Der folgende Text ist eigentlich nicht mehr ganz taufrisch, da ich ihn bereits bei einem Storrywettbewerb eingereicht hatte. Jedoch hat mich
die damalige Kritik nun dazu bewogen, ihn komplett zu überarbeiten und ihn hier im Forum einem - hoffentlich kritischen - Publikum zu präsentieren.
Gleich vorweg; genaues Durchlesen lohnt, da alle Teile miteinander verwoben sind und sich wie Puzzleteile ergänzen.
Viel Spaß!!!
1. Im Jahre des Verbrechens
Die Nacht der Raben:
[Der Rabe Rin am Waldesrand. Re kommt angeflattert. In der Ferne ein Ritter in vollem Galopp.]
Rin: Wer reitet so spät durch Nacht und Sturm?
Re: Es ist ein räudig‘ Menschenwurm.
Rin: Was trägt er verhüllt vor sich auf dem Ross?
Re: Es ist ein zitternd‘ Menschenspross.
Rin: Was ist dem Ritter so angst und bang‘?
Re: Die Zeit wird knapp, der Weg ist lang.
[Einige Zeit später. Die Raben in der Luft, unter ihnen der Ritter.]
Rin: Was stürmt er hinan in Hast und Not,
da in seinen Armen das Kind liegt tot?
Re: Ein ewig‘ Rätsel bleibt mir der Menschen Tun,
nicht mal die Toten lassen sie ruhn‘.
Aus der Tiefe:
[Irgendwo in den Hallen der Ewigkeit. Trauernde Seele.]
Seele: Sein Gesicht getränkt mit Blut, die kleinen Knie zertrümmert,
ist der Menschen höchstes Gut, an bebend‘ Brust verkümmert.
[Erschüttert tritt ein Verblichener auf.]
Geist: Was hat die Uhr geschlagen, dass Menschen sich so plagen,
die Anderen zu richten, sich selber zu vernichten?
Der verzweifelte Ritter:
[An einem einsamen Hügel. Ritter verscharrt das tote Kind. Raben über ihm im Geäst.]
Ritter: Sigmariten im Hass geeint, schimpften sich gläubig, gar rechtschaffen,
zogen wider den innern‘ Feind, griffen zu Harnischen und Waffen,
sie läuterten Weiber und schlugen das Kind,
verstreuten die Leiber im rauschenden Wind,
schleiften das Dorf, ignorierten Gesetze
und alles nur - wegen EINER Hexe.
Re und Rin im Chor: Was für ein Abend, was eine Nacht,
da der Ritter das tot‘ Kind hat gebracht.
[Ritter geht ab. Re und Rin krähen wie irrsinnig.]
2. Die Leiden des Hauptmanns Kurt
Dumpf drangen Trommelschläge durch die milchigen Butzenglasscheiben, ließen den Staub im einfallenden,
schalen Sonnenlicht zu ihrem Rhythmus tanzen. Die vergilbten Blätter des ledernen Folianten, welcher geöffnet auf einem Tisch lag,
tränkten die stickige Luft mit schwerem Altholzgeruch. Sämtliche Wände des engen Arbeitszimmers waren bis unter die Decke mit
dunklen Regalen gesäumt, aus denen lose Skripte, Pergamentrollen und in Kalbsleder eingebundene Bücher ohne Ordnung aus den Fächern quollen.
Hinter dem mittig postierten, altmodischen Schreibtisch kauerte ein grauhaariger Mann, welcher die faltigen Lider angestrengt zusammenkniff.
Strähnen speckigen Haupthaares fielen ihm ins ausgemergelte Gesicht. Ein zerschlissener Morgenmantel umschlang den schmächtigen,
gebeugten Körper. Die müden Augen versuchte er mit leidlichem Erfolg seinem Willen zu unterwerfen, doch immer wieder verschwammen die
kunstvoll geschwungenen Lettern vor seiner Nase, verbanden sich zu schwarz-beigen Ornamenten nichtssagenden Inhalts.
Schließlich seufzte der alte Hauptmann, gab sich diesem erdrückend übermächtigen Feind geschlagen und richtete sich auf.
Was wollte man auch gegen das Alter kämpfen und sich ernsthaft einbilden, dies mit den Meriten,
wie sie einem erfolgreichen Strategen im Formate des Hauptmanns durchaus gebührten, krönen zu können.
‚Es ist absurd, du alter Narr, ‘ schallt Kurt seine Einfalt. ‚Das Leben ist nun mal keine Horde marodierender Wildorks.‘
Trotz seines hohen Alters neigte er – gleich seinen Vorfahren - nicht selten zu ausufernder Impulsivität.
Schon seit fast einem Dutzend Jahren hatte er seinen Dienst quittiert und fristete nun ein elendes Dasein, da er es versäumt hatte,
sich in all den Sonnenumläufen im Kielwasser des Krieges nach einer geeigneten Lebensgefährtin umzusehen.
Bücher und antike Schriften bildeten seine einzige, ganz und gar klägliche Leidenschaft -
wenn man von einer virulenten Schwäche für Alkohol einmal absah.
Diente ihm der jämmerliche Tod seines Vaters – stockbesoffen hatte jenen der Jähzorn gepackt und kurz darauf der Schlag getroffen –
in jungen Jahren noch zur Abschreckung, so konnte er im Alter die nötige Kraft nicht mehr aufbringen, dem Laster zu entsagen.
Dabei war er ein kluger Mann. Manch einer aus den niederen Gesellschaftsschichten, welchen er sich sehr verbunden fühlte, nannte ihn einen
Gelehrten, doch ließen jene dem wahren Wesen des greisen Hauptmanns kaum Gerechtigkeit widerfahren. Nicht Philistertum schmückte
seine ausschweifenden Monologe, sondern ein geschliffener Geist, welcher sich in den reißenden Fluten des Lebens immer wieder
hatte behaupten müssen. Doch auch jener Intellekt trübte sich zunehmend – sei es durch exzessiven Konsum oder eine gewisse
Lebensmüdigkeit die sich von Zeit zu Zeit - und auch in fortschreitendem Maße - offenbarte.
Die abgewetzten Bretter knarrten unter seinen schlurfenden Schritten.
Rotgolden funkelte feinster Altdorfer Roggenbranntwein in dem kleinen Kristallglas am Fenster.
Kurt umklammerte es mit seinen knöchernen Fingern, sog das rauchige Aroma durch die Nase ein, ließ es in seinem Körper wirken,
seinen Geist beleben. Sonnenstrahlen tasteten nach seinem Kopf, hüllten sein Antlitz in milde Wärme.
Mit einem kräftigen Schluck leerte er das Glas. Ein köstlich-kräftiger Getreideextrakt benetzte seine Zunge,
ehe der Alkohol wie eine Glutwelle die Speiseröhre hinab strömte und ein bestialisches Brennen hinterließ.
Kurt schüttelte sich. „Beim Barte Sigmars.“ Dann wischte er mit dem Ärmel über seine Lippen,
schenkte sich nach und leerte auch das zweite Glas in einem Zug. Abwesend starrte er auf das glänzende Gefäß,
welches das einfallende Licht widerspiegelte. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf, entglitt in einen Ozean voll Erinnerung und Emotion.
Ein Meer ohne Ufer, ein Meer ohne Horizont, ein Meer, das nur in ihm existierte, ganz tief drin und verborgen.
Einst war er ein kühner Mann gewesen. Ordensritter und nach einer beeindruckenden militärischen Karriere
hatte er es bis zum Hauptmann der Reiterei zu Altdorf gebracht. Wie in Trance durchschritt sein Bewusstsein einen unsichtbaren Schleier...
<Waffengeklirr dringt an sein inneres Ohr, das nervöse Schnauben von Pferden.
Plötzlich findet er sich wieder, als junger Reiter inmitten von lodernden Häusern. Der Geruch von verbranntem Fleisch beißt in seiner Nase.
Blut und Fett der Geschändeten mäandern knöchelhoch zwischen den Scheiterhaufen, welche von rußenden Feuersäulen zerfressen werden.
Zertrümmerte Glasscherben glitzern wie Kristalle mitten in all diesem Elend – welch Parodie dieser apokalyptischen Macht.
Verkohlte Gliedmaßen füttern die gierigen Flammen, aus welchen hie und da grotesk verzerrte Fratzen stieren.>
Hastig griff Kurt nach der Schnapsflasche und spülte seine dunkle Vergangenheit hinab.
„Süßer Äther sei mein Gast, auf dass du mich vergessen machst, “ lallte er mit tauber Zunge.
Er hasste die Demagogen, hasste sie ihrer Maßlosigkeit wegen, hasste ihre Doppelmoral, hasste sie weil sie verschleppten,
vergewaltigten, mordeten, und hasste sie, da er ihnen einst ein williges Werkzeug gewesen war.
Er hatte sich benutzen lassen, sich dem Unrecht gefügig dargeboten.
„Mari, “ brüllte er mit kratziger Stimme. „Mari.“
Schüchtern schlüpfte die blutjunge Dienstmagd durch den Türspalt.
„Euer Gnaden, “ lispelte sie mit gesenktem Blick.
„Bring mir ‘nen Klaren, “ grummelte er.
„Jawohl mein Herr.“
Lautlos wie auf Samtpfoten entschwand sie.
Der alte Hauptmann erblickte seinen Hirschfänger, den er zur Dekoration über das Fenster gehängt hatte.
Ehrfürchtig griff er nach dem Kurzschwert, welches ihm in seiner Jugend solch formidable Dienste erwiesen hatte.
<Kaum spürt er den kalten Stahl zwischen seinen Fingern, da starren sie ihn schon an mit ihren eisgrauen Augen. Stumm klagen sie.
Unschuldige Seelen, zu unrecht gerichtet von frommen Teufeln, welche von ihrer Gerechtigkeit besessen waren.>