So, nun mal etwas von mir.
Sollte eigentlich für den Geschichtswettbewerb sein, aber es ist ganz einfach zu lang ausgefallen - deshalb hier ausser Konkurrenz
Der Schwarze Herzog
Das Feuer in dem großen, mit einem Adlerwappen versehenen Kamin war schon fast heruntergebrannt, als die letzten Töne der Laute im Raum verklungen. Verhaltener Applaus echote durch die Halle als sich der junge Spielmann tief vor der hohen Tafel verbeugte, an der sich die Familie des Barons versammelt hatte.
"Sehr schön," klatschte Baron von Raukopf, "wir danken euch dafür uns so einen kurzweiligen Abend beschert zu haben. Ich muß sagen, das ihr über ein recht ungewöhnliches – doch sehr bretonisches Repertoire verfügt." In der Stimme des Barons schwang so etwas wie Herablassung mit. "Och Vater," widersprach ihm die älteste Tochter, die bereits den Familienabenden beiwohnen durfte, "es war so eine romantische Geschichte, wie sie eben nur in Bretonia vorkommt." Der Spielman verbeugte sich ob dieses Lobes noch einmal separat vor der adeligen Tochter und schenkete ich ein spitzbübisches Lächeln – schließlich hatte das Mädchen den Spielmann schon den ganzen Abend lang mit ihren tiefbraunen Augen angeschmachtet.
"Nun," erwiderte der Vater bestimmt, "wir hier im Reikland sind da eher handfestere Geschichten gewohnt." Nochmals verbeugte sich der Spielman vor dem Baron. "Wenn Eurer Gnaden gestatten, mache ich mich jetzt wieder auf den Weg, es ist noch weit bis Altdorf…" "Aber nein!" warf die Tochter erschrocken ein, "es war so ein Glücksfall der euch an diesem Winterabend an unser Tor geführt hat! Ihr dürft noch nicht gehen! Bitte, noch eine Geschichte – zum Abschluss?" "Meine Tochter hat Recht," warf die Gemahlin des Barons
warmherzig ein, "Ihr habt uns einen gar wunderbaren Abend beschert, Spielmann. Wir können euch nicht ohne einen denkwürdigen Abschluss entlassen." "Ja! Etwas gruseliges zum Abschluss!," ereiferte sich die Tochter.
Wieder lächelte der Spielman im Halbdunkel der Halle verschmitzt, und legte die langen Finger seiner Hand auf die Seiten seiner Laute. "Dann will ich Euch nicht enttäuschen. Ich kann Euren Wünschen nachkommen, hohe Herrschaften, aber das ist nicht ohne Risiko..." warnte er. "Spielt." kommandierte der Baron von oben herab. "Nun denn," erwiderte der Spielmann, "Ihr habt es so gewollt. Ich werde Euch zum Abschluß noch eine Geschichte aus dem fernen Bretonia erzählen, eine Geschichte um Liebe, Verrat, Verzweifelung und Tod." Und mit einem Seitenblick auf die hohe Standuhr die bereits nach Elf anzeigte, ergänzte er: "Eine Geschichte der späten Stunde angemessen. Sie lautet: Der Schwarze Herzog…" Und zugleich zupften seine langgliedrigen Finger an den Saiten der Laute, und entlockten ihr einen tief melancholischen Moll – Ton.
Last mich erzählen von einem Lande fern,
von einer Geschicht die ich nicht erzähl gern,
aus dem fernen Bretonia sie stammt,
und ob dem ich nun walte mein trauriges Amt.
Von einem Manne ich erzählen will,
und so kann ich nicht bleiben still,
ein großen Herzog will nennen ich ihn,
dem dereinst die Sonne nicht länger erschien.
Voll Trauer kniet er am Sarge und Leib,
der einst war gewesen sein geliebt Weib,
Verzweiflung und Elend echoten dann
durch die dunklen Hallen der Burg zu Mousillon…
****
Herzog Gaston de Verre, Herr von Mousillon und aller Ländereien so weit das Auge vom höchsten Turm der Feste blicken konnte, weinte. Er weinte bitterlich und die Tränen liefen ungehemt über sein faltiges, markantes Gesicht und sammelten sich zu Fuße des Ebenholzsarges in dem der Leib seines geliebten Weibes Eugenie ruhte.
Der Herzog hatte sich alleine mit dem Leichnahm seiner Frau in die Burgkapelle zurückgezogen und nur die Dienerin der Herrin des Sees leistete ihm Gesellschaft. "Trauert, Gaston, aber verzweifelt nicht. Alles was geschieht ist vorherbestimmt. Habt Vertrauen in die Herrin des Sees." Das verweinte Gesicht des Herzogs zuckte hoch. "Vertrauen? Vertrauen?! Ich habe vertraut! Wir haben vertraut! Dreißig Jahre lang haben wir gehofft, vertraut und gebetet – hier in dieser Kapelle, an diesem Ort! Und doch sind unsere Gebete nicht erhört worden. Kein Sohn – kein Kind, nicht einmal eine Tochter! Sprecht mir nicht von Vertrauen, Priesterin!"
Der Ton in Gastons' Stimme war bitter und wütend – nicht umsonst nannten ihn Viele, auch viele seiner eigenen Ritter, hinter vorgehaltener Hand einen Choleriker. "Ihr seid verbittert und wütend, Gaston, doch das gibt euch kein Recht so über die Herrin zu sprechen. Und Gebt Ihr nicht die Schuld an euren verlorenen Hoffnungen, sucht sie eher bei euch selbst – denn es wart ihr, der Eugenie vernachlässigt hat." "WAS!" brauste der Herzog auf. "Nun, ihr wart selten genug hier, und noch seltener in dieser Kapelle." Der Herzog erhob sich und schüttelte die Faust. "Ich stand im Feld! Fünfzehn Jahre lang habe ich den Kampf gegen die Orcs des Massifs geführt! Fünfzehn Jahre lang habe ich das Reich verteidigt! Ich habe bei Wind und Wetter da draußen im Massif gestanden, habe im Dreck geschlafen und Krumen gefressen während Andere in seidenen Betten gelegen und auf Bällen getanzt haben! Jedem Einfall von Tiermenschen bin ich begegnet, jedem Drachen gefolgt, jeden Riesen erschlagen! Ich tat es für König und Reich!"
"Und für euren eigenen Ruhm. Das wollen wir doch nicht vergessen, oder? Tatsächlich habt ihr es nie lange auf dieser Burg ausgehalten. Ihr habt euch nach euren Feinden verzehrt – nach Nachricht von einem Überfall gelechtzt und seid sofort aufgebrochen wenn auch nur das Gerücht erging das sich etwas Dunkles regte. Dabei habt Ihr Eugenie so gut wie vergessen. Sie hat hier gebetet – jahrelang. Für euch und für ein Kind, aber ihr habt sie immer abgewiesen. Nein Sire, es war die Ruhmsucht eurer jungen Tage, die euch kinderlos gemacht hat – nicht die Herrin."
Gaston stand mit hängenden Schultern da. Auch wenn er zu Wutausbrüchen neigte, war er doch kein schlechter Mensch. Und er kannte seine Fehler, vielleicht besser als jeder andere. "Ihr habt Recht. Vielleicht habe ich Eugenie zu Beginn unserer Ehe nicht genug beachtet – aber ich habe sie geliebt." Die Züge der Pristerin wurden weich. "Vertraut auf die Herrin, Gaston. Noch ist es nicht zu spät. Betrauert Eugenie aber lasst euch nicht von eurer Trauer brechen." Der Herzog, immer noch ein stattlicher Mann mit seinen fünfundfünfzig Jahren, sank auf eine Bank hinab. Dann deutete er auf sein Gesicht. "Das ist so leicht gesagt. Seht mich doch an. Meine Haare sind weiß und mein Antlitz gegerbt. Mir fehlen auch schon Zähne. Wer will mich denn noch haben?" "An eurem Hof gibt es zahlreiche heiratsfähige Damen." "Ja, hier gibt es heiratsfähige Damen. Hübsche Damen. Aber wenn sie mich sehen, dann begegnen sie mir mit Erfurcht und Distanz. Ich sehe es genau in ihren Augen. Sie sehen in mir ein altes Schlachtross – einen Großvater!"
***
Das helle Klirren der Pokale schallte durch die Privatgemächer des Herzogs. Der Graf von Eu stand ein wenig verlegen vor dem Kamin an dem er sich seine alten, fleckigen Hände wärmte, und ab uns zu an seinem blutroten Burunder nippte. "Also mein alter Freund, was führt euch an meinen Hof? Ihr wart selten genug hier," fragte der Herzog , der es sich in einem ausladenden Sessel bequem gemacht hatte. "Sire, es ist mir unangenehm. Ich muss euch um etwas bitten, was ich eigentlich selbst regeln sollte, jedoch erscheint mir dies die einzige Möglichkeit." "Sprecht weiter, alter Freund, ich bin ganz Ohr." "Es… es geht um meine Tochter. Meine Jüngste – Eugenie." Ob des Namens ruckte der Kopf des Herzogs hoch. "Ja…?" bohrte er vorsichtig weiter.
"Sire – sie ist unsere Nachzüglerin. Wirklich die Jüngste. Alleine aufgewachsen, nur mit Büchern – Helden und Rittergeschichten. Sie glaubt verzweifelt an diese Ideale – sie ist vernarrt und uneinsichtig. Wir werden ihr ganz einfach auf unserer Burg nicht Herr." "Warum verheiratet ihr sie dann nicht?" "Äh – das ist der delikate Teil. Sie hat mir in einem unbedachten Moment das heilige Versprechen abgenommen, das sie ihren zukünftigen Gemahl selbst wählen darf – ganz wie in einem ihrer Bücher. Ich kann ihr das nicht abschlagen. Und deshalb… und deshalb bitte ich euch sie an den Hof zu nehmen, damit sie sich hier einen wackeren Recken aussuchen kann. Ich bitte euch wacht über sie, wie ich es tun würde – damit sie keinen Fehler begeht, den sie später einmal bereuen würde."
"So wie ein Vater also," sprach der Herzog gedehnt. Der Graf nickte. "So wie ein Vater." Der Herzog stand auf und trat mit einem warmen Lächeln auf seinen alten Freund zu. "Nun denn. Dann lass ich sie mal von einem wackeren, noblen, präsentablen, heiratsfähigen Recken abholen, nicht wahr?"
***
Die Große Halle der Feste von Mousillon war angefüllt mit Gelächter und Frohsinn. Der Herzog hatte anscheinend seine Trauer überwunden und gab für seinen Hof ein Fest um die dunklen Schatten des Spätwinters zu vertreiben, so wie er auch hoffte die Schatten seiner eigenen Seele damit zu vertreiben. An langen Tischen speisten die adeligen Damen und
Herren, und der Hofnarr sorgte für Amüsement mit seinen Späßen und seinen frechen Liedern, die er mit seiner alten, kupferbeschlagenen Laute begleitete. Die Hohe Tafel war neben dem Herzog besetzt mit Ehrengästen und Gaston de Verre gab sich Mühe ebenfalls froh und gesellig zu erscheinen. Nur die Dienerin der Herrin, die selbstverständlich über einen Sitz an der hohen Tafel verfügte, spürte seinen Kummer.
"Nun Gaston, was betrübt euch? Ich glaubte ihr hättet euch vom Schatten eures Weibes gelöst." Der Herzog nahm einen tiefen Zug aus seinem Kristallpokal und lehnte sich dann zur Priesterin herüber." "Das ist es nicht, verehrte Dame. Ich gedenke ihr, jedoch denke ich hauptsächlich an die schönen Zeiten. Nein, jetzt da sie fort ist spüre ich die Abwesenheit guter Freunde nur um so deutlicher." Die Feenzauberin sah sich um und ging im Geiste die Gesichter durch, die den engeren Kreis des Herzogs ausmachten. Dann lächelte sie milde. "Der junge Jean de Martisse ist nicht anwesend. Ich sehe das ihr diesen jungen Recken über alles protegiert. Was ist es, das ihr in ihm seht?" Der Blick des Herzogs wurde glasig und es schien als ob er in weite Ferne sehe. "Was ich in ihm sehe? Ich sehe mich selbst vor dreißig Jahren. Ich sehe das was ich war – was ich gehofft hatte das meine Söhne werden würden. Ich sehe den Sohn den ich nie hatte."
"Und wo ist er nun?" fragte die Priesterin. "Ich hatte gehofft das er rechtzeitig zum Feste wieder hier sein würde – ich habe ihn losgeschickt um die jüngste Tochter des Grafen von Eu an meinen Hof zu holen." "Ihr tut ein gutes Werk, Sire. Ein solch wackerer Ritter ist sicherlich die rechte Gesellschaft für eine junge Dame, und vielleicht findet sie schon auf der Reise das, was Ihr Vater sich von ihrer Anwesenheit am Hof erhofft. Denn ich denke sie kommt nicht hierher um in meinen Dienst zu treten, oder?" Der Herzog lachte ausgelassen – geradezu befreit. "Nein wirklich nicht. Deshalb habe ich ja Jean ausgewählt sie zu holen – er ist eine passende Partie und vielleicht wird sich das Problem des Grafen von Eu somit zur Zufriedenheit aller erledigt haben, bevor es richtig aufgetreten ist."
Ein Tumult machte sich am Eingang der Halle breit und eine Reihe schneebedeckte Figuren kamen mit großen Schritten vor der hohen Tafel zum stehen. Jean de Martisse verbeugte sich trotz seines Plattenpanzers anmutig vor seinem Dienstherren. Der junge Ritter sah wirklich unnatürlich edel aus. Groß und breitschultrig, mit markantem Gesicht, langen blonden Engelslocken und hellen lächelnden Augen verkörperte er das höfische Ideal glanzvoll. Erstklassige Manieren und einen Namen von altem, reichem Adel dazugepackt und schon war der Schwarm aller Jungfrauen (und nicht nur derer) von Mousillon perfekt. "Sire. Wie Ihr mir aufgetragen habt bringe ich nun vor Euch Eugenie – die Tochter des Grafen von Eu." Eine zierliche Person schälte sich aus ihrem dicken, pelzverbrämten Reisemantel und versank vor dem Herzog in eine tiefe Reverence. Der Herzog erhob sich, nickte seinem Ritter anerkennend zu und sprach: "Seid mir willkommen, Eugenie d' Eu's, wir sind hocherfreut…"
Eugenie hatte den Kopf erhoben, ein schwer verliebtes Lächeln mit Jean ausgetauscht und dann den Blick offen und warmherzig auf den Herzog gerichtet. Gaston de Verre fühlte sich als ob ihn der Runenhammer eines Zwerges am Helm getroffen hätte. Vor ihm kniete das perfekte Ebenbild seiner verstorbenen Frau. "Ich werde euch heiraten."