So, nun kommt das nächste Kapitel! Bin viel weniger weit gekommen als ich geplant hatte... Aber egal!
Nur so als Hinweis: Das Ganze wird von Aethis erzählt. Die kursiven Teile werden nicht von ihm erzählt, sondern passieren zeitgleich zum Erzählten.
Kapitel 3: Luthril der Dekadente
„Ich segelte am nächsten Tag sofort los, zusammen mit einigen anderen Weissen Löwen, die aus Chrace kamen. Sie waren die ganze Nacht durchmarschiert, um noch rechtzeitig über den Phönixpass zu gelangen. Alle verschwanden sofort in den Kajüten. Ich stand vorne auf dem Bug und blickte über das innere Meer. Lange sah ich nur die sanften Wellen, die unser Schiff mühelos durchpflügte. Doch langsam begann die Luft in der Ferne zu flimmern, als ob etwas vom Ozean her sie erhitzen würde. Je weiter wir segelten, desto stärker wurde es. Man sah Striemen im Wasser, leicht gekrümmt.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Rücken und eine tiefe, volle Stimme sprach: „Der Mahlstrom.“ Erschrocken drehte ich mich um, und erblickte Dindruil, den Formationskommandanten. „Du hast ihn noch nie gesehen, nicht wahr, Aethis?“ Ich blickte wieder aufs Meer. „Nein“, gab ich zurück. „Nur wenige Elfen haben ihn je gesehen, und die meisten sind dabei umgekommen. Wir müssen den Kurs ändern“, sagte Dindruil, und er ging zum Brückendeck. Fasziniert blickte ich in die Richtung des Flimmerns. Langsam bewegte sich mein Löwenpelz in eine merkwürdige Richtung, er bewegte sich wie im Wind. Nur, der Wind kam aus einer anderen Richtung. Wieder schaute ich auf die Striemen im Wasser. Sie waren deutlicher geworden. Der Wind, der meinen Löwenpelz bewegte, kam aus derselben Richtung wie die Striemen. Ich spürte ihn nicht an meiner Haut, doch er drückte auf mein Herz. Er bewegte meinen Löwenpelz, der von der Magie der Annuliiberge getränkt war. Er bewegte das Wasser des inneren Meeres, wo wundersame Kreaturen wohnten. Er bewegte mein Herz und drückte es ins Zwielicht. Später würde ich noch erfahren, weshalb das passierte.
Das Schiff drehte und segelte in Richtung Caledor weiter. Es ging an Inseln vorbei, die meisten von ihnen unbewohnt. Ein Tag später kamen wir in Lothern an. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es war unbeschreiblich! Die Stadt erhob sich auf einer Insel, die mitten in der Meerenge von Eataine lag. Hellgraue Mauern schimmerten im Sonnenlicht und grünliche Kuppeldächer, die das Stadtbild prägten, funkelten. In der Mitte stand ein gigantischer Palast. Der Palast des Phönixkönigs.
Wir liefen in den grössten Hafen ein, den ich je gesehen hatte. Dutzende Schiffe, von Kriegsschiffen über Passagierschiffen bis hin zu einer Handelsflotte, lagen dort vor Anker. Hunderte Elfen standen bereit, um Kostbarkeiten aus der ganzen Welt aus den grossen Lagerhäusern auf die Handelsschiffe zu verladen. Wir landeten an einem Pier, das direkt zum Palast führte, wo uns Luthril der Dekadente empfangen würde.
Er sah wahrlich würdig aus, gekleidet in seine Zeremonienrüstung. Sein schulterlanges, goldblondes Haar wehte im Wind. Doch nichts war so prächtig wie der Palast. Er bestand aus einem runden Hauptteil, der von einer riesigen Kuppel überspannt wurde. Davor war ein grosser Platz, in dessen Mitte eine gigantische Statue von Aenarion dem Verteidiger stand, der mit grimmigen Blicken über den Platz wachte, in der einen Hand seinen Schild, in der anderen den Witwenmacher. Links und rechts von ihm standen kleinere Statuen, die die anderen Phönixkönige darstellten. Caledor, Tethlis, Morvael und wie sie alle hiessen. Ich liess meinen Blick durch die Reihe schweifen, bis ich Aethis den Dichter erblickte, nach dem ich benannt war. Ganz links stand die Statue von Finubar dem Seefahrer, dem aktuellen Phönixkönig. Neben ihm erhob sich der gekrümmte Ostflügel, der zusammen mit dem nahezu identischen Westflügel die Seiten des Platzes einschloss und ihm so die kreisförmige Form verlieh. Wir marschierten hinter Dindruil, der in ein Gespräch mit Luthril vertieft war, in den überdeckten Säulengang, der sich von Aenarion bis in den Hauptteil des Palastes erstreckte. Auf dem Platz neben uns hatte die erste Leibgardistenformation gerade ihren Appell. Korhil, unser Hauptmann, schrie Befehle über den Platz, ging auf und ab und schaute, dass sich jeder Elf am richtigen Ort befand. Löwenstreitwagen donnerten über die Steinplatten und die Musiker stiessen in ihre langen Hörner.
„Nicht einschlafen, Aethis“, sagte der Elf hinter mir und gab mir einen unsanften Stoss. Ich ging weiter. Als wir den Hauptteil betraten, klappte mir der Mund auf. Die Bemalung der Kuppel war grossartig. Phönixe und Drachen, Riesenadler und Greifen waren ineinander gewunden und umgaben die Drachenrune, die Rune der königlichen Linie. Luthril stieg eine Treppe hoch, um auf einen Balkon innerhalb der Halle zu gelangen. Er hob seine Arme und sprach: „Weisse Löwen der siebenten Leibgardistenformation! Ich freue mich, mit euch zur Festung der Abenddämmerung zu ziehen! Caradryan hat etwas gesehen. Etwas, das die ganze Elfenheit beeinträchtigen könnte. Er sagte nicht warum, aber es schien ihm wichtig, dass wir ein Heer zur Festung der Abenddämmerung entsandten. So wichtig, dass er uns begleitet. Dieses Kommando steht unter meinem Befehl, und eure Aufgabe ist es, mich mit eurem Leben zu beschützen. Es wird ganz speziell, denn Korhil wird uns begleiten!“ Er schaute uns an. Einer der Weissen Löwen rief: „Wird Korhil uns anführen?“ Luthril schaute ihn verwundert an: „Na klar. Dindruil wird ihn solange hier vertreten. Es wird nicht lange gehen. So, Elfen! Geht auf eure Gemächer und ruht euch aus, damit ihr gestärkt abfahren könnt!“
„Caruir, er ist tot.“ Der Elf, der Caruir genannt wurde, strich sich eine Strähne seines langen Haares aus dem Gesicht. „Schon wieder. Lange werden wir nicht mehr durchhalten, Gliniel“, flüsterte er düster. Gliniel hob den Falken auf. Ein kurzer Pfeil steckte in seiner Brust. „Blasrohr“, meinte er mit kundigem Blick. Er legte seine Kapuze ab, und seine orangen Haare kamen zum Vorschein. Sein zierliches Gesicht voller Sorgen, holte er tief Luft. „Lass uns gehen“, sagte Caruir. Der Elf drehte sich um. Er ging einen Schritt und brach zusammen. Sofort ergriff Gliniel seinen Bogen und legte einen Pfeil ein. Doch er konnte nichts erblicken. Plötzlich hörte der Elf ein Gackern hinter sich. Er drehte sich sofort um, seinen schwarzen Mantel schwang hinter ihm her. Nichts. Gliniel wollte sich schon umdrehen, um nach seinem Freund zu schauen, als sich ein Schatten aus den Bäumen löste. Noch einer. Und noch einer. Sieben Wesen, die ihm kaum zur Hüfte reichten, standen vor ihm im Unterholz. Ihre Haut wechselte langsam die Farbe. ‚Chamäleonskinks‘, schoss es Gliniel durch den Kopf. Er legte einen Pfeil ein und liess die Sehne schwirren. Ein Skink sank zusammen, sein Auge durchbohrt. Die anderen äugten ihn unschlüssig an, als würden sie auf Befehle warten. Gliniel zog gleich drei Pfeile aus seinem Köcher und schoss sie ab. Jeder fand sein Ziel. Die Verbliebenen standen immer noch untätig umher, als der Grösste unter ihnen ein Blasrohr hervor nahm. Gliniel sah es sich an. Es war das letzte, was er je gesehen hatte. Seine orange Mähne wehte auf, als er zusammenbrach.
Ich wurde von einer hübschen Elfe aufs Zimmer gebracht. Sie wäre gerne noch länger geblieben, aber ich sagte ihr konsequent, dass zu Hause jemand auf mich warten würde. Mein Gemach war prächtig. Ein grosses Bett mit weisser Bettwäsche stand an der einen Wand. An der anderen hatte es Fenster von romanischer Form. Helles Licht flutete ins Zimmer. Als ich aus den Fenstern herausschaute, konnte man den königlichen Garten sehen. Er war gepflegt, und die Bäume standen in Alleen, ganz anders als hier in Avelorn, wo man die Natur sich selbst überlässt. Zahlreiche Edle, die dort im Königshof residierten, lustwandelten. Einen erwischte ich dabei, wie er hinter einem Busch einer Elfe nachstellte. Ich schmunzelte.
Am nächsten Morgen marschierte das ganze Heer auf dem Platz auf. Luthril inspizierte es, während wir als seine persönliche Leibgarde hinter ihm her trabten. Vier grosse Speerträgerregimenter à je hundert Mann bildeten den Kern. Acht Abteilungen Bogenschützen mit dreissig Bögen pro Abteilung sicherten unseren Beschuss, während 25 15-Mannschaften Seegardisten sich um unsere Schiffe kümmerten. Einige Silberhelme klapperten vorbei, und drei Siebener-Trupps Grenzreiter brachten sich neben den Bogenschützen in Stellung.
Plötzlich wurde es ganz still auf dem Platz, und alle senkten ihre Standarten, ausser die dreissig Drachenprinzen, deren unruhige Pferde schnaubten und mit den Hufen klapperten.
Caradryan schritt über den Platz, gefolgt von 20 edel gekleideten Phönixgardisten. Eine Aura der Macht umgab sie. Sie sprachen nicht, nur das rhythmische Trommeln ihrer eisenbesetzten Stiefel auf dem Steinboden war zu hören. Caradryan stand vor Luthril hin, welcher der Obersten Legion ihren Platz zuwies. „Nun, da fehlt nur noch unsere magische Unterstützung!“, meinte Luthril fröhlich. Just in dem Moment zerriss ein Adlerschrei die Stille. Ilmithril von Avelorn schoss auf seinem Riesenadler Gaervìn über den Platz, gefolgt von etwa zehn anderen der Vögel. Auf jedem sassen zwei Schwertmeister von Hoeth, den Wächtern des Weissen Turmes. Sie landeten vor der Statue des Aenarion und Ilmithril stieg zusammen mit Kalaer ab. „Luthril, wie schön, Euch wieder zu sehen!“, sagte der Zauberer und breitete seine Arme aus. Er sah dort schon gleich aus wie jetzt. „Ilmithril, werter Freund! Ich freue mich ebenso sehr wie Ihr! Darf ich Euch ein paar exquisite Wachtelküken, frittiert in einer Kaviar-Trüffel-Kruste, anbieten?“ Ilmithril musste schmunzeln. So mächtig Luthril auch war, er war ein Kleingeist. Er lehnte dankend ab und stand zu seinen Schwertmeistern.
„Meine werten Elfen“, begann Luthril, „heute segeln wir los. Wir segeln zu fremden Ufern! Wir segeln zu unseren Brüdern und Schwestern! Wir segeln zur Festung der Abenddämmerung!“ Er setzte seinen Vollhelm auf und bestieg sein Pferd. Langsam setzte sich der Tross in Bewegung, wir direkt hinter ihm. Die Schwertmeister flogen auf ihren Riesenadler über unseren Köpfen hinweg und die Miliz marschierte ganz hinten.
Gerade als Luthril sein Pferd anhalten und absteigen wollte, trat eine Gestalt auf den Landeplatz. Sie war gross, trug eine blaue Robe und ein griechisch anmutender Helm, vermutlich aus Ithilmar. Ein schöner Bogen und ein Köcher voller weiss gefiederter Pfeile hingen über seinen Rücken in seiner Hand trug er eine Waffe. Der kunstvoll verzierte Griff war fast ebenso lang wie die gekrümmte, silbrige Klinge.
„Wartet, Luthril!“, rief die Gestalt. „Wer seid Ihr, Ihr, die es wagt, mich, Luthril den Dekadenten, vor seiner wichtigsten Abreise aufzuhalten?“, fragte dieser mit lauter Stimme. „Befehl vom Phönixkönig. Nehmt mich und meine vier Kameraden mit.“ Die Gestalt überreichte Luthril eine versiegelte Schriftrolle und ich sah, wie langes, schwarzes Haar unter seinem Helm hervorschaute. Luthril brach das Siegel und las die Schriftrolle laut vor: „Werter Luthril“, er machte eine theatralische Pause „Nehmt Indromedon und seine vier Gefährten mit auf Eure Reise. Gezeichnet: Finubar der Seefahrer.“ Er schaute in die Runde. „Das sagt ja wieder einmal viel aus“, meinte er abschätzig, und an Indromedon gewandt: „Hier steht etwas von vier anderen Elfen. Wo sind die?“ Der angesprochene Elf wandte sich um und rief: „Es ist gut. Ihr könnt kommen.“
Sofort sprangen vier Elfen vom nächsten Lagerhaus hinab auf den Steg. Ein Raunen ging durch unseren Zug. Sieben Meter, das ist auch für einen Elf eine reife Leistung. Die anderen vier Elfen waren genauso gekleidet wie Indromedon und auch genau gleich bewaffnet. Sie hatten auch dieselben schwarzen Haare. Der einzige Unterschied überhaupt war eigentlich ihr Geschlecht. Alle vier waren weiblich. Sie traten neben Indromedon. Luthril blickte sie noch einmal feindselig an und schmiss die Rolle in Richtung Indromedons Kopf. Dieser aber wich kaum sichtbar aus und die Elfe neben ihm fing die Rolle. „Das war aber nicht gerade nett“, sagte Indromedon abschätzig. Luthril würdigte ihn keines Blickes mehr und führte sein Pferd über die Planke auf sein Flaggschiff. Alle Weissen Löwen folgten ihm, und auch Ilmithril mit seinen Schwertmeistern ging nach uns an Bord. Indromedon und seine vier Elfen folgten ihnen.
Ein paar ereignislose Tage auf See später stand ich zusammen mit meinem Freund Atlar an der Reling und blickte über das ruhige Wasser. „He, Aethis!“, sagte Atlar und stupste mich an, „hast du einmal die hübscheste der Kämpferinnen gesehen?“ Ich antwortete: „Ja, ich denke schon. Welche meinst du denn?“ Gesehen hatte ich alle vier. „Die mit den schwarzen Haaren“, erwiderte Atlar. Ich schüttelte genervt den Kopf. „Atlar, alle vier haben schwarze Haare. Das nützt mir nicht so viel.“ Ich hörte, wie jemand die Treppe zum Hauptdeck hochging. „Na, die da“, sagte Atlar und zeigte auf jene Elfe, die gerade leichtfüssig über ein zusammengerolltes Tau sprang. „Und?“, fragte ich. „Du weisst schon“, gab er zurück und ging zu ihr hin. Ich blickte ihm nach und hoffte das Beste. Ich hörte nicht, was er sagte, doch ich hörte die schallende Ohrfeige sehr wohl. Atlar kam gedemütigt und einer hochroten Backe zu mir zurück. „Du hast Glück. Du hast Plurabella“, meinte er beleidigt, schubste mich einmal, als ob ich schuld wäre und marschierte von dannen. Liebeskummer, dachte ich und schaute wieder über die Wellen.
„Schiffe! Elfische Schiffe!“ Er rannte wie von einer Hornisse gestochen vom Wehrgang hinunter in die Stadt und verkündete die frohe Botschaft. „Elfische Adlerschiffe! Verstärkung kommt! Verstärkung kommt!“ Er lief zum grossen Haus des Statthalters und klopfte an die wuchtige Tür. Ein Diener öffnete eine kleine Sichtklappe. „Schiffe kommen! Elfische Adlerschiffe! Verstärkung!“ Der Diener schloss die Klappe wieder und öffnete die Tür. „Wirklich?“ Man sah ihm die Freude an. „Ja, wirklich! Überbringe die Botschaft sofort dem Herrn“, sagte der Elf, der Wache hatte. Der Diener ging ins Haus hinein, welches von schönen Teppichen ausgelegt war. Ein grosser Kronleuchter hing von der Decke hinab. „Herr! Herr! Schiffe kommen! Elfische Schiffe!“, rief der Diener durchs Haus. Der andere Elf blieb bei der Tür stehen und wartete.
Langsam aber sicher konnte ich die Küstenlinie der neuen Welt erkennen. Ein breiter Sandstrand umgab einen dichten Dschungel. Die Festung stand nahe dem Wasser, von einer grossen Stadtmauer umgeben. Der Wald, der in etwa einem Kilometer Umkreis zur Festung stand, war vor langer Zeit von den Elfen gerodet worden.
Wir segelten näher. Als ich meine Augen von der elfischen Pracht abwenden konnte und wieder die freie Fläche vor der Stadt überblickte, traf mich der Schlag. Hunderte von Echsenmenschen marschierten aus dem Wald auf diese Fläche. Hinter ihnen durchbrachen riesige Viecher die vorderste Baumreihe. Sie waren beladen mit schwerer Maschinerie, die von etwa einem Dutzend Skinks bedient wurde. Auf der grössten der Bestien stand eine Art Altar, und ein mit klimpernden Ketten behangener Skink schwang einen Zauberstab und in der anderen Hand hielt er einen Teller oder so. Ilmithril schaute sich die Szene mit besorgter Miene an. Als er den Blick abwandte, stand Luthril neben ihn hin. Sie wechselten ein paar Worte und Ilmithril rief nachher: „Schwertmeister! Aufsitzen! Lasst eure Klingen das kalte Blut dieses Getiers umher spritzen! Tötet sie, meine Brüder, und lasst keine Gnade walten!“ Gaervìn landete vor dem Magier und er sass auf. Die mächtigen Schwingen hoben vom Deck ab, gefolgt von 20 anderen. Die Schlacht hat begonnen.
Danke fürs Lesen und für die Kommentare!