„Oh Gott... dieses Licht...',
jammerte Wardur erbärmlich.
Sein Kopf hämmerte, als sei ein Kobold
darin gefangen und sein Mund fühlte sich an, als hätte er Asche
gegessen. Sein Margen rebellierte und der junge Mensch übergab sich
geräuschvoll, beinahe als Einleitung für den neuen Tag. Er
verfluchte das Leben und wünschte sich, von einem Oger tot
geschlagen zu werden. Oder von einer Klippe zu fallen. Hauptsache ein
schneller Tod. Der junge Student hatte keines Weg das erste Mal eine
ordentliche Zech-Nacht hinter sich und hatte sich zuvor sogar für
recht trinkfest gehalten. Doch das war einfach zu viel. Dann begann
er sich umzusehen. Wo war er?
Ihm entfuhr ein leiser Schrei, als er
bemerkte, dass es nicht sein Arm war, der da über ihm lag. Er
gehörte einem großen, kahlköpfigen Menschen, der noch tief und
fest zu schlafen schien.
Ihm war das bereits jetzt alles zu
viel. Er fühlte sich schmutzig – was er auch war, wie er an seinen
Dreck verkrusteten Fingernägeln sah – fühlte sich zerschlagen und
hatte die Nacht mit einem fremden Mann verbracht. Zudem hatte er
keine Ahnung, wo er war, wie spät es war, was geschehen war und wo
sich sein Meister befand. Plötzlich sprang die Holzluke neben ihm
auf und ein ihm bekanntes Gesicht kam hervor. Jedoch wollte ihm
spontan kein Name dazu einfallen.
„Da biste ja. Isch dacht' schon, isch
hätt' disch irgendwo verloren.“, grunzte der blonde Zwerg und
zupfte sich etwas, das wie ein Stück Fleisch aussah aus dem Bart.
„Tharrad!“, fiel ihm wieder der
Name ein und der Zwerg nickte.
„Leider kann isch Hogarth nirgends
finden. Aber... wer is dat?“, fragte der Zwerg und nickte in
Richtung des Schlafenden.
„Ich habe keine Ahnung... ich weiß
auch nicht, was letzte Nacht geschehen ist.“, gestand er und
schloss kurz die Augen.
„Also isch weiß noch ganz genau,
dat'wa nen Wettlauf gemacht haben, wer schneller auf'm Turm is'.
Und... ne... dat war's...“, grübelte der Zwerg und kratzte sich am
Kopf.
„Und wo sind wir hier?“
„Also isch glaub', dat wa hier auf'm
Turm von der Hummelmieser Schenke sind.“
„Hummelmieser Schenke?“
„Jo... dat is die Schenke von diesem
Halbling da... Alferd oder so...“
„Alfred?“
„Genau!“, rief der Zwerg und schien
damit den anderen Menschen geweckt zu haben.
„Meine Fresse... ach du #@*!§, wer
seid ihr denn?“
„Also dat ist Bamor und isch bin
Tharrad.“, stellte der Zwerg vor.
„Mein Name ist Wardur.“
„Hab' isch doch gesagt.“
„Also ich bin Wolfram. Ich arbeite
eigentlich in der Schmiede von Hoffgar.“, stellte sich der andere
vor.
„Ah ja... den kenn' isch. Guter
Trinker...“
Jetzt, da sich Wolfram aufgesetzt
hatte, konnte Wardur mehr von ihm erkennen. Er hatte einen dichten
Schnauzbart und bauschige Augenbrauen. Er sah ebenso verkatert aus,
wie er es vermutlich tat beziehungsweise, wie er sich fühlte.
Inzwischen war ein bisschen von seinem
Gedächtnis zurückgekehrt: Er konnte sich erinnern, wie er mit einem
Zwerg getanzt hatte und, wie er mit Hogarth und Tharrad in eine
kislevistische Kneipe gewankt war, um sich ein paar Wodka zu
genehmigen.
Er kroch zu der Luke und bedeutete dem
Zwerg, dass er hinunter wolle. Nach dem qualvollen Abstieg, der mit
dem Umarmen eines Dornenbusches zu vergleichen war, waren sie in der
Schenke, wo sie lautstark von dem Halbling angefahren wurden.
„Was denkt ihr euch eigentlich? Habt
ihr einen Hau? Ich meine: Habt ihr euch im Suff vielleicht ein paar
Mal zu oft den Kopf gestoßen? Ihr könnt von Glück reden, wenn ich
nicht die Wache rufe. Das war Einbruch, klar? EINBRUCH! Ich sollte
euch eigentlich mit einem Nudelholz bearbeiten oder in die Suppe
stecken. Und das würde ich auch tun, so sauer bin ich, damit ihr
Bescheid wisst. Mir sind schon lange nicht mehr so egoistische,
verrückte Taugenichtse wie euch untergekommen. Und ich führe eine
Schenke! Ihr seid eine Schande, für eure Familie, eure Freunde,
diese Stadt und eurer Volk. Ihr... ihr... ihr Zeitdiebe, ihr
Bierziegen, ihr Wandernudeln! Wenn ich euch schon ansehe, kriege ich
SO einen Hals!“, lamentierte der Halbling ohne Unterbrechung und
lief bereits rot an.
An seinem Hals pochte eine riesige
Ader, und sein Blick drückte eine derartige Wut aus, dass selbst der
Zwerg einen Schritt zurück gemacht hatte. Die letzten Sätze von der
Standpauke waren nur eine Aufreihung von Neologismen zum Ausdruck von
Wut, Hass und Frustration.
Wie eine Gruppe bestrafter Schulkinder,
mit gesenktem Kopf und schweigend, verließen die Drei die
Hummelmieser Schenke. Erst jetzt fiel Wardur auf, dass seine
Umhängetasche weg war. Sie enthielt sämtliche seiner
Aufzeichnungen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte
Wolfram und strich sich über den Schnauzer.
„Isch muss unbedingt Hogarth und
Snorri finden!“, erklärte der Zwerg erstaunlich ernst.
„Und ich muss meine Tasche finden.
Wir sollten die letzte Nacht rekonstruieren.“, empfahl der Student.
„Hm... also isch will jetzt nischts
konstruzieren, sondern einfach nur meine Freunde finden!“
„Also ich weiß noch, dass ihr mich
in dieser kislevistischen Kneipe aufgegabelt habt und wir später
Bier aus ganzen Fässern getrunken haben.“
„Das hilft uns leider nicht wirklich
weiter...“
„Doch! Dat tut's! Isch meine mich
nämlisch auch erinnern zu können! Und diese Fässer waren mit fünf
'X' markiert. Dat is' Varrindors Starkbier, dat ans Rezept von
Bugmans Bier angelehnt is' oder es zumindestens versucht!“
„Und das hilft uns wie?“, fragte
Wardur, der nicht verstand, worauf der Zwerg hinaus wollte.
„Nuja: Dieset Bier gibbet nur in
Varrindors Bier-Kessel. Eine Schenke nisch weit von hier.“,
erklärte der Zwerg ein wenig Stolz sein Fachwissen genutzt haben zu
können.
„Großartig! Lasst uns da sofort
hingehen!“, sagte Wolfram optimistisch.
Wardur wurde ebenfalls von einem
gewissen Optimismus befallen. Sie hatten immerhin einen Anhaltspunkt,
auch, wenn es unwahrscheinlich war, dass er in einer solchen Stadt
seine Tasche in einem Stück und dazu mit komplettem Inhalt
wiederfinden würde, doch es gab so etwas, wie Hoffnung, dass es doch
so war.
So gingen die Suchenden zu Varrindor,
um mehr zu erfahren und würden Dinge ans Licht fördern, die sie
besser im Dunkeln gelassen hätten.