BARDENSANG ( I )

  • So,


    gibt mal wieder was zu lesen.
    Einfach die Zip Dateien öffnen, würd mich über Feedback freuen.




    Prolog.zip
    Der alte Barde ( Kapitel I ).zip
    Die Pest ( Kapitel II ).zip
    Aufbruch ( Kapitel III ).zip
    Aus der Tiefe (Kapitel IV).zip
    Traute Einsamkeit (Kapitel V).zip


    Brainstorming für Kapitel VI läuft bereits ;)


    Gruß

  • hi
    das intro find ich sehr gut gelungen. geniale idee mit den pocken.. aber willst du nicht lieber pest nehmen? :) glingt grausamer^^
    weiter so! ^^

    :sdummesposting:

    Zitat

    Hörner sehen nicht gut aus – lasst uns stattdessen einen Haufen aus Eiter und Schmiere machen.

    Zitat von Games-Workshop.de in der Anleitung für GreenStuff, wie man Pilze moddeliert.

  • ja, ich finde die geschichte auch ganz gut, würde mich freuen mehr zu lesen ;)

    :bye:




    Sie, die schon von Anbeginn der Zeit Alt waren,
    werden Chaos und unordnung hinwegfegen


    ECHSENMENSCHEN

  • So, eine kleine Fortsetzung von Kapitel IV, viel Spaß.



    Auf leisen Sohlen war die Nacht dem Tag gefolgt und hatte die wenigen optischen Freuden des Winters in ihre dunkelsten Farben getunkt.
    Bedrohlich reckten sich die schaukelnden Baumwipfel gegen den Himmel, riefen ihn zum Kampf auf Leben und Tod,
    rissen Grimassen, suchten ihn zu provozieren, doch ernteten sie nichts als den Spott des ewig Schweigsamen.
    Wie hilflos treibende Fischer im endlosen Ozean blitzten die Sterne am Firmament.
    Doch schienen sie eine kopflose Herde, denn ihr Schäfer verbarg sich unter flauschigen,
    anthrazitfarbenen Decken und schien nicht gewillt, sein Haupt zu zeigen.


    Einsam erscholl der Kriegsschrei des stillen Jägers in einiger Ferne.
    Fast geräuschlos glitt ein Kauz aus dem Tannendickicht, stieß hinab auf die steinharte Erde,
    nur um sich sofort wieder in die Lüfte zu schwingen, ein zuckendes Bündel zwischen den Krallen.


    Filigrane gelbe und rote Akrobaten wirbelten durch die Luft, luden ein zu ihrem fröhlichen Reigen,
    erhitzten die Nacht mit ihrem kecken Tanz. Botho rieb sich die Hände.
    Er und die drei Zwerge kauerten in ihre Mäntel gewickelt um das heruntergebrannte Feuer.
    Kurz nach Einbruch der Nacht war die Temperatur schlagartig eingebrochen.
    Botho streckte sich, zog ein Scheit aus dem Holzhaufen und warf es mit einer lockeren Handgelenkdrehung in die Glut.
    Er hatte die erste Schicht.

    Leises Grummeln drang an sein Ohr, doch schon bald verkümmerte es zu einem regelmäßigen Säuseln.
    Eine strenge Note ranzigen Gestanks lag in der Luft und mischte sich mit den natürlichen Aromen der Nacht.
    Wie kalter Schweiß oder vergilbte Socken, nur stechender.
    Angewidert kratzte Botho ein Stück verbrannten Käse aus den Flammen. ‚Pfui Teufel’.


    Geduldig – gleich einer Spinne – hatte Väterchen Frost sein eisiges Netz geflochten.
    Winzige Eiskristalle bevölkerten die dürren Halme, wucherten an saftlosen Ästen, überzogen alles mit einer funkelnden Schicht.
    ‚Die Welt wird zu einer riesigen Torte – umhüllt von Zuckerguss.’
    Bei diesem durchaus reizenden Gedanken huschte ein flüchtiges Grinsen über Bothos Mund.
    Geschwind schlüpfte er in eine andere Welt. Eine Welt aus Blätterteig und Schokoglasur.
    Bothos Mund füllte sich mit Speichel, doch begannen die Trugbilder bereits wieder zu verblassen.
    Sehnsüchtig starrte er in die Dunkelheit. Wie viele Sommer mochten ins Land gezogen sein,
    seit ein Stück Käsesahne seinen Gaumen gekitzelt hatte? Botho vermochte es nicht zu sagen. Erfolglos wühlte er in seinen Erinnerungen.
    Erst das laute Knacken eines Astes riss ihn zurück in die Wirklichkeit.


    Verkohlt lagen die glühenden Holzscheite im Feuer – knisterten und zischten. Es war das Lechzen der Lohe nach Frischfleisch.
    Wie blutrünstige Kannibalen an einem Knochen, so nagten die flammenden Zungen jede Faser vom Scheit.
    Botho legte etwas Fichten Scheitholz nach, dann stand er auf um hinter dem Eisenross ein dringendes Geschäft zu erledigen.
    Kaum war er aufgestanden schon biss ihn die Kälte in Mark und Bein.
    Seine Gliedmaßen wurden starr und nur unter größten Anstrengungen erreichte er sein Ziel.
    Langsam – mit zittriger Hand – löste er seinen Gürtel.


    Ein unglaublich befreiendes Gefühl. Der Blasendruck ließ nach. Welch Wohltat. Dampfend schoss ein gelblicher Strahl gen Erde,
    schmolz sich durch die Eisschicht und verwöhnte seine Umgebung mit einem Funken Wärme.
    Endlich versiegte der sprudelnde Quell. Ungeduldig – es war unerträglich kalt – schüttelte Botho seinen Phallus,
    dann stopfte er ihn in die Hose.


    Gerade als er zurückgehen wollte, traf ihn etwas Schweres im Rücken.
    Schreie hallten durch die Nacht. Das Surren von Pfeilen - Bogensehnen schnalzten. Ein zweiter Schlag beförderte Botho zu Boden.
    Unsanft schlug er auf der steinharten Erde auf. Reflexartig stützte er sich auf die Rechte und versuchte aufzustehen.
    Ein Tritt in die Flanke presste ihm die Luft aus den Lungen. Gepeinigt krümmte er sich am Boden und wimmerte vor Schmerz.
    Tastend untersuchten seine Hände Rippe für Rippe. „Was zum Henker …?“


    „Pssst!“ Einer seiner Feinde hatte sein Knie in Bothos Rücken gestemmt, den Kopf ganz nah an den seinen geführt und ihm ins Ohr gezischt.
    Der heiße Atem drang stoßweise an Bothos Wange. Sein Widersacher war ihm so nahe,
    dass dessen Haare in Bothos Gesicht fielen und seine Nase kitzelten. Ein Schauer lief über seinen Rücken,
    als er kalten Stahl in seinem Nacken gewahrte. Seine Sehnen spannten sich. Furcht ergriff sein Herz und verschnürte seine Kehle.
    Botho hielt den Atem an.


    Gewimmer mischte sich mit röchelndem Husten. Wenige Schritte entfernt lag Oleg im Gras.
    Er blutete aus einer Wunde am Arm. Der steigende Puls ließ Bothos Adern anschwellen. Hier ging es um Leben und Tod, er musste etwas tun.
    Verzweifelt schielte er zu beiden Seiten. Doch in ebenjenem Augenblick drückte ihm jemand ein feuchtes Tuch vors Gesicht.
    Stechender Geruch terrorisierte seine Nase. Er hustete heftig. Noch bevor Botho sich wehren konnte, fielen ihm die Augen zu.
    Nur noch entfernt nahm er Geräusche wahr, bis sie schließlich ganz verstummten.


    ...

  • Damit die Geschichte nicht sang- und klanglos abstirbt, habe ich mich mal wieder hingesetzt.
    Das Kapitel sollte bis Ende Februar abgeschlossen sein und steht dann selbstverständlich als komplette Word-Datei zur Verfügung.
    Insgesamt hoffe ich die Geschichte bis etwa Mitte des Jahres abschließen zu können.
    Über - vor allem auch - inhaltliches Feedback würde ich mich freuen.
    Viel Spaß beim lesen ....



    Seit etwa einem Dutzend Sonnenumläufen kauerte Botho nun schon wie ein scheues Reh in seinem Verließ.
    Tagtäglich bekam er durch einen schmalen Schlitz unter der Tür seine Gnadenkost hindurchgereicht. Meist gedünstetes Gemüse, süßes Fladenbrot und Wasser.
    Durch ein Fenster über dem Eingang fiel fahles Tageslicht, flutete den hölzernen Raum mit schwachem Schein.
    Doch war es – anders als gewohnt – trübblass. Eine dumpfe Aura breitete sich in dem hohen Gewölbe aus – beklemmend. Sie schien jeden Laut zu schlucken,
    in jede Nische vorzudringen und alles Leben aufzusaugen. Vergeblich kämpfte Botho gegen ein sich rasch ausbreitendes, mulmiges Gefühl an.
    Ein aussichtsloses Gefecht – eingekesselt und ohne Aussicht auf Entsatz.


    Verzweiflung umgarnte Bothos Sinne, lockte ihn mit faulem Zauber.
    Dunkle Einflüsterungen legten die Vernunft in Fesseln, raubten der Gedanken jungfräuliche Bestimmtheit.
    Bedrohlich, düster wie eine Gewitterwolke wucherte der Schrecken - heraufbeschworen von den gespaltenen Zungen in Vergessenheit geratener Fürsten der Nacht,
    welche der Stunde harren, da sie ihre Herrschaft über die freien Geschöpfe wieder an sich reißen, um jene finsterer Tyrannei zu unterwerfen,
    die hunderte Jahre in Freiheit zugebracht.


    Heiße Tränen kullerten über Bothos Wangen. Die Gefangenschaft forderte ihren Tribut.
    Sein Inneres glich einem Trümmerfeld, gebrochen war sein Geist, er selbst kaum mehr als ein Schatten seiner kümmerlichen Existenz.
    Alles was ihm je erstrebenswert erschien, war in unerreichbare Ferne entrückt worden. Seine Suche nach einem tieferen
    Lebenssinn endete abrupt. Nichts wollte ein Weiterleben noch fruchtbringend erscheinen lassen.
    Tiefe Furchen gruben sich in Bothos Seele und begannen seinen Überlebenswillen an ihrer verpesteten Brust zu säugen.


    Pochendes Hämmern durchwirkte die stumpfe Leere. Ein bizarrer, klangloser Rhythmus – anfangs anarchisch, jeder Ordnung widerstrebend,
    gleich einem trotzigen Kind, allmählich sittlicher und in geordneten Bahnen verlaufend.
    Das ursprüngliche Largo – breite und schwere Schläge – fügten sich einem nachdrücklichen Accelerando, welches in ein fulminantes Vivace mündete.
    Wie besessen trommelte der Regen auf den hölzernen Kerker, rüttelte an den Grundfesten elfischer Baukunst.

    Botho ließ sich auf den Boden fallen und zog seine Knie eng an die Brust. Als das infernale Paukenspiel langsam abflaute,
    erhob ein vielstimmiger Chor seine leidschwülstige Stimme zu einer Hymne des Wehs.
    Eine Weise voll unglückseliger Verheißung pinselte in kunstfertigen Linien ein trostloses Bildnis des Gegenwärtigen.
    Jammer und Gram waren die tausendgesichtigen Antagonisten einer zerbrechlichen Zukunftsvision.
    In dramatischem Lento lugrube türmten sich die düsteren Akkorde zu einem bedrohlichen Gemäuer aus Wort und Klang. Stein auf Stein – Ton um Ton.
    Der Hymnus der Lemuren gab Botho den finalen Stoß, der ihn von dem niedrigen Sockel – geformtaus Lebensmut – stürzen ließ, an den er sich geklammert hatte.


    Bothos Finger streichelten die harte Erde und es offenbarte sich ihm eine Welt ungezählter neuer Eindrücke.
    Sämtliche Bewusstseinsschranken schienen überwunden. Er spürte jedes einzelne Körnchen unter seiner Hand.
    Millionen von kleinen Lebewesen bevölkerten jedes Einzelne von ihnen.
    Es wuselte geradezu vor Leben, doch war es keine schöpferische Kulisse, welche sich ihm auftat, sondern die destruktive Kraft der Zersetzung, die an seinen Fingern klebte.
    Bothos Augen quollen aus seinem Schädel. Er konnte den ganzen Raum betrachten, sah jede Holzfaser, jede noch so unscheinbare Kerbe in der Maserung.
    Mit eilendem Schritt näherte er sich dem Delirium.


    Plötzlich schäumte Wut in ihm auf.
    ‚Wieso konnte ich nicht schon immer so sein? Warum musste ich mein ganzes Leben lang leiden?
    Nie konnte ich glücklich sein. Bin ich selbst der Fels der mir den Weg zum Glück versagte?
    Ich hasse mich.’
    „Ich hasse mich!“


    Ruckartig war er aufgesprungen. Geduckt, wie eine in die Enge getriebene Katze stand er da - der ganze Körper unter Spannung.
    Ziellos, die Hände zu Fäusten geballt, begann er in seiner Zelle zu toben. Das Gesicht eine Grimasse von Abscheu, sein Blick seltsam entrückt.
    Ohne eine bestimmte Vorstellung suchte er nach einer Möglichkeit seinem Leben ein Ende zu setzen.
    Schließlich hielt er sich nicht mehr aus. Voll Rage drosch er seine Fäuste gegen die Säule.
    Immer und immer wieder schlug er zu.
    Blut rann von seinen Knöcheln, doch der Schmerz der ihn jäh ergriff war nichts als Stimulans,
    die den Durst eines tief verborgenen Bedürfnisses nach Selbstzerstörung nährte.
    Mit schauderhaftem Knacken barst sein linker Ringfinger.
    „WAH!“
    Botho schrie vor Pein. Erschöpft sackte er zusammen. Er zitterte am ganzen Leib. Wimmernd hielt er sich den grotesk verdrehten Finger.

    Es mussten Stunden vergangen sein, als der Schlüssel im Schloss gedreht wurde und wärmende Helle den Raum flutete.
    „Hab keine Angst, “ schmeichelte ihm eine samtige Mädchenstimme. Jemand beugte sich über ihn und betastete vorsichtig seinen Finger.
    „Steh auf, du musst sofort zum Heiler. Wir stützen dich. Eonir, komm pack mit an.“
    Starke Hände legten sich um seine Arme und schleppten Botho hinaus.
    Eine wunderhübsche Elbin mit kastanienbraunem Haar beäugte ihn mit besorgtem Blick.
    „Gleich sind wir da, es dauert nicht mehr lange.“
    Botho fügte sich seinem Schicksal...

  • Aloa Hobbiisten :)


    Nach monatelanger Arbeit habe ich nun Kapitel IV meiner Erzählung fertiggestellt.
    Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.


    Leise knirscht der unberührte Schnee unter den Sohlen meiner Stiefel. Nur ein schwacher Streifen am Horizont verkündet den ungeborenen Tag,
    der noch mit wonniglicher Ruhe unter Gaias Busen schlummert. Unwirtliche Kälte erfüllt die frühen Morgenstunden,
    doch wie zum Trotze schallt das muntere Libretto der Nachtigall über die Lichtungen. Vorsichtig tragen mich meine Füße über vereiste Bohlen und schneebedeckte Holzplanken.
    Die Bäume gesellen sich in vereinzelten Grüppchen unter die halbkugelförmigen Häuser. Sie neigen ihre Häupter gegeneinander und tuscheln in längst vergessenen Sprachen.
    Die Pfeiler des Lebens nennt sie mein Ohm.


    In der Backstube brennt schon Licht. Rauchschwaden steigen aus dem runden Kamin, wabern durch das Tal, erfüllen die Luft mit leckeren Düften.
    Mit rauen Worten ist mein Hunger erwacht, pocht mit ausfallenden Gebärden gegen den Bauch. Zwei Treppen noch, dann habe ich es geschafft.
    Kurz zögere ich, verweile einen Augenblick vor der Tür und betrachte das riesenhafte Gebäude.
    Um den mächtigen Stamm einer uralten Linde ranken sich Treppengänge und kugelartige Gebilde mit reich verzierten Erkern.
    Aus den Stiegen dringt durch verglaste Spitzbögen fahles Licht.
    ‚Sanatorium’ steht - geschrieben mit schwungvollen elbischen Lettern – auf einem Schild.


    Behutsam drücke ich meine Finger gegen die blanke Eingangstür und schiebe sie auf. Wohlige Wärme strömt mir entgegen.
    Tief atme ich durch, schaue mich um. Auf die gekalkten Wände sind mit kunstfertiger Hand bunte Pflanzenornamente gemalt.
    Das helle Birkenparkett duftet wie eh und je. Fein gewobene Läufer räkeln sich auf dem Boden. Hinter dem Tresen sitzt eine ältere Frau.
    Graue Strähnen durchwirken ihr schwarzes Haar.
    Sie scheint aufmerksam zu lesen, denn ihr gesenktes Haupt vollführt die immer gleichen gemächlichen Drehungen. Mit einem höflichen Lächeln erhebt sie sich.


    „Wie kann ich ihnen dienen?“
    „Ich möchte zu dem Gefangenen, “ erwidere ich, ebenfalls lächelnd. Ihre Mine wird unsicher, forschend. „Der Kontakt mit Gefangenen ist Bürgern untersagt.“
    ‚Nicht zu fassen. Was bildet diese runzlige Kuh sich ein?’ Ein nervöses Kribbeln regt sich unter meiner Brust. ‚Was soll ich jetzt machen? Sie anschreien?
    Ihr meinen Dolch unter die Nase halten? Wohl kaum – zu viel Ärger mit dem Tribunal.’ Amüsiert grinse ich in mich hinein.
    Unschlüssig stehe ich noch immer da. Ich räuspere mich.
    „Chrm… äh…und Kriegern?“
    Die Pförtnerin scheint nun ihrerseits etwas ratlos. Unsicher blickt sie zur Seite.
    „Ja wissen sie…“ Es folgt eine Pause. Niemand sagt ein Wort. ‚Dumme Situation.’
    Nervös nesteln ihre Finger an den Falten des beigen Kleides herum. Um die schlanke Taille liegt ein breiter lederner Gürtel der von einer silbernen Brosche gehalten wird.
    „Warten sie einen Moment, ich geh mal nachfragen.“
    Eilend verschwindet die Frau durch einen Vorhang in einem Türrahmen hinter der Rezeption.
    Kurz darauf erscheint sie wieder, erneut mit einem pflichtbewussten Lächeln auf den Lippen.
    „Zweite Etage, das dritte Zimmer.“ „Danke.“ „Gerne.“


    Noch während ich auf die Treppe zugehe hat sie sich wieder ihrer Arbeit zugewandt.
    ‚Was für ein Kleingeist.’ Höher und höher winden sich die Stufen. Der Duft von Kräutern vermengt sich in abstoßender Weise mit dem fauligen Gestank der Siechenden.
    Die hilflosen Schreie eines Irren dringen durch eine halboffene Tür. Niemand kreuzt meinen Weg. Endlich erreiche ich das Zimmer.
    Erste Sonnenstrahlen streichen den Raum mit sanfter Helligkeit.
    Durchsichtige Vorhänge umrahmen die mannshohen Scheiben. Aufgebahrt in einem schlichten Bett
    liegt er zwischen dicken, runden Kissen in einen heilsam-friedvollen Schlaf versunken. Neben der Tür prasselt leise ein Feuer im offenen Kamin.
    Daneben steht ein Sessel mit weißem Überzug, gewundenen Lehnen und bunten Gravuren.
    Ich lege meinen Umhang über das Tischchen neben dem Sessel und setze mich.


    ‚Was für ein jungenhaft unschuldiges Gesicht.’
    Meine Finger streicheln über die glatten Armlehnen. Stunden mögen vergangen sein. Ich sitze da, betrachte ihn, steche mit meinen Gedanken in ferne Gefilde.
    Plötzlich regt er sich, öffnet die Augen, starrt mich mit offenem Mund an. Ich starre zurück. Etwas Überrascht.
    Wir sitzen da und starren uns an. Unangenehme, beklemmende Stille legt sich bleischwer auf mein Haupt.
    Blind grabsche ich nach den ersten Worten die mir in den Sinn kommen.


    „Wie geht’s?“ Meine Stimme klingt angespannt und aufgesetzt.
    Er legt den Kopf schief, schaut etwas verstört. „Besser, “ stöhnt er, dann reibt er sich den Schlaf aus den Augen.
    „Hast du noch Angst?“ „Nein.“ „Bist du wütend?“ kurz verharrt er in gespenstischer Starre.
    „Vielleicht. Eher enttäuscht.“ Mühsam versucht er sich hochzustemmen, doch seine Arme versagen ihm den Dienst und er fällt zurück in die Kissen.
    „Wie heißt du?“ „Botho.“


    „Woher kommst du?“ Er schluckt, seine Stimme wird brüchig und tonlos. Krampfhaft suchen seine Finger halt an der Decke.
    „Treufurt.“ Ein Schauer durchzuckt seinen Körper, lässt ihn erzittern, doch setzt er ein steinernes Lächeln auf.
    Maskerade hinter der sich Schmerz und Trauer türmen. Es ist ein brüchiger Damm, den Fluten hilflos ausgesetzt.
    Schon zeigen sich erste Risse. Das mit letzter Kraft aufrecht erhaltene Gerüst bricht in sich zusammen.
    „Ich wollte doch nur frei sein. Unabhängig doch geborgen. Aber alle, alle sind sie tot. Meine Schwester, mein Vater, meine Mutter. Ich bin so einsam.“
    Tränen sprudeln zwischen den zugekniffenen Lidern hervor, sammeln sich unterhalb des Kinns und tropfen auf die Bettdecke. Seltsame Schuldgefühle keimen in mir auf.
    „Ich habe versucht den letzten Menschen der mir etwas bedeutet zu finden, doch statt Freiheit und Gesellschaft erwarten mich Kerker und Einsamkeit. Man legt mich in Ketten.“


    Beschämt blicke ich zu Boden. Armer Tropf. Seine Haut ist blass, sein Antlitz wirkt ausgemergelt, geradezu kränklich.
    Dunkle Strähnen hängen ihm ins Gesicht, kleben an seiner schweißgebadeten Stirn.
    „Wieso reist du mit diesen Verbrechern?“
    Verdutzt schaut er auf. Ungelenk wischt er mit dem flachen Handrücken über die verweinten Augen.
    „Die unsicheren Straßen – es war die einzige Möglichkeit.“
    „Um selbst sicher anzukommen schwimmst du im Fahrtwasser skrupelloser Halsabschneider?“
    „Woher hätte ich das wissen sollen? Außerdem haben sie geschworen mich…“
    „Geschworen?“ schreie ich. „Was geschworen? Geschworen unschuldige Händler hinzurichten? Geschworen deinen Säckel in ruhe zu lassen und dafür anderer Leute Hab und Gut zu rauben?
    Du traust dem Schwur eines Tagediebs? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“
    Verlegen stammelt er etwas, doch versagt ihm bald die Stimme. Schuldbewusst verfolgt er die
    rhythmischen Bewegungen meiner Schuhspitze. ...


  • ...


    Ich bereue meinen Wutausbruch etwas und versuche das Gespräch wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
    „Wen suchst du?“ „Einen Barden.“
    „Einen Barden?“ Die unverhohlene Skepsis verleiht meinen Worten autoritären Glanz.
    „Ich kenne ihn von früher.“
    „Und was willst du von diesem Barden?“
    „Dass er mich als seinen Schüler aufnimmt.“
    „Was bitte versprichst du dir von einem Leben als Streuner?“
    „Er soll mir das Erzählen lehren. Mich die Pfade der Einsamkeit führen, mir einen Lebenssinn weisen,
    mir die Wahrheit erzählen. Die Geschichte, die mich seit dem ich sie zum ersten Mal hörte fesselt, mich nicht mehr schlafen lässt und mich in meinen Träumen heimsucht.“
    „Du nimmst also einer Legende wegen die beschwerliche Reise von Treufurt bis hierher auf dich? Wo willst du eigentlich hin? Dammstätt?“
    „Wallenfels.“
    „Eigenartig. Wie kann man sich nur so in eine Sage vernarren?“
    „Es ist nicht die Hülle, es ist die Wahrheit an ihr, die mich fesselt. Ich will sie treffen, Balduin und all die anderen. Ich will die Spreu vom Weizen trennen können.“
    „Und wenn es nun nur ein Märchen ist?“
    „Ist es nicht, das spüre ich. Es ist geschehen. Der Barde sagte, es liege Wahrheit im Kern.“
    Ein unwirkliches Leuchten glimmt in seinen Augen. Fast fanatisch klammert er sich an den vermeintlich rettenden Ast,
    der ihn aus den Fluten zurück an das rettende Ufer bringen könnte.


    Die Sonne scheint jetzt hell, tunkt das Zimmer in Licht und Wärme. Es klopft an der Tür.
    Beide drehen wir unsere Köpfe. Eine junge Heilerin mit blonden langen Haaren tritt ein. Sie trägt ein rechteckiges Tablett mit Essen.
    Freundlich lächelnd tritt sie an das Bett. „Wie geht es ihnen? Haben sie gut geschlafen?“
    Sie stellt das Tablett neben dem Bett auf ein Tischchen, hilft Botho aufstehen und sich an den Tisch setzen.
    Dann schüttelt sie die Kissen auf, nur um kurz darauf auf ebenso leisen Sohlen wie sie eingetreten ist, das Zimmer zu verlassen.


    „Lass’ es dir schmecken.“ „Danke. Auch was?“
    Ich könnte lügen, zurückhaltend höflich ablehnen, doch was hätte das für einen Sinn mit knurrendem Magen jemandem beim Essen zusehen zu müssen, also sage ich ja.
    Verlegen – es sieht bestimmt äußerst dämlich aus – geselle ich mich neben Botho an den Tisch.
    „Honigbrötchen?“ „Lieber Marmelade.“
    Mit zittriger Hand streicht er Fruchtgelee auf eine Scheibe Brot. Fast etwas stolz reicht er sie mir.
    „Wenn ich wieder bei Kräften bin wird es bestimmt besser.“
    „Macht nichts. Der Geschmack zählt.“ Aufmunternd stupse ich ihn in die Rippen. Wir lachen.
    Zurück im Sessel – Waldfrüchte kitzeln lüstern meinen Gaumen – schlinge ich das Brot hinunter. Botho bietet mir ein Weiteres an, doch ich lehne ab.


    Bevor ich ihn verlasse, erzähle ich ihm noch, dass der hohe Rat ihn für unschuldig hält. Er könne also die Stadt nach seiner Genesung in Begleitung verlassen.
    Dann verspreche ich ihm für den Rest seines Krankenaufenthalts ein Büchlein voll illustrer Erzählungen vorbeizubringen.
    Schließlich – die junge Heilerin hat bereits wieder abgedeckt – verabschiede ich mich.
    Noch auf dem Heimweg denke ich viel über diese rastlose und doch so gebrechliche Seele nach. Er fasziniert mich,
    wie ihn die Legenden des Barden faszinieren. Ein unerklärlicher Drang das Unbekannte zu erkunden.
    Seltsam, oder?


    ENDE KAPITEL IV

  • Die sehnsüchtig erwarteten Ferien sind bereits wieder im Sterben begriffen und so will ich die Arbeit dieser erholsamen Tage
    nun präsentieren. Ich hoffe es gefällt. ;)
    (Anfang Kapitel 5)


    Es war einmal ein Elbenkind mit glühenden Wangen und golden schimmerndem Lockenhaar.
    Sein Name ist ohne Belang, so nennen wir ihn Finduin, oder nennt ihn wie Euch beliebt.
    Finduin – so sei er der Einfachheit halben nun genannt – wuchs,
    da man ihn von schützender Elternhand verlassen in einem Weidenkörbchen schreiend vorgefunden – an einem Heim für Waisenkinder auf.
    Zeit seines Lebens war seiner Gestalt außerordentliche Sehnigkeit sowie eine
    für den uneingeweihten Betrachter unergründliche Zähigkeit zuzuschreiben.
    Mit unermüdlichem Fleiß entwickelte er mannigfache Tugenden. Jede einzelne für sich ein
    Geschenk des Herrn und für den alltäglichen Broterwerb mehr als dienlich, doch – das war das
    eigentümliche an Finduin – hatte keine seiner Fähigkeiten ihn vor der ihm anhaftenden Verlassenheit,
    einer ihm nachhetzenden Rastlosigkeit, einer immerwährenden inneren Leere die ihn umgarnte,
    bewahren können.
    Obgleich Finduin im Spiel mit seinen Gefährten, wenn sie in der Heide tollten, über Bäche sprangen,
    sich im Ringen übten, oder schlicht und einfach im Gras der Sonne milde Strahlen genossen, voll des
    überschwänglichsten Glücks war, so fiel er in einsamen Momenten in tiefe Schluchten der Wehmut
    aus denen er erst nach Tagen - zugebracht in eiserner Schweigsamkeit - wieder emporstieg.
    Dies Leben, in dem kein tieferer Sinn als der kindliche Spieltrieb vegetierte, konnte – ja es wollte
    ihn schon gar nicht erst erfüllen.


    Eines Tages war es nun so weit, dass Finduin – im Genuss der Volljährigkeit – dem Haus seiner
    - wie er befand, nutzlosen - Kindheit, ohne eine Träne zu vergießen, den Rücken kehrte, um nie wieder zurückzukehren.
    Er achtete nicht auf die Mondumläufe und so vermochte er nicht zu sagen wie weit ihn seine Beine
    Getragen hatten, als er bei einem greisen Goldschmied zur Ausbildung angestellt ward.
    Aufmerksam folgte er jeder Unterweisung seines Meisters – schien sie auch noch so nebensächlich –
    lernte mit unbeugsamem Eifer, erntete schon bald den Erfolg, welchen Schweiß und Selbstdisziplin in die fruchtbringenden Ackerfurchen gesät hatten.
    Das filigrane Handwerk schien ihm auf den Leib geschneidert. Vertrauensvoll gab der Meister seiner Hände Vermächtnis – zumal er kinderlos geblieben - in die Finduins.
    Auch fand Finduin neue Freunde, die ihn in schwierigen Stunden zu erquicken wussten.
    Er stand in dem Rufe eines redlichen Handwerkers der sich vortrefflich auf seine Kunst verstand.
    Dort, auf dem Gipfel seiner gesellschaftlichen Reputation, geschah es, dass der alte Greis verstarb.
    Finduin weinte bittere Tränen, denn der Alte war ihm wie ein Vater geworden.
    Fortan begann sein ewig währender Niedergang.
    Nach Jahren des Glücks wurde ihm die Arbeit eintönig. Verhängnisvolle Unruhe lauerte immer öfter in den dunklen Ecken seiner Selbst,
    um ihn in unachtsamen Augenblicken hinterrücks zu ergreifen.
    Melancholie packte den jungen Mann, vergiftete seine Seele, entstellte seine Züge.
    Kilometer hohe Luftschlösser ersann er in seinen kühnsten Träumen – gebaut auf Sand und aus
    kruden Phantasien errichtet, nicht Wert auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.
    Nun kam es, dass er eines Abends bei einem Schlummerhumpen im Gasthaus den Schankwirt bei einem Gespräch mit einem seltsam vermummten Fremden belauschte.


    Wirt: … Was? Bei Hamid dem Schattenbärtigen! (Er hatte dies geradezu gerufen und damit erst
    Finduins Aufmerksamkeit geweckt.)

    Fremder: Pssst! So seid doch leise.
    Der Wirt blickte mit verschwörerischem Blick durch den Schankraum.
    Wirt: Die heiligen Äpfel des Tomotides. Ich hab ja schon viel gehört, aber noch nie jemanden
    gesehen, der so aberwitzig gewesen wäre sie stehlen zu wollen.
    Man munkelt ihr Genuss würde unglaubliche Weisheit verleihen.
    Fremder:Nun, wisst ihr wo sie sind, oder wisst ihr es nicht?
    Wirt:Natürlich habe ich so meine Quellen, doch kann ich nur so viel sagen; sucht in den Landen
    der kurzen Schatten an den Lenden der Fruchtbarkeit.
    Doch hütet euch vor den lidlosen Augen die niemals ruhen.
    Fremder:Nehmt dies als Entlohnung.

    Er warf ihm eine Hand voll Groschen hin, dann eilte er hinaus.
    Wirt: Geht mit Gott, doch erwartet keine Hilfe. Aus dieser Torheit folgen wird selbst er euch
    nicht mehr erretten können.

    ‚Die Äpfel des Tomotides’, dachte sich Finduin, ‚das ist es. Weisheit ist der Schlüssel zu Tür und Tor des Erfolgs’, und noch in der selben Nacht schnürte er sein Bündel.


    Finduin wanderte ziellos – mal hierhin, mal dorthin, ohne den rechten Weg zu kennen.
    Niemand den er traf wollte etwas von den Landen der kurzen Schatten, noch von einem Baum der Erkenntnis gehört haben.
    Als er bereits aufgeben wollte trug ihm das Schicksal jene zweifelhafte Bekanntschaft ein, die nur
    zu einem weiteren Stein im Gewölbe seines Mausoleums werden sollte.
    Tagelanger Regen hatte die Straßen geflutet, Flüsse über ihre Ufer treten lassen und die Aussaat von den frisch bestellten Feldern gespült.
    Finduin nächtigte in einem kleinen Gasthaus, in einer Ortschaft deren Namen nicht weiter erwähnenswert und dessen Einwohner nicht anders waren,
    als in jenen landesüblichen Kleinstädten, wie man sie zuhauf verstreut zwischen den naturgemäßen Gegebenheiten finden kann.
    So kam er in mancherlei Gespräch, doch soll hier des Umfangs wegen nur das des inhaltlichen Fortschreitens dienliche in Worte gefasst werden. [...]

  • [...]


    Alter: Ihr seid also der Fremde. Ein Goldschmied, wie ich hörte?
    Finduin: Da mag euch euer Ohr nicht getäuscht haben. Doch verratet mir euren Namen,
    wenn Ihr so gut sein mögt.
    Alter: Nennt mich Kurt den Weisen.
    Finduin: Ein Gelehrter?
    Alter: Das Alter machte mich wissend.
    Finduin: So seid Ihr viel umher gekommen, was?
    Alter: Nehmt wie Ihr es wollt, doch habe ich einige Reiche gesehen, die Ihr nicht einmal mit
    Namen kennt.
    Finduin: Also kennt Ihr das Land der kurzen Schatten?
    Alter: Mag sein. Ich kann mich nicht erinnern. Ganz schrecklich – Altersdemenz.

    Finduin seufzte.
    Alter: Ihr seid doch Goldschmied? Da habt Ihr sicher einigen Besitz angehäuft.
    Finduin: Halsabschneider! Ihr sollt eure Belohnung haben, sobald ich an den Lenden der
    Fruchtbarkeit campiere.
    Alter: Wie Ihr sicher einsehen wollt, bin ich nicht gut zu Fuß und wäre wohl nur eine unnötige
    Last. Nehmt mein ehrbares Wort, dass ich Euch die Wahrheit zu teil werden lasse.
    Finduin: In Gottes Namen, so sagt schon, wo kann ich die heiligen Früchte finden?


    Der Alte beschrieb ihm den Weg, aber nicht ohne Finduin die Hälfte seines Besitzes zu kosten.
    Dieser verweilte noch zwei Tage, dann machte er sich auf; über Berg, durch Wald und Tal.
    In unwirtliche Gegenden und in ferne Länder führte ihn seine Quest.
    Schließlich, thronend auf einem einsamen Hügel, fand Finduin den ihm beschriebenen Baum und
    die Äpfel glänzten golden im Abendrot. Da ward Finduin von Glück erfüllt. Gierig riss er einen Apfel nach dem anderen herab,
    stopfte sie in seine Taschen, dann lehnte er sich zufrieden gegen den Stamm.
    Die Sonne versank am Horizont, die goldenen Strahlen wichen den Schatten der Nacht.
    Moder und Fäulnis webten ihre Netze, fesselten Finduin mit ihren abscheulichen Verlockungen an den Boden, blendeten sein Empfinden.
    Plötzlich, voller Graus schreckte er hoch aus seiner Trance. Entsetzt blickte er auf verschimmelte Äpfel wie sie aus seinen Taschen quollen,
    die Leinenhose tränkten. Angewidert warf Finduin das faule Obst von sich.


    Finduin: Verflucht seist du Schankwirt, verflucht seist du alter Mann, verflucht bin ich, denn das
    Glück versagt sich mir.


    Verbittert ließ er sich in das kniehohe Gras fallen. Lange lag er da ohne ein Glied zu rühren.
    Als er nun alleine im Gras verharrte schien es ihm Engelszungen trügen Botschaften von purer Reinheit an sein Ohr.
    Da beschloss er sein Leben künftig in Demut zu führen. Mit Armut suchte er sich zu kasteien, seinen befleckten Geist von ketzerischen Wirrungen zu reinigen.
    Finduin trat in ein Kloster ein und viele Stunden haderte er seiner Unstetigkeit, einer ihn umtreibenden Ungenügsamkeit.
    Ausgedehnte Wanderungen über das Klostergelände sowie innige Gebete im Kreuzgang des Atriums bescherten ihm Stunden voll seelischer Zwietracht.
    Oft haschte er nach der Weisheit letztem Schluss, doch entwand sich ihm dieser mit glitschiger Leichtigkeit gleich einem zappelnden Aal.
    Es mochte Finduin nicht gelingen sein Ego zurückzulassen und so blieben ihm die Tore der Selbsterkenntnis verschlossen.
    Enttäuscht lenkte er seine Schritte in die Heide, denn nun suchte er des Lebens Sinn an Gaias Brust.
    Und da fand er auf einem Viehpfad einen verdreckten Groschen, der herrenlos dalag.
    Den las er auf, denn er strebte wieder nach Besitz.


    Materiellen Reichtum hatte Finduin zur Heilsalbe seiner Leiden erkoren,
    doch verbannte ihn dieses verzweifelte letzte Aufbegehren lediglich tiefer hinab in die Kerker des seelischen Hades.
    Lug und Trug schafften ihm ein Handelsimperium wie es ohne Beispiel bleiben sollte.
    Finduins Reichtum wurde sprichwörtlich und zog Neider an wie tänzelnde Flammen Motten in der Dämmerung.
    Hatten ihm Gold und Macht anfangs Freunde in Scharen eingebracht, mieden sie ihn
    Später umso mehr als da er sie herablassend behandelte, sie Getier schimpfte,
    das nur um seiner Selbstherrlichkeit willen vor seinen Füßen kreuchen und fleuchen durfte,
    in Stunden, da ihm heuchlerische Gesellschaft willkommen ward.
    Finduin begann alles um ihn herum zu hassen, Elben, Menschen, seinen Reichtum, Heuchler,
    sich selbst.
    Nichts wollte ihn von seiner Krankheit heilen.
    Als er dies erkannte, ging er in die Wälder und setzte sich auf einen Felsen, welcher einsam über einem Tal wachte.
    Dort weinte er bittere Tränen und er hörte nicht eher auf bis das Tal gefüllt war
    bis zum Rand. Dann erstarrte er zu Stein.
    Noch heute kann man in mondlosen Nächten den Klagerufen lauschen, wie sie über die gespenstisch
    ruhige Oberfläche des Sees hallen.


    Mit einem lauten Knall schlug Botho das Buch zu. „Was für ein dummes Märchen.“

  • Eine - zugegeben - 'etwas andere' Fortsetzung von Kapitel V. Bin gespannt was ihr dazu sagt :P


    Genervt schleuderte er es zu seinen wenigen Habseligkeiten, die neben ihm um die glimmenden Holzscheite lagen,
    an denen er sich zu wärmen suchte. Verdrossenheit gesellte sich an seine Seite, schmiegte sich an seinen jugendlichen Leib.
    Kurz verharrte er in gedankenvoller Starre ehe er begann mit einem abgebrochenen Haselbuschzweig energisch in der ausgehenden Glut herumzustochern,
    doch zeigte sich der Flammen Geist desto weniger bemüßigt, seinem heraufziehenden Schlummer abhold zu werden.
    Aufseufzend stieß Botho den Stecken in die lehmige Erde, wickelte sich bis unter das Kinn in seinen Kattunmantel
    und verschränkte seine Arme über den angewinkelten Beinen.
    In dunkle Schleier gewandet stolzierte die Nacht über das karge, vom Winter jeder Lieblichkeit entblößte Land,
    um alles in den Zustand träger Müdigkeit zu lullen. Auf den Lippen die Fuge der Einsamkeit, den Choral des schutzlosen Schlummers,
    das Requiem qualvoller Sphären, streute sie Schlaf in die Augen jedweden Lebens.
    Kitz und Kalb ruhten an den Gestaden kindlicher Geborgenheit. Tier- und Pflanzenwelt verneigten sich vor der mächtigsten aller Königinnen,
    beugten ihr Haupt in Demut, fügten sich ihrem Willen.
    Doch Botho konnte nicht schlafen – noch nicht.
    Zu viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf umher, denn mit Fug und Recht konnte er für sich in Anspruch nehmen,
    noch selten solch aufrührende Momente erlebt zu haben, wie in den zurückliegenden Tagen und Wochen.


    Ich will nun den geschätzten Leser nicht über Gebühr auf der langen Bank vergrätzen und bin dazu geneigt,
    dem Protagonisten selbst das Wort zu erteilen, indem wir seinen Gedanken als stiller, heimlicher,
    wenngleich auch nicht eben unerwünschter Gast, beiwohnen werden.


    „Sechs Tage – oder? – nein sieben, es müssen mindestens sieben sein. Schon eine Woche fern diesem Ort zwiespältiger Erinnerungen.
    Es war ein Abschied auf Raten – Stück für Stück – doch ist es jetzt endgültig vorbei? Bin ich frei von Fesseln, Fesseln der Vergangenheit,
    den scharfkantigen Ketten der Gefangenschaft, dem Würgegriff der meinen Geist fest umschlossen hielt?
    Kann ich noch glücklich sein, oder jemals wieder werden? Wird mich die Trauer ersäufen im rauschenden Strom des Kummers und des Leids?
    Werde ich auf ewig der Verlassenheit drückendes Joch schultern müssen?


    Wen hat mein einsames Herz noch, an den es sich klammern könnte?
    Äonen scheinen ins Land gezogen zu sein, seit Vater und Schwester sich ihres Lebens entledigten.
    Meine Mutter – wie lange ruht sie schon in Gottes Acker? Fressen sich die Würmer schon durch ihr Gebein?
    Saugt der Tod nicht auch schon an meinem Mark? Ich spüre es, wie er an meine Pforte pocht – erbarmungslos und unbestechlich.
    Ein jeder fühlt die Kälte nach seinem Herzen greifen, den frostigen Griff, des dunklen Rachens Odem.
    Gibt es nicht viele Bilder des Todes? Kommt es mehr auf den Künstler, oder den Betrachter an?
    Der Künstler schafft ein Werk, doch ist es der Interpretation des Betrachters unterworfen.
    Verhält es sich mit der Religion nicht sehr ähnlich? Gott schafft den Rahmen, er stattet uns mit riesigen Leinwänden aus und mit schillernden Farben.


    Dann kommen die Gelehrten, die Prediger, Hirten, Demagogen, Aufwiegler, Nutznießer und die Ideologen.
    Sie alle malen mit kräftigen Pinselstrichen ihre eigenen Kunstwerke, mal mehr, mal weniger dem allgemeinen Wohl dienlich.
    Doch bleiben diese Kunstwerke zwangsläufig nichts als leblose Hüllen, ohne den Gläubigen,
    ohne jene die nach der Wahrheit streben und sie in ihrer Eindimensionalität nie erreichen werden.
    Gott hat die Menschen geschaffen – nicht die Religionen, nicht die Sekten, nicht die Kardinäle und am wenigsten die Kirche des Volkes von Gibeor.
    Diesen Hort religiösen Fanatismus, welcher mit der Kongregation des rechten Glaubens seine widerwärtigste Manifestation erfährt.
    Man knechtet das Volk mit Schreckensvisionen. Man zwingt ihm die eigene Sicht des göttlichen Werks auf.
    Und doch glaube ich nicht – kann es nicht glauben und will es auch nicht.


    Der Tod als Schlussakkord allen Lebens? Nichts als eine morsche Stiege in die Abgründe sinnloser Existenz.
    Das Paradies, das Leben nach dem Tod? Wie sollen die mannigfachen Geister menschlicher Existenzen, gereift in einem halben Dutzend Dekaden,
    gewohnt an Arbeit, auf der Suche nach Sinn urplötzlich in eine sinnfreie Existenz entlassen werden können und diese gleichzeitig ohne Murren akzeptieren?
    Müsste dieser Umstand nicht zwangsweiße eine Revolte ersten Rangs in den heiligen Gewölben seiner Unendlichkeit hervorrufen?
    Oder soll der Mensch im Handstreich der Hörigkeit zum Opfer fallen, sich dieses rebellische, eigensinnige, egoistische Wesen einer Ordnung unterstellen,
    die es nicht im Ansatz versteht, die es nicht annehmen will, da es seiner Naturgegebenheit zuwider läuft?


    Diese Überlegungen lassen nach meiner Sicht nur den Schluss zu, dass der physische Tod keineswegs eine Erlösung darstellt.
    Es ist nicht die Endstation des Geistes, nicht das Nest ewigwährenden Müßigganges, sondern eher eine Art Zwischenhalt,
    eine Verschnaufpause zwischen zwei Existenzen, während welcher wir Abstand nehmen können von unseren Gedanken,
    Gefühlen und Gebrechen, aber auch von Erlerntem, Erlebtem, Freunden und Verwandten.


    Nur dies kann den Menschen verpflichten, ja zwingen an den bestehenden Verhältnissen, an der Ungerechtigkeit etwas zu ändern,
    da er ja immer damit rechnen müsste, sich im nächsten Leben am anderen Ende der sozialen Schichtung wiederzufinden.
    Ist nicht jede Form der Religion eine Niederhaltung des Volkes? Verfolgt Glauben nicht als eigentliches Ziel die Ordnung der Gesellschaft.
    Kann uns die Sorge um unser Seelenheil nicht dazu führen – ja führt sie denn nicht zu einem Abstandnehmen von Egoismen und Anarchie?
    Wäre nicht auch dieser Aspekt mit meiner Theorie besser abgedeckt?
    Jedoch müsste die Lebensweise des Menschen zwangsläufig – zumindest wenn man einer positiven Einbringung
    des Individuums in die Gesellschaft Vorschub leisten wollte – Auswirkungen auf seinen Status im nächsten Leben haben.

  • [...]


    Hier müsste man genau definieren, was für den Einzelnen im Rahmen seiner Möglichkeiten als schicklich und was als verwerflich zu gelten habe.
    Der Tod wäre hiermit nichts als eine belanglose Pforte in ein neues Leben, wobei seine gewaltsame Herbeiführung unter allen Umständen als zutiefst böswillig
    und somit als eine verwerfliche Tat gelten müsse. Niemand müsste sich mehr vor dem Tod fürchten.


    Wie es sich wohl mit Zwergen und Religion verhält. Angst vor dem Tod schienen sie zu haben.
    Haben sie es kommen sehen, es gespürt?
    Ihre schreckverzerrten Fratzen, ihre klagenden, blutunterlaufenen, blicklosen Augenhöhlen …“
    Botho würgte, schluckte und spülte mit einem kräftigen Schluck aus seinem Trinkschlauch nach.


    „Nie wieder – nie… wieder. Sie verfolgen mich noch immer. Voll des Vorwurfs suchen sie mich in meinen Träumen heim,
    lauern mir auf, um mein Gewissen zu martern mit ihren stummen Anschuldigungen. War am Ende ich es, der ihnen ihr Leben raubte?
    Ich habe sie gezwungen mit mir zu gehen, doch haben sie nicht selbst den Pfad des Unrechts gewählt? Sie waren es doch, die mich betäubten,
    meine Sinne raubten, um ihr grausames Spiel hinter meinem Rücken auszutragen.


    Sie würden es auch ohne mich getan haben. Muss ich für ihre Mordlust nicht gänzlich unbedeutend erscheinen?
    Ihre Tat wird ganz unabhängig von meinem Verhalten geschehen sein.
    Was kann ein junger Mensch wie ich schon zum Anstifter taugen?
    Müssten sie nicht zwangsweise ganz und gar unbeeindruckt von solch armseligem Geist – armselig gleichsam an Erfahrung und Demagogentum – gewesen sein?
    Kein Zweifel, anlasten kann man mir nichts, will man auch nicht – und doch?


    Was musste das elbische Tribunal auch so unbarmherzig verfahren?
    Aber jeder gesittete Bürger würde bei solch frevelhaftem Verbrechen Zeter und Mordio gerufen haben.
    Hätte der Gerechtigkeit auch auf humanerem Wege Genüge getan werden können? Ist nicht Mord gleich Mord?
    Sollte nicht das Gefängnis schon letztes legitimes Mittel der Bestrafung sein?
    Man könnte Delinquenten zu jahrelanger sozialer Sühne zwingen, sie in Erziehungsanstalten stecken, um sie später als gesundete,
    demütige Untertanen wieder in das soziale Staatsgefüge eingliedern zu können.


    Stattdessen hat man sie aufgeknöpft, noch dazu bar jeder Kleidung und gründlich entstellt.
    Die Augen ausgestochen baumelten sie in den Kronen der Henkereichen. Ihre feisten Schenkel zerkratzt, die Blähbäuche mit teuflischen Runen beschmiert.
    Zeichen des ewigen Schmerzes und der Seelenqual – erklärte mir Mia.


    Wenn ich nur an sie denke… besser ich denke nicht an sie. Ich muss mich ablenken. Die Bäume, sie schauen so bedrohlich, garstig und rau.
    Ihre schlanken Wipfel gründeln in den Tiefen des Firmaments, gleich Stockenten, kastanienbraunen Stockenten, gleich… nein - aufhören.


    Vorbei ist die Zeit, da wir uns in den heiligen Hainen unserer gegenseitigen Gesellschaft erfreuen konnten.
    Da ich gespannt an ihren kirschroten Lippen hing, da mir der Duft ihrer elfenbeinfarbenen Haut schmeichelte, mich in den Zustand äußerster Begierde versetzte.
    Vorbei die Zeit da ich ihren abendfüllenden, geistvollen Reden, ihrem wundersamen, lieblichen Gesang, ihrem virtuosen Harfenspiel lauschen durfte.
    Noch immer hüpft mein Herz, jauchzend vor Entzückung, wenn ich nur an sie denke.
    Ihren wohlgearteten Körper, ihren Geist – scharf wie Damaszenerstahl und tugendhaft wie der des Propheten Jishuan.
    Ein Blick in ihre tiefgrünen, bezaubernden Augen – was würde ich dafür nicht alles geben. Was würde ich für sie nicht alles geben?
    Ihre kleine Brust, wie sie sich auf das lebhafteste hebt und senkt, sobald sie in Rage gerät.
    Wie sich dann ihre schlanken Nasenflügel blähen, sich ihre Brauen nach der kosenden Umarmung sehnen…“


    Botho verlor sich noch in allerlei Schwärmerei, in der er die Vorzüge elbischer Fräuleins – insbesondere einer gewissen,
    ihm sowie dem Leser durchaus bekannten - auf das trefflichste herauszustellen wusste.
    Jedoch will ich den Leser nicht länger mit derart halbwüchsigem Geschwätz quälen
    und in eigenen Worten ihm nun einen kurzen Überblick von so manch zurückliegendem Ereignis verleihen.


    Nach dem ersten Besuch Mias im Spital entwickelte sich eine innige Freundschaft zwischen jener und dem Protagonisten,
    wobei beiden eine Existenz am Rande der Gesellschaft beschieden war.
    Wie Botho es bereits erwähnte verabredeten sie sich des Öfteren zu ausgiebigen Wanderungen durch die Wälder des Großen Forsts.
    Zumeist plauderten sie über elbische Bräuche, Geschichten, Märchen, das Bardenwesen an sich, oder aber Bothos Pläne im Speziellen.


    Obgleich Mia ihn zur Vernunft anhielt, dem Vorhaben den Rücken zu kehren und ein anständiges Leben zu führen,
    lies sich Botho gerade in jene Pläne am wenigsten hineinpfuschen. Stur wies er jeden noch so berechtigten Einwand von der Hand.
    Beinahe wäre die Situation eines Abends eskaliert, hätte Mia nicht in letzter Minute ein Einsehen gehabt.
    Auch wenn es ihr schwer fiel, akzeptierte sie seine Hirngespinste.


    Zweifelsfrei hat sich zwischen sie ein starkes emotionales Band gelegt und ich bin gewogen dem natürlichen Verlauf der Geschichte vorwegzugreifen
    und dem Leser zu eröffnen, dass dies nicht das letzte Mal gewesen sein wird, dass wir von Mia der Elbin erfahren.
    Zum Abschied jedenfalls schenkte die Elbin Botho ein Buch, welches er jedoch mit zunehmendem Widerwillen las und wäre es nicht von ihr gewesen,
    so hätte er es nach kurzer Zeit in den Büchertartarus verbannt.
    Die lehrreichen Geschichten waren ihm von Grund auf verhasst, drohten sie doch sein wackeliges Gebilde aus Wünschen,
    Hoffnungen und Illusionen mit einem kräftigen Windstoß fortzublasen.


    Obgleich Botho seit zwei Tagen wieder auf der Landstraße reiste, war ihm noch keine Menschenseele begegnet.
    Frank und frei gesagt, es wurde ihm etwas mulmig zu Mute, als er selbst die Kate eines Einsiedlers verlassen vorfand.
    Die Einsamkeit nagte an seinen Nerven, gleich dreckige Straßenköter am Gebein eines verendeten Tieres. Doch noch hatte er sich nicht aufgegeben.


    To be continued...

  • Ein kurzer Schluss für Kapitel V


    Obgleich Botho seit zwei Tagen wieder auf der Landstraße reiste, war ihm noch keine Menschenseele begegnet.
    Frank und frei gesagt, es wurde ihm etwas mulmig zu Mute, als er selbst die Kate eines Einsiedlers verlassen vorfand.
    Die Einsamkeit nagte an seinen Nerven, gleich dreckige Straßenköter am Gebein eines verendeten Tieres.
    Doch noch hatte er sich nicht aufgegeben.


    Er schulterte seine wenigen Wertsachen, griff nach dem krummen Wanderstaab und machte sich forschen Schrittes auf,
    der Landstraße Richtung Dammstätt zu folgen.
    Seinem Zeitplan – sofern er sich jemals die Mühe gemacht hätte, einen zu erstellen – könnte Botho aufgrund der
    unfreiwilligen Unterbrechungen wohl nur noch hinterher hecheln. Doch auch so bot sich Anlass zur Eile.


    Mit all seinem natürlichen Pomp hielt der Frühling seinen glanzvollen Einzug. Krokusse sprossen aus dem Erdreich,
    Bienen summten durch die Lüfte, um der schlaftrunkenen Sonne morgenmilder Strahlen aufzuwarten.
    Mit heiligem Eifer stürzten sie sich alsbald ans Werk und vollzogen ihren emsigen Tanz mit den bunten,
    duftüberschäumenden Kelchen der jugendhaften Sprösslinge.
    Botho genoss das lebhafte Treiben in vollen Zügen, auch wenn es ihm wie ein mahnender Wink der Zeit erschien,
    welche unaufhörlich voranschreitet, keine Rücksicht nimmt weder auf ihn, noch irgend andere Lebewesen.

    Seine nachtstarren Glieder schienen durch der Himmelsglut süße Boten von neuer Geschmeidigkeit erfüllt.
    Leichtfüßig schritt er hinan. Seine Sorgen schienen, wenn auch nicht vergessen, so doch Meilen entfernt in einem verborgenen Winkel seines Gehirns,
    gleich einer vergilbten Pergamentrolle ihrer naturgegebenen Kompostierung zu harren.


    Als die Sonne im Zenit stand, gönnte Botho sich eine kurze Rast im flauschigen Gras zwischen zwei knorrigen Eichen,
    deren Alter wohl kein lebendes Geschöpf mit Gewissheit zu bestimmen wusste,
    ohne diese Relikte alter Zeit ihrer Existenz berauben zu müssen.
    Schwerer Laubwalddunst negierte seine Sinne zu Organen tierischer Plumpheit und doch klammerten sie sich plötzlich an diese dunkle Stelle,
    jenen Torbogen inmitten des undurchdringlichen Geästs.


    Ihm gegenüber verschwand ein schmaler, ausgetretener Pfad zwischen dem blassen Grün, welches noch in seiner Wiege schrie und strampelte.
    Neugierde ergriff sein sensibles Gemüt und als er das karge Mahl, bestehend aus hartem Brot und einigen getrockneten Früchten, verzehrt hatte, schickte er sich an,
    dem Rätsel an den Leib zu rücken.


    Nach dem - zugegeben - etwas ungewöhnlichen Kapitel V wird die Geschichte wieder in seichteres Kielwasser navigiert. Genaue Pläne kann
    ich noch keine Verraten, aber irgendwas mit Hauen und Stechen.


    Gruß an meine fleißigen Leser

  • Ein Vorgeschmack auf Kapitel VI. Ab jetzt wird es auch wieder etwas ... spannender, versprochen ;)


    Vorsichtig durchquerte Botho das Rankenportal.
    ‚Wer diesen einsamen Saumpfad wohl angelegt hat? ‘
    Zu beiden Seiten des Weges schien das Astwerk ausgedünnt worden zu sein.
    Auch war er noch halbwegs ausgetreten, was darauf schließen ließ, dass er nicht ganz in Vergessenheit geraten war.
    An zahlreichen Stellen brach Sonnenlicht durch das frühlingslöchrige Blätterdach.
    Und doch reichten die schattigen Flecken, um die Temperatur merklich abkühlen zu lassen. Auf seinem Weg war Botho noch keinem Tier begegnet.
    Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, dass irgendetwas hier nicht ganz stimmen konnte.
    Gerade als er umkehren wollte, erkannte er zwischen dem wuchernden Gestrüpp schemenhaft ein Gebäude.
    An den Rand einer kleinen Lichtung kauerte sich eine hölzerne Köhlerhütte. Nebenan paffte ein mannshoher Meiler seine Gase in die Atmosphäre.
    Kurz verharrte Botho im Halbschatten des Astwerks, dann wagte er sich näher.
    Die kohlrabenschwarze Tür stand sperrangelweit offen.
    Der Geruch von verbranntem Holz flutete die Schneise im zahllosen Heer der Bäume und versickerte an ihren Ufern.
    Eiserne Gerätschaften waren unachtsam gegen die Wand gelehnt worden und hatten Brandspuren in der Maserung hinterlassen.
    Das Reetdach war am Giebel mit Kupferschindeln gedeckt. In ausgewaschenem Blau frönten die heruntergekommenen Fensterläden dem wärmenden Sonnenbad.
    Das Haus schien bewohnt zu sein.
    „Hallo“.
    Botho wartete und als keine Antwort kam, trat er ein. Nur langsam konnten sich seine Pupillen an die plötzliche Dunkelheit gewöhnen.
    Die raue Oberfläche des Türrahmens rieb an seiner Haut.
    „Hallo?“ Forschend sah er sich um. „Ist da wer?“
    Bleiern lastete es auf seiner Brust. Dieser Ort begann ihm Angst zu machen.
    Auf dem rustikalen Eichentisch, welcher aus einer Stammhälfte gefertigt war, stand ein halbvoller Zinnkrug und ein paar angebissene Kartoffeln.
    ‚Jemand der sein Essen stehen lässt, muss einen verdammt guten Grund dazu haben. Ich sollte besser verschwinden. ‘
    Die Türschwelle hinter ihm knarrte. Botho drehte sich blitzartig um. Ein jäher Schmerz raubte ihm die Sinne.
    Alles um ihn herum verschwamm und wurde schwarz.


    Meterhohe Wogen hoben und senkten Bothos Leib.
    Er badete in einem grünen Meer das sich bis zum Horizont erstreckte; über ihm der graublaue Himmel.
    Bei dem heftigen Seegang musste einem unweigerlich schlecht werden. Keuchend rang er nach Luft, denn irgendetwas Schweres drückte auf seinen Magen.
    „Ho, brr, “ vibrierte es in seinem Kopf. „Ausgeschlafen, was? Hoch mit dir, alter Sack.“
    Mit unwiderstehlicher Kraft packte jemand seinen Oberarm und zog ihn hoch.
    „Wer, wo … “ faselte Botho.
    „Halts Maul und krall dich fest.“
    Botho klammerte sich an ein hartes, ledernes Etwas. Langsam lichteten sich die Schleier. Er saß auf dem Rücken eines Pferdes.
    Vor ihm auf dem Sattel hing ein aschblonder Junge etwa in seinem Alter. In sich zusammengesackt grub er seine fleischigen Finger in die Mähne des Schecken.
    Botho spähte vorsichtig über seine Schulter. Das Stampfen der schweren Lederstiefel sowie das Getrampel der Pferde bereiteten ihm Kopfschmerzen.
    „Umdrehen, “ blaffte die unfreundliche, fulminante Stimme.
    Ein Bass von zweifelsfrei umwerfender Marktschreier Markanz, dessen Eigentümer, ein breitschultriger Hüne mit kurzgeschorenem,
    dunklen Haar und einer Boxernase, hinter dem Ross ging.
    Auf den ersten Blick war Botho nur seine dunkle Stahlrüstung aufgefallen sowie ein smaragdgrüner Mantel,
    der ihm über die linke Schulter hing und auf welchem zwischen Schulter und Bauchnabel ein dornenverziertes Kreuz prangte.
    Vor ihnen schritten weitere Soldaten. Alle hatten sie den gleichen Mantel an.
    Hie und da bedeckte eine Celata die Köpfe der Kempen, welche sämtlich mit kurzer Haarpracht gekrönt wurden.
    Celata wie Rüstungen waren ohne Ausnahme von ebenjenem dunklen Stahl gefertigt, gleich dem Harnisch des Riesen in Bothos Rücken.
    Sie folgten noch immer einer Art Saumpfad, jedoch konnte er nicht sagen, ob es sich um den Selben handelte, welchen er ungewisse Zeit zuvor beschritten hatte.
    Erst jetzt bemerkte Botho, dass er jeglichen Gepäcks entledigt worden war.
    ‚Verdammt, das Buch, ‘ schoss es ihm durch den Kopf.
    Doch verwarf er den Gedanken schnell wieder, angesichts seiner aussichtslosen Lage etwas für, oder wider das Buch unternehmen zu können.
    Bis spät in die Nacht waren sie nahezu stumm weitergezogen – gen Norden wie Botho vermutete.
    Stoisch starrte er riesige Löcher in die Gegend, sog die pastellenen Farben in seine Linse, ohne dass sie je in seinem Gehirn angekommen wären.
    Das Raue Fell des Kleppers rieb sein Gesäß wund. Einsames, weit entferntes Vogelgezwitscher drang an sein Ohr, doch er schenkte ihm keine Aufmerksamkeit.
    Irgendjemand drängte sich am Pferd vorbei. Einige der Soldaten hatten Fackeln entzündet, denn die Dunkelheit war schon seit einigen Stunden hereingebrochen.
    Das Geäst welches den Weg säumte wurde lichter und schließlich gab es die Sicht auf eine kleine Ansammlung von Häusern frei, welche sich an einer Furt scharten.
    Sie selbst befanden sich auf einem Höhenweg etwa 50 Meter über dem Dorf, welcher sich in Serpentinen nach unten schlängelte.
    „Haaaalt“, dröhnte es, dass die niedrigen Berge ringsum ein vielstimmiges Echo zurückwarfen. Nicht nur Botho hatte es gehörig erschreckt, auch das Pferd tippelte nervös hin und her.
    „Grimm, herkommen.“
    Ein schlanker, großer Krieger spurtete von vorne an und machte Meldung.
    „Wir haben Kleinholzen erreicht. Die Späher melden die Boote stünden bereit, mein Komtur.“
    „Ausgezeichnet.“
    Der Komtur ließ seinen scharfen Blick einmal durch das Flusstal kreisen.
    „Auf dem flachen Hügel neben dem Dorf schlagen wir unser Lager auf. Beeilung, Grimm.“
    „Jawohl, Herr Komtur.“
    Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Keine halbe Stunde später lag Botho neben dem Aschblonden, an Händen und Füßen gefesselt, im nächtlich-feuchten Gras.
    Ein Krieger schmatzte, gegenüber des kleinen Feuerchens welches er entzündet hatte, genüsslich an seiner Pfeife.
    Ein weiterer lehnte an seinem in den Boden gerammten Schild und stierte in die Nacht.
    Fältchen zierten sein edles Gesicht. Edel gleichsam an Form und Teint. Dunkle kurze Locken, durchwoben von silbern blitzenden Strähnen, umrahmten seine blasse Stirn.
    Trübsinnige, graue Augen lagen in tiefen Augenhöhlen verborgen, als wollten sie sich vor Fremden blicken abschirmen.
    Dezent gestutzt schmiegte sich ein sichelförmiger Schnauzer unter die schlanken Nasenflügel.
    Als der Mann bemerkte, dass Botho ihn musterte lächelte er väterlich.
    „Du musst keine Angst haben.“
    „Was macht ihr mit uns?“
    „Ihr seid die Neuen.“
    „Die Neuen?“
    „Ganz recht.“
    Nun blickte auch der Ritter mit der Pfeife auf. Er war schon relativ alt. Lange Falten züngelten um seine lebhaften, eisblauen Augen.
    Weiße Rauchkringel entwichen seinen geblähten Nasenlöchern und als niemand etwas sagte meinte er:
    „Naja die Neuen eben, “ und ließ ein vielsagendes Achselzucken folgen.
    „Rekruten für den Orden.“
    „Welchen Orden?“
    „Die Dornenkreuzer.“
    Überrascht wandte Botho den Kopf. Dies waren die ersten Sätze des Aschblonden seit Beginn der Reise gewesen.
    „Ein elitärer Ritterorden, der seine Mitglieder aus Waisenhäusern rekrutiert, oder eben …“
    „Durch Entführung?“
    „Für gewöhnlich nicht, aber in deinem Fall scheinen sie eine Ausnahme zu machen.“
    „Zur falschen Zeit am falschen Ort, “ feixte der alte Kempe.
    „Wie kommt es, dass ich noch nie was von diesem ‚Orden‘ gehört hab?“
    Eine kurze Pause trat ein, in welcher der Alte einen tiefen Zug an seiner Pfeife tat, bevor der Schwarzhaarige antwortete.
    „Der Orden tritt nicht gerne in die Öffentlichkeit. Seine Burgen und Festen befinden sich alle im unwegsamen Grenzland.
    Wenige Menschen wissen von seiner Existenz, die Wenigsten von seiner Macht.“
    Gerade als Botho etwas erwidern wollte, fuhr er fort:
    „Seit Jahrhunderten bewachen wir die nördlichen Grenzen. Drängen Eindringlinge zurück, verfolgen Abweichler und Dissidenten.
    Für euch gilt ab jetzt nur noch ein Gesetz. Lebt für den Orden, sterbt für den Orden, oder“
    und hier machte er eine kurze Unterbrechung, um den Beiden einen scharfen Blick zuzuwerfen „sterbt durch den Orden.“
    „Ruhe verdammt.“
    Die Stimme des Komturs hätte Tote aus ihren kalten Gräbern gerissen.
    Ächzend und stöhnend breitete der Alte seinen Mantel aus. „Vermaledeites …, “ grummelte er in seinen Bart.
    Als der gleichmäßig rasselnde Atem auch Botho langsam in den Schlaf zu wiegen begann, drehte sich der Aschblonde zu ihm rüber.
    „Mein Name ist Frank. “ „Botho, “ erwiderte dieser.
    Für Sekundenbruchteile huschte ein schwaches Lächeln über Franks Lippen.
    Sie rollten sich so gut es ging zusammen und schon bald übermannte sie Müdigkeit.