesamter Körper wurde nach der langen Reise, von brennender Müdigkeit durchzogen.
Eine Zeit lang war sie gerannt, doch hatte sie sich dazu gezwungen, langsamer zu laufen, um Kräfte zu sparen.
Sie drückte gegen das Eisentor und es öffnete sich quietschend. Dichte Nebelfetzen bedeckten den Boden wie ein grauer Teppich. An einigen Stellen sah sie jedoch trostlose Grabsteine, die wie Fäuste aus dem Boden ragten. Sie folgte einem schlecht gepflasterten Weg, der nicht beleuchtet war. An den Seiten wurde er von totem Gras und gelegentlich auch von abgestorbenen Bäumen flankiert. Seltsame Geräusche ertönten immer wieder, sie waren nicht klar zuzuordnen doch erinnerten sie meistens an die Geräusche eines Sterbenden oder an ein wehklagendes Schluchzen. Einen Schritt nach dem anderen schleppte sie sich den Weg entlang und plötzlich begann sich etwas im Nebel abzuzeichnen. Zuerst war es nur undeutlich zu erkennen, doch langsam wurden die Konturen schärfer und sie erkannte das es ein Haus war.
Seine Mauern schienen uralt zu sein und es wurde von wuchernden Pflanzen bedeckt.
Je näher Isabell dem Haus kam, desto mehr machte sich Panik in ihr breit. Der Gedanke umzukehren und alles zu vergessen erschien verlockend, doch sie zwang sich, weiterzugehen.
Dann stand sie vor dem Haus, der Nebel war gewichen, die Geräusche verstummt und auch die Panik begann sich zu verflüchtigen.
Das zuvor so dunkel erschienene Gemäuer stand nun in einem gemütlichen hellen Grau da, die Pflanzen waren zurückgewichen und auf einer hölzernen Terrasse saß ein schwarzer Kater.
Die Szenerie wurde von mehreren Öllampen in ein warmes gemütliches Licht getaucht und auch der Weg hinter ihr schien zu neuem Leben zu erwachen.
Sie hievte sich die letzten Stufen zur Haustür empor und langsam hob sie ihren Arm.
Jede Faser ihres Körpers schmerzte und protestierte gegen die Bewegung, doch mit aller Kraft klammerte sie sich an ihre Hoffnung Felix zurückzubringen und klopfte.
Endlich öffnete eine Gestalt die massive Holztür.
Der Mann schien im fortgeschrittenen Alter zu sein, unter seiner fleckigen Haut zeichneten sich seine Adern ab. Langes graues Haar umspielte das schmale Gesicht. Sein Körper war in eine einfache gräuliche Robe gehüllt und er stützte seinen Leib auf einen Stab.
Das Erstaunlichste waren seine strahlenden violetten Augen, die so gar nicht zum Rest passten.
Isabell wollte keine Sekunde verlieren und begann sofort zu sprechen: „Stimmt es, dass ihr wisst, wie man die Verstorbenen wieder ins Leben zurückruft?“
Ernst schaute der alte Mann in die Augen von Isabell und antwortete: „Ich weiß nicht wer du bist, aber ich sehe Verlust in deinen Augen, Mädchen. Was will eine junge Frau wie du von einem alten Magier?“
Der Atem Isabells ging stoßweise und sie hatte Schwierigkeiten zu antworten: „Ich will meinen Geliebten zurückbringen. Meinetwegen ist er gestorben und ich will ihn zurückholen. Ich liebe ihn und ohne ihn ist mein Leben nichts.“
Der Blick des Magiers schien sie zu durchbohren.
„Mädchen, weißt du, auf was du dich da einlässt? Ich bin aus einem sehr ähnlichen Grund Nekromant geworden, nur habe ich damals meinen Bruder im Streit getötet.
Ich habe die Nekromantie erlernt und ihn zurückgebracht, aber er war nicht mehr der Gleiche.
Seitdem habe ich das Totenbeschwören ruhen lassen und habe mich hierher zurückgezogen. Du kannst deinen Geliebten zurückholen doch wird er nicht der sein den du kanntest und liebtest.“
Einen Moment der Stille herrschte, doch dann antwortete Isabell: „Das ist mir egal, ich will ihn wieder!“
Salzige Tränen liefen ihr über die Wangen und sie begann zu schluchzen.
Der ehemalige Totenbeschwörer seufzte: „In Ordnung, ich werde dich in der Kunst der Nekromatie unterweisen, doch höre auf meine Warnung, dass du dir damit keinen Gefallen tun wirst.“
…
Wochenlang hatte sie geübt, das Wesen der Magie studiert und das Lenken der Winde der Magie erlernt. Sie hatte Rituale und Beschwörungen gelernt und es stellte sich heraus, dass sie ein Talent in Sachen Magie besaß.
Isabell stand auf dem Friedhof in ihrem Heimatdorf auf dem ihr Geliebter begraben war. Sie stand in der Mitte des Friedhofs und ihr Lehrmeister, der wie sie erfahren hatte Ashan hieß, stand neben ihr.
Magische Runen waren um sie gezeichnet und in einer ihrer Hände trug sie den Stab auf den sich Ashan sonst stützte. Aus schwarzem Holz war der Stab geschaffen. Er war dazu da, die Winde der Magie zu kanalisieren und ihre mentalen Kräfte zu steigern.
Angst kam in ihr auf, wie oft hatte sie diesen Moment herbei gesehnt, doch jetzt war er gekommen und erste Zweifel machten sich in ihr breit. Was würde passieren wenn sie scheiterte? Würden all die Strapazen der letzten Monate umsonst gewesen sein?
Am Himmel waren keine Sterne zu sehen und es war Neumond, die gesamte Szenerie wurde nur von ein paar Fackeln erhellt.
Sie atmete noch ein paar mal tief durch, dann begann sie die mächtigen Silben der ersten Anrufung anzustimmen. Die Runen, die in den Sand gezeichnet waren, begannen in einem kalten blauen Licht zu leuchten und zu pulsieren.
Isabell schlug das Herz bis zum Hals und die Runen pulsierten im gleichen Rhythmus wie ihr Herz schlug.
Es war still, nichts war zu hören außer dem Heulen des Windes und der unheiligen Wörter der Beschwörung. Aus dem Sprechen wurde ein Singsang, den der Wind wiederzugeben schien und die Lautstärke steigerte sich immer weiter.
Das Leuchten der Runen wurde intensiver und die Runen schienen nun um sie herumzuwirbeln, immer schneller kreiste der Wirbel aus Energie um sie und ihre Augen begannen in dem selben blau wie die Runen zu leuchten.
Sie konzentrierte ihren Fokus auf die Stelle wo Felix begraben war und die kalt leuchtende Energie begann in das Grab hineinzufließen.
Langsam ebbte der Wind ab und das Leuchten der Energie verschwand, dafür kam nun ein dichter unnatürlicher Nebel auf.
Aus dem Nebel begann sich eine Gestalt zu lösen, seine Konturen waren noch unklar, aber das Mädchen wusste das es ihr Geliebter war.
Tränen schossen ihr in die Augen und sie musste sich beherrschen nicht auf ihn zuzulaufen, denn dies hätte die Anrufung unterbrochen und ihr Werk zu Nichte gemacht.
Ein Windstoß fegte über das Geschehen und für einen Moment war der Friedhof klar zu sehen.
Es war Felix, der dort auf sie zu kam, und doch war er es nicht.
Seine Haut war grau, seine Bewegungen unbeholfen und sein eines Bein zog er hinterher. Doch am meisten schockierten sie seine Augen, nichts von der damaligen Wäre war mehr darin. Sie waren ausdruckslos, sein Blick leer.
Jetzt wusste Isabell was ihr Meister gemeint hatte, als er sagte, er würde nicht der Selbe sein.
Tränen kullerten unaufhörlich über ihre Wangen und langsam ließ sie ihre Arme sinken.
Ihr Felix war fort.
Sie sank auf die Knie und ihre Beschwörung verstummte.
Plötzlich brach die Energie aus dem Grab heraus und umklammerte den Körper von Felix.
Die Gestalt versuchte noch einen Moment ohne den Willen eines Nekromanten zu handeln, doch dann riss die unheilige Macht den leblosen Leib ihres Geliebten zurück ins Grab.
…
Es dämmerte bereits, als Isabell zu sich kam.
Ashan war fort und von den Ereignissen der letzten Nacht war nichts mehr zu erahnen.
Frieden lag über dem Friedhof und Frieden breitete sich in Isabell aus.
Sie trat an Felix Grab und flüsterte:„Wir sehen uns auf der anderen Seite.“
So war meine Geschichte für den Wettbewerb, der ja lieder ausgefallen ist.
Kritik ist wie immer erwünscht und have fun beim Lesen.
Mfg. Sintron