Das warme Licht einiger Kerzen beleuchtet schwach, aber passend stimmungsvoll das festlich geschmückte Wohnzimmer, welches neben einer Lichterkette und Gestecken von einem prächtigen Weihnachtsbaum dominiert wird. In einer Ecke ist flüchtig das zerrissene Geschenkpapier gesammelt worden und durch das Fenster erkennt man trotz der bereits eingesetzten Finsternis die tanzenden Schneeflocken. Die Familie, bestehend aus Mutter, Vater, Sohn und Tochter, sitzt am reichlich gedeckten Tisch und nimmt das Abendmahl ein.
Die weihnachtliche Idylle wird nur unterbrochen von einigen mit Ärger oder Frust gefütterten Kommentaren.
Die Mutter rechtfertigt den trockenen Weihnachtsbraten immer wieder damit, dass man zu ihrer Zeit (wann immer die gewesen sein soll) wenigstens noch Qualität für sein Geld bekommen hat. Gelangweilt kauend geistert der Vater gedanklich gerade bei der alljährlichen Finanzplanung, steht plötzlich auf und ruft seinen Steuerberater an. Selbiger lässt sich offenbar nicht davon stören, dass Weihnachten ist - Geschäft ist Geschäft.
Der Sohn hingegen führt scheinbar immer wieder einen Gedanken lautstark zuende, indem er sich kurz darüber aufregt, bis Montag warten zu müssen, um sein Playstation-3-Spiel umtauschen zu können. Zur Abwechslung fragt er seine Mutter zwischendurch vorwurfsvoll, wie schwer es sein kann, Teil 1 von Teil 2 zu unterscheiden. Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, da der Braten sie im Moment mehr beschäftigt.
Die Tochter, Vegetarier aus Überzeugung (sprich: Seit ihr VIVA-Idol es auch ist) bittet immer dann, wenn eine Bemerkung fällt, zischend um Ruhe. Wie soll man bei dem Lärm auch das Fernsehprogramm verstehen?
Nach entspannten 15 Minuten, von denen die beiden Kinder die zweite Hälte unruhig auf ihren Ikea-Stühlen verbracht haben, ist das gemeinschaftliche Essen vorbei. Der Sohn stürmt in sein Zimmer, um sich die Bushido-CD reinzuziehen (nebst diverser anderer "Dinge"), die ihm sein (vermuteter) leiblicher Vater eine Woche zuvor per Päckchen zugesandt hat. Die Tochter ist bereits mt einem Fuß vor der Haustür, um es sich schnellstmöglich von ihrem aktuellen Freund besorgen zu lassen, als ihr hinterhergerufen wird, sich doch eine dicke Jacke anzuziehen, weil es um diese Jahreszeit sehr kalt sei am Bahnsteig. Mit ihren 13 Jahren denkt sie natürlich nicht von allein an sowas.
Der Vater werkelt bereits an dem flackernden Licht herum, das ihn schon während seiner Verdauungszigarette (also irgendwann zwischen KfZ-Steuer und Hypothek) so sehr gestört hat.
Resigniert räumt die Mutter den Tisch ab und versucht sich vergeblich für den bevorstehenden Abwasch zu begeistern.
Beim Blick aus dem Fenster fällt gerade eine letzte, einzelne Schneeflocke auf den matschigen, von Reifenspuren durchzogenen Boden und verschwindet.