Die schiere Lust hat mich überkommen, als ich in meinem alten Bretonenarmeebuch blätterte, der Affäre um den falschen Gral einen eigenen, frischen Akzent zu verpassen. Und herausgekommen ist dieser Ansatz zu einer 4-teiligen Kurzgeschichte. Kritik (noch dazu konstruktive) ist ausdrücklich erwünscht.
Die Platzhalter werden sich dann die Wochen füllen.
I. Die Rückkehr
Schneidend peitschte der Nachtwind gegen seinen Helm.
Mit eisigen Fingern umklammerte Gerald die raue Reling auf dem Wetterdeck.
Die Gischt spritzte über das Boot. Wieder und wieder hatte er seinen Oktanten hervorgeholt,
bis sie endlich auftauchte, diese fleckige alte Dirne, welcher all sein Streben galt.
Der bretonische Korsar pflügte durch die meterhohen Wellen. Dröhnend entlud sich die geballte Energie des Meeres an der Brandung.
Und doch lag der geisterhafte Klang von Musik und Gelächter in der Luft, wehte herüber, lullte die wackeren Seeleute in düstere Schleier.
Immer zu Winteranfang konnte man diesem toten Amoklauf lauschen.
Es war ein Nachhall der grenzenlosen Dekadenz früherer Herrscher dieses Landes.
Die Stadt war tot. Wie ein vergoldeter Pokal dessen Lack abblätterte,
schälten sich die einst weißen Gemäuer und offenbarten dem Betrachter ihr verrottetes Fleisch.
Brüchige Lehmziegel und morsches Holz quollen gleich eitrigen Geschwülsten durch den ergrauten Putz.
Kein Licht, kaum Schiffe, der Hafen war verwaist. Verlassen kauerte er in der Scham der einstigen Metropole.
Krampfhaft zappelte er nurmehr - oder sollte man sagen: noch? – im Würgegriff übel riechender Seepflanzen,
welche von ihm Besitz ergriffen hatten. Langsam aber sicher kroch er seinem Tod entgegen.
Im grellen Mondlicht huschten lange Schatten über die Docks. „Vermaledeite Ratten.“
Man hatte mit den Skaven rechnen müssen und er hatte mit ihnen gerechnet.
Gerald taumelte über das schwankende Schiff. „Kanonen laden und fertig machen zum Landen.“
Hektisches Gewusel entstand und kurz darauf schritt sein erster Offizier, ein blasser und schlaksiger Mann auf ihn zu.
„Kanonen geladen.“
„Zielt auf die Schatten.“
„Jawohl mein Herr.“
„Dann nehmen wir Kurs auf die Flussmündung. Wir gehen am nördlichen Kai von Bord.“
Stumm nickend wandte sich der bretonische Edelmann ab.
Was war es doch für ein Glücksfall gewesen, dass ihnen diese Bande einfältiger Taugenichtse das Boot nahezu freiwillig überlassen hatte.
Bretonische Schiffe waren für solch schnelle Überfälle perfekt geeignet.
Sie waren wendig und verfügten über eine Bewaffnung die es Geralds Mannen ermöglichte, das Ungeziefer,
welches sich hier eingenistet hatte, in seine Löcher zu bannen.
‚Ach du mein Mousillon, wie lang ist‘s nun her, seit ich deine welken Blüten das letzte Mal roch?
Wie schmerzt es doch mein kaltes Herz, dich leiden zu sehen.
Nicht mehr lange und du, meine holde Braut, wirst dich wieder in deinen kostbarsten Gewändern schmücken dürfen, ‘ schwelgte Gerald.
Der Korsar ächzte unheilvoll. Nur noch wenige hundert Meter bis zum Ufer. Der Steuermann drehte bei.
Geralds Sehnen spannten sich. Wie ein Leuchtturm ragte seine gepanzerte Faust in den aufgewühlten Nachthimmel.
Gerade als die Schatten sich zwischen den eingefallenen Kontoren mehrten, fuhr der Arm nach unten.
Krachend spuckten die schweren Bronzerohre Tod und Verderben. Leuchtende Brandgeschosse zerrissen die brüchigen Fassaden der Hafenanlagen.
Salve um Salve erschütterte die klirrend kalte Wintersnacht.
Kreischend hechteten Rattenmenschen in die tosende See und schon bald brannte das ganze südliche Hafenviertel lichterloh.
Beißender Gestank von versengtem Haar wehte vom Ufer her.
Der Hauch eines grimmigen Lächelns huschte über Geralds Gesicht, doch blieb es aller Welt verborgen.
„Fertig machen zum Landen!“ brüllte er.
Mit zielsicherer Leichtigkeit strebte das Schiff durch die qualmenden Rußwolken auf das Ufer zu.
Nur noch wenige Meter. Ein kurzer Kampf gegen die Strömung der Grismerie, dann rief er:
„Segel einholen und Enterbrücken runterlassen.“
Ketten rasselten und dumpf donnerte die Holzplanke auf die alten Steinquader.
Taue wurden an den rostigen Pollern festgezurrt. Polternd stürmten schwer gepanzerte Ritter über die Brücke an Land.
Er hatte es geschafft. Er, der von allen nur belächelt worden war.
Er, Gerald, den sie gehänselt hatten wegen seinen schmächtigen Schultern und seiner anrüchigen Herkunft.
Bespuckt hatten sie ihn, Narreteien schimpften sie seine ehrgeizigen Pläne. Doch er würde es ihnen zeigen.
Allen würde er es zeigen. Noch in tausend Jahren sollten die Barden seine ruhmreichen Taten besingen.
Gerald zog sein Schwert. „Für Mousillon!“
„Für Mousillon, “ riefen seine Mannen und ihre schwarzen Rüstungen schimmerten matt im fahlen Mondlicht.
II. Der steinige Weg
Jahrelang hatte Gerald sich auf diesen Tag vorbereitet. Wochen und Monate hatte er in stickigen Archiven gekauert,
alte Pläne und Karten studiert. Wie viele Stunden hatte er wohl zugebracht im Sattel seines treuen Kleppers,
auf der Suche nach willigen Mitstreitern? Und dann die Scherereien mit dem korrupten imperialen Pöbel,
als er die Sprengladungen aus Nuln importieren musste.
Vielleicht hätte er sie zur Strafe nicht gleich bei lebendigem Leibe häuten sollen,
dann wäre ihm die überstürzte Flucht womöglich erspart geblieben.
So stand er nun da, mit seinen fünf lumpigen Tonnen Schwarzpulver. Doch es musste einfach klappen.
Er war nicht der Thor zu glauben Mousillon beherrschen zu können – noch nicht.
Vielmehr strebte er nach Ruhm und nach den sagenumwobenen Artefakten im Inneren des versiegelten Palastes.
Wenn es nötig sei, so würde er sie gar dem widerauferstandenen Maldred aus seinen knöchernen Klauen entreißen.
Zwei Dutzend Ritter, zumeist junge Heißsporne aus dem Umland von Mousillon, hatten sich Gerald angeschlossen.
Dreißig Bauern waren zwangsrekrutiert und fünf Knappen für teures Geld bei Graf Burden angeheuert worden.
‚Formidable Späher, mein alter Freund. Die kann ich nicht so einfach entbehren und noch unendlich schwieriger ersetzen.
Unter 500 Talern ist da nichts zu machen. ‘
„Dreckiger, fetter Schuft, “ dachte sich Gerald und dann hatte er sie doch erworben.
Gerade rollte eine Gruppe Bauern die Fässer an Land. Es durfte nichts dem Zufall überlassen werden.
Sollten sich die Legenden bewahrheiten und tatsächlich alle Ausgänge mit Steinquadern verbarrikadiert worden sein,
so musste man sich den Weg eben freisprengen.
Untugendhaft, aber praktisch.
„Chlodec!“
Sofort stand er vor ihm, sein treuer Offizier und Freund.
„Chlodec, “ sagte Gerald etwas gedämpft, „nimm die Späher mit und erkunde die Straße bis zum alten Markt.“
„Gerne, euer Hochwohlgeboren.“
Sie mussten sich beeilen. Zwar hatten die Ratten einen gehörigen Schrecken bekommen,
als ihre Brüder von den Kanonen zerfetzt worden waren, doch schlimmere Übel lauerten noch in den Gassen.
Schatten, deren Aufmerksamkeit man besser nicht erregte.
Die Ritter hatten bereits die Seitengassen gesichert.
Als die Sprengtonnen endlich auf kleine Handkarren verladen waren rief Gerald:
„Sammeln. Fünfzehn Bauern vorne, Fünferreihen, fünfzehn hinten. Ritter von Bretonia,
ihr bildet den Cordon um die Ladung. Gilles und Grilles ihr kommt mit mir.“
Dann stob er an die Spitze der kleinen Kolonne und auf einen Wink hin begann der Trommler sein blechernes Lied.
Im Takt hallten die dumpfen Schritte durch die modrige Luft.
Ein Gestank wie toter Fisch verpestete ihre Lungen. Gelbes Moos und Schimmelpilze wucherten an den einst lieblichen Fassaden.
Feucht und doch ganz eisig kalt kroch die Nacht unter ihre Rüstungen.
Und immerzu die schauderhaften Klänge des tobenden Balls, der doch nicht toben konnte.
Achtsam zuckten seine Augen hinter den Sehschlitzen seines Vollhelms.
Neben Gerald gingen die Zwillinge. Gilles und Grilles waren vielleicht seine bedeutendste Errungenschaft gewesen.
Sie waren außerordentlich geschickte Kämpfer, zäh und unzertrennbar.
Ihnen wohnte diese unzähmbare Wildheit derer von Mousillon inne. Die Schilder trugen sie auf dem Rücken,
um mit zwei Streitkolben auf den Gegner einzudreschen.
Gerald kannte den Weg auswendig. Wie mit einem Brandeisen hatte er ihn sich in sein Gehirn gepresst.
Von den Docks aus musste man einer schmalen Gasse bis zum Untermarkt folgen, danach führte die Grande Avenue direkt zum Schlossberg.
Gerade hatten sie die erste Engstelle passiert, als ein ziemlich aufgewühlter Bauer von hinten aufgerückt kam.
„M..Herr, “ nuschelte er mit seinem zahnlosen Gebiss, „da sin‘ so Gesichter in d’n Fenster drin‘. Die schaun uns so an.“
‚Du erbärmlicher Trottel, ‘ dachte Gerald und wusste nicht, ob er Abscheu oder Mitleid haben sollte.
„Sind die verfluchten Bewohner von Mousillon. Beobachten uns schon die ganze Zeit. Die werden uns nicht behelligen.“
„Wollte nua…“
„Schon gut. Zurück auf deinen Posten.“
Vielleicht war es doch ein Fehler, den bäurischen Aberglauben zu befeuern und sie jedweder Bildung fernzuhalten.
Nun musste man also das Fallobst der Gesellschaft, welches man selbst herangezüchtet hatte, so gut es eben ging verwerten.
Gerald war jedoch auch etwas aufgefallen. Der Gestank hatte sich verändert. Es roch mehr nach Kot und Harn – ein schlechtes Zeichen.
„Haltet Augen und Ohren offen, “ zischte er den Zwillingen zu.
Und in ihm erwachte etwas. Groß und viehisch regte sich sein zweites Selbst. Seine Sinne schärften sich.
Lange konnte es nicht mehr dauern und er würde seine erste Schlacht in den greisen Mauern Mousillons schlagen.