Nichts regte sich. Eine vollkommene Stille lag über der Tempelanlage Xlanhuapec im Herzen Lustrias. Nicht mal das sonst ständig anwesenden Kreischen der Gelbbrustaras oder das sonore Brummen der Kasuare* war zu vernehmen. Der dichte Nebel, welcher die Stadt immerwährend umschloss waberte leicht ins Innere seines Ruheorts. Hätte er ein Auge geöffnet um aus seiner Kammer zu blicken so hätte er nicht mal einen Meter weit schauen können, so dicht war der Nebel. Aber seine Augen hatte er seit drei Jahrhunderten nicht mehr geöffnet und das war, so empfand er, auch gut so. Endlich konnte er sich seiner Bestimmung hingeben und den Plan der Alten entschlüsseln. Gerade** von seiner Pflicht entbunden, die Stadt permanent mit seiner Magie in Nebel zu hüllen, konnte er sich nun seiner Bestimmung widmen. Ein dicker Faden Sabber löste sich von seiner aus dem Mund hängenden Zunge, landete schmatzend neben dem Rand des 'Stillen Teichs' und durchbrach damit die Stille. Der 'Stille Teich' war seiner Meinung nach der Schlüssel zu dem Rätsel, welches die Alten ihnen aufgegeben hatten. Ein uraltes Artefakt, das die ohnehin schon starken Visionen eines Wesens seiner Zunft um ein Tausendfaches zu verstärken vermochte. Und er war kurz davor die Aufgabe zu lösen, das spürte er. Bald würde sich der Schleier seiner Gedanken ein für allemal lösen und er könnte diese Welt ihrer Bestimmung zuführen. Die Alten hatten ihn auserkoren den Plan zu verwirklichen. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben bei diesem Gedanken.*** Es war keine Regung des Stolzes oder des Hochmutes. Solche Empfindungen waren nicht die seinen. Vielmehr war es die Freude darüber endlich ans Ziel zu gelangen. Ihre gesamte Existenz sollte damit Ihrer Erfüllung zugehen. In seinem Geist manifestierte sich ein Gegenstand. Nach einem Jahrzehnt war er befähigt ihn zu erkennen und er wusste um seine Bedeutung. Dieses Artefakt sollte also einen Baustein zur Erfüllung darstellen. Wieder zuckten seine Mundwinkel.**** Diese Reliquie galt es umgehend zu bergen. Mit einem Bedauern stellt er fest, dass sie sich in den Tiefen von Hualotal, einer längst untergegangenen Tempelstadt am anderen Ende des ‚Großen Dschungels‘, befand. Es gab keine Zeit zu verlieren. Der mächtigste und ergebenste seiner Priester sollte dieses Problem für Ihn lösen. Ja, Chak Tok Ich’aak („Jaguar-Tatze“) war genau der Richtige für diese Angelegenheit. Schnell formulierte er seinen Wunsch und manifestierte ihn in einem Gedanken, den er in Richtung Chak Tok Ich’aaks schickte. Der Gedanke raste in Richtung der zweitauschend Echsen starken Armee, welche Chak Tok Ich’aak unter sich befehligte. Die Erfüllung dieser Aufgabe würde Chak Tok Ich’aak als einen der größten Skinks in die Geschichte eingehen lassen. Der Ruhm, welcher ihm zuteil kommen sollte, wäre unermesslich. Eine große Zukunft lag vor ihm. Bedauerlicherweise starb Chak Tok Ich’aak just in dem Moment in dem ihn der Gedanken erreichen sollte. Stets gewöhnt, dass alles sich seinem Befehl beugte, trieb ihn der Hochmut vor eine Herde Carnosaurier, welche er zu bändigen gedachte, um sie seiner ohnehin schon mächtigen Armee einzuverleiben. Völlig unbeeindruckt, ob dieses kleinen, wild gestikulierenden Wesens, verschlang das Alphatier des Rudels Chak Tok Ich’aak mit einem Biss.*****
Der Gedanke, nun ziellos, wusste nichts so ganz mit sich anzufangen und irrte kurzzeitig umher. Auf seinem Weg streifte er ein Teradon, welches gerade auf der Jagd war. Die pure Magie des Gedankens, beeinträchtigte dieses unbedarfte Wesen dermaßen, dass es sich, befüllt von dem Wunsch des Slanns, auf die Suche nach dem Relikt machte. Leider ist das Wesen eines Teradons so einfach gestrickt, dass es der Aufgabe selbstredend nicht gewachsen war. In seiner Bestrebung seine neue Bestimmung zu erfüllen flog es mehrere tausend Kilometer bis nach Naggaroth, wo es , halb verhungert, (unglücklicherweise) für Versuchszwecke dunkler Magie von den Dunkelelfen gefangen wurde. Aber damit sollte der Wunsch des Slann nicht vergangen sein. Schnell fand der Gedanken wieder zu sich und schoss durch die Urwälder Lustrias. Sein Ziel: Der nächstbeste Priester, es galt ja jemanden mit einer Aufgabe zu versehen. Nennt es nun Schicksal oder Zufall. Diese alles entscheidende Aufgabe schlug in den Kopf Siyaj Chan K’awiils ("Stürmischer Himmel"), welcher sich mit seiner kleinen Gruppe von Grenzwächtern an der Vampirküste aufhielt. Unter den Priestern war er verpönt, er war nicht wie die anderen seines Geschlechts als einziger aus dem Teich gestiegen, sondern als sechzehnter einer Kohorte. Dennoch trug er die Magie in sich. Nun mit einer Aufgabe versehen, machte er sich auf den Weg nach Hualotal…
*Lästige, riesige und sehr wehrhafte Laufvögel, welche sich angewöhnt hatten die Nähe der Skinkpatrouillen zu suchen um diese dann mit ihren tiefen Rufen zu plagen. Die Versuche der Skinks dies zu unterbinden endeten stets dramatisch. Es kursieren sogar Gerüchte um einen zu Tode getrampelten Skink.
**'Gerade' ist relativ im Leben eines Slann Magierpriesters. In diesem Fall bedeutet es 150 Jahre.
***Vor Schrecken erlitten zwei jüngere Skinkwachen, welche diese Bewegung beobachteten, beinahe einen Herzinfarkt. Er hatte sich in ihrem gesamten Dasein als Wachen noch nie bewegt.
****Diesmal erschrak niemand. Die beiden Wachen dienten bereits seit Jahren wieder in den Patrouillen außerhalb der Tempelstadt. Sie waren für ‚nicht würdig‘ erachtet worden. Es wird erzählt, einer von Ihnen fiel einem Kasuar zum Opfer.
*****Tatsächlich ging Chak Tok Ich’aak somit in die Geschichte ein. Kein anderer Priester vor und nach ihm war dermaßen hochmütig gewesen und somit galt er fortan an warnendes Beispiel für die jüngeren Generationen an Priestern, ihre Position sich nicht zu Kopfe steigen zu lassen. Überlieferungen berichten, dass lediglich zweihundert Echsen der Armee den Ansturm, der in Raserei geratenen Carnosaurier, überlebten.