Die Amphore des Wandels
Prolog – Die Insel - Aogguktrarr
Die Wellen zerrten das schlanke Elfenschiff immer näher den Felsen entgegen. Befehle wurden gerufen, Seemänner mit der Erfahrung von unzähligen Jahrzehnten versuchten die teils zerrissenen Segel einzuholen, während die Ruderer sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen die tosende See stemmten. Mit einer titanengleichen Gewalt riss der Sturmwind das Hauptsegel hinaus in den Sturm. Nach nur einigen Augenblicken war es bereits nicht mehr zu sehen. Überall peitschte der Regen auf das Deck und nahm der Besatzung des Schiffes die Sicht. Bel-tozil stand am Bug des Schiffes und blickte grimmig der sich immer weiter nähernden Brandung entgegen. So plötzlich wie der Ausguck der „Seekreischer“ die mysteriöse Insel vor ihnen entdeckt hatte, so überraschend war auch der unnatürlich starke Sturm über sie herein gebrochen. Nur ein Narr würde den Zusammenhang nicht erkennen. Und Bel-tozil war alles andere als ein Narr. Das Alter des elfischen Gelehrten zählte bereits viele Jahrhunderte und er hatte als Kapitän schon viele Dinge gesehen, von denen jüngere Seefahrer seines Volkes nur träumten. Seit knapp zwei Jahren hatte er nun schon das Kommando über die „Seekreischer“, eines der schnellsten Adlerschiffe der Flotte von Lothern, der Hauptstadt des Elfenkontinents Ulthuan. Er hatte lange darauf hin gearbeitet das Kommando über dieses Schiff zu bekommen da es ihm für seine spezielle Expedition am Geeignetesten erschien. Und nun wollte er weder das Schiff noch seine erfahrene Besatzung an diesen magisch beschworenen Sturm verlieren. Mit lauter, befehlsgewohnter Stimme rief Bel-tozil nach seinem Bruder Dunon. Der besonders hochgewachsene blonde Elf kniete inmitten des Adlerschiffes und hielt seine Augen geschlossen. Dunon war ein Sturmweber, ein Magier der sich besonders mit der magischen Beeinflussung der Meere befasste. Bel-tozil hatte ihn schon einmal einen gewaltigen Wasseravatar beschwören sehen, mit dem er eine Schwarze Arche der Druchii beinahe im Alleingang versenkte. Die Anstrengung hatte ihn zwar an den Rande des Todes gebracht aber an diesem glorreichen Tag hunderte Hochelfen vor dem sicheren Tod bewahrt.
Mit einer Ruhe, als würde nicht gerade ein tödlicher Sturm versuchen das Elfenschiff auf den messerscharfen Felsen der vor ihnen liegenden Insel zu zerschmettern, erhob sich Dunon plötzlich und begab mit langen und sicheren Schritten über das wankende Schiff auf den Bug zu. Der Sturm schien ihn nicht im Geringsten davon abhalten zu können, seinen Bruder zu erreichen. Einmal mehr war Bel-tozil erstaunt über die Begabung des ruhigen Magiers selbst in solch gefährlichen Situationen ruhig und besonnen zu bleiben. Er selbst war es zwar gewohnt in Seegefechten den Überblick zu behalten und die richtigen taktischen Entscheidungen zu treffen, aber solch ein mächtiger, magischer Sturm war doch etwas ganz anderes.
Dunon hob plötzlich beide Arme und murmelte einige Worte, die im Tosen des Unwetters untergingen. Seine grünen Augen begannen allerdings langsam mit einer Intensität zu leuchten, die Bel-tozil an Rubine erinnerte, die es häufig in Lothern bei Edelsteinschleifern und Kunstschmieden zu erwerben gab. Das Murmeln wurde lauter, langsam konnte der Seefahrer einzelne Silben verstehen, bis sie schließlich sogar den Sturmwind selbst übertönten. Nach wenigen Momenten konnte sogar der letzte Elf an Bord der „Seekreischer“ die magisch verstärkte Stimme des Sturmwebers vernehmen. Mit einer wegwischenden Geste beendete Dunon plötzlich seine Zauberformeln und der Sturm verebbte langsam: der Regen hörte auf, die Wellen wurden schwächer und der beißende Wind verlor seine Intensität, bis er nur noch einem Winterlüftchen in Chrace glich.
Erschöpft senkte Dunon seine Arme und blickte seinen Bruder an. Der Kapitän nickte ihm anerkennend zu und klopfte ihm kurz auf die Schulter.
„Ich danke dir Bruder.“ sagte er nur knapp und wandte sich an einen Edlen seiner Mannschaft, der erleichtert in Richtung Bug des Schiffes marschierte. „Versorgt eventuelle Verwundete und macht euch rasch an die Reperaturarbeiten. Ich will das Schiff schnellstmöglich wieder seetauglich wissen.“ Bel-tozil drehte sich wieder in Richtung der Insel. „Und macht zwei Ruderboote fertig. Ich will unverzüglich mit einem Trupp an Land gehen.“ befahl er und prägte sich die markanten Umrisse des vor ihm liegenden Eilands ein. So lange hatte er darauf gewartet diese als unmöglich zu finden geltende Insel ausfindig zu machen.
Lange hatte es nicht gedauert bis die seeerprobten Hochelfen die Beiboote klar gemacht und mit den nötigen Ausrüstungsgegenständen versehen hatten. Proviant für zwei Tage, Seile, Fackeln und Pfeile waren in Paketen verstaut und auf die Boote verteilt worden. Bel-tozil, Dunon und ein Dutzend Seegardisten hatten sich voll ausgerüstet auf den Weg gemacht, die mysteriöse Insel zu erkunden. Während seine Männer ruderten nahm der Gelehrte aus einer Umhängetasche einen alten Foliant heraus und studierte darin mehrere Seiten. Sein magiebegabter Bruder hingegen sorgte mit seinem Stab für ausreichend Licht auf dem Boot, da mittlerweile die Dämmerung eingesetzt hatte.
„Ich würde empfehlen wir errichten zuerst ein Lager, wenn wir eine geeignete Stelle zum Anlegen gefunden haben.“ schlug der Magier vor und blickte auf die kahlen Felsen an der linken Seite. „Schließlich wissen wir nicht, wie lange wir suchen müssen.“ sagte er weiter und intensivierte das Licht des Kristalls auf der Spitze seines Stabes.
„Nein.“ entgegnete Bel-tozil nur knapp und las weiter. Ohne aufzublicken schien er aber das fragende Gesicht seines Bruders zu bemerken. „Wir wissen ebenso wenig wie schnell wir wieder von dort verschwinden müssen.“ fügte er als Erklärung hinzu.
„Du meinst, sie könnten tatsächlich hier sein ?“ fragte der Magier und blickte umgehend auf die dunklen Nischen zwischen den rasiermesserscharfen Felsen. Er schien aufmerksamer als noch zuvor und ebenso ein wenig beunruhigt.
„Ich schließe es nicht aus. Die Schriften sind sehr alt und meine anderen Quellen widersprechen sich teilweise.“
„Es ist ein Wunder, dass es überhaupt andere Quellen gibt.“ bemerkte der Sturmweber. Dunon konnte sich nicht vorstellen, dass es überhaupt irgendwelche seriöse Fakten über diese sagenumwobene Insel geben konnte. Die alten Geschichten nannten dieses Eiland Aogguktrarr. Eine Insel, die nicht gefunden werden kann, da sie von unzähligen magischen und nichtmagischen Gefahren geschützt war. Doch bis auf den unnatürlichen Sturm und einer einjährigen Suche hatte es für die Mannschaft der „Seekreischer“ bislang noch keine Hindernisse gegeben. Es schien fast etwas zu leicht gewesen zu sein die Insel tatsächlich zu finden. Dessen waren sich beide Brüder bewusst.
Eine Bewegung zwischen den Felsen ließ plötzlich auch Bel-tozil aufblicken. Verwirrt suchte er den Ursprung der Bewegung die er aus den Augenwinkeln heraus vernommen hatte. Doch nichts war zu erkennen. Auch Dunon konnte nichts ausmachen. Er schien es jedoch auch bemerkt zu haben.
„Haltet eure Waffen bereit.“ flüsterte Bel-tozil den Männern seines Bootes zu. Das andere Beiboot war zu weit vor ihnen und konnte den Befehl des Seefahrers nicht vernehmen. Dennoch hoffte der Gelehrte sie wären ebenso wachsam. Ein leises Platschen auf der rechten Seite ließ die Männer aufhorchen. Alle wandten nun ihre Blicke auf auf das dunkle Wasser, als plötzlich vom Ufer ein vielstimmiges, unnatürlich hohes Geschrei begann. Geschosse prasselten kurz darauf auf die beiden Boote. Schilde wurden gehoben, Schmerzenschreie mischten sich unter die Befehle und die Angriffsschreie der Bestien vom Ufer. Dunon wob gerade noch rechtzeitig einen magischen Schild direkt vor sich. Nur Bruchteile einer Sekunde später prasselten mehrere Speere auf den Schutzschild, ehe sie wirkungslos ins Wasser fielen. Ein anderer bohrte sich jedoch unmittel vor ihnen seitlich durch den Helm eines der Seegardisten. Tödlich getroffen sackte er einfach nach hinten und die beiden Brüder konnten die primitive Waffe deutlich sehen. Der Schaft des Speers bestand aus einem langen, ausgebleichten Knochen verziert mit einigen besonders grotesken Muscheln. Die rasiermesserscharfe, geschwungene Spitze jedoch schiene aus einer Koralle geschnitten worden zu sein.
„Sie sind also doch hier !“ rief Dunon laut und wob zornig einen weiteren Zauber. Während Bel-tozil sein Buch zur Seite warf und seinen Männer den Befehl gab zurückzuschießen, warf der Magier einen blau leuchtenden Energieball auf die Felsen zu. Das arkane Geschoss ließ den Felsen zerplatzen. Unzählige kleinere und größere Brocken stoben in alle Richtungen davon, ehe man dahinter eine von der Wucht der Explosion zurückgeschleuderte Kreatur erspähen konnte. Sie drückte sich die rechte Hand auf ihre Kehle, dicht unterhalb eines hässlichen länglichen Kopfes. Die Bestie besaß eine grünlich-graue Haut, die ledrig wirkte und feucht glänzte. Sie maß etwa zwei Meter Körperhöhe, besaß einen Schwanz und hatte Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen. Bel-tozil und Dunon waren sich bei diesem Anblick sicher, dass zumindest die Legende über die Anwesenheit dieser Kreaturen der Wahrheit entsprachen.
„Elende Kreaturen des Chaos !“ brüllte der Sturmweber und schoss einen weiteren Energieball auf die Kreatur. Das gurgelnde Geschöpf, dem zähes grünes Blut aus dem Hals sickerte, hob schwach den linken Arm nach oben, als könnte er das magische Geschoss aufhalten. Das Wesen konnte es allerdings nicht. Mit einem lauten Platschen zerplatzte die Kreatur wie eine überreife Frucht und benetzte sogar noch die mehrere Meter entfernten Elfen auf ihrem Boot mit dem übelriechenden Blut und seinen Eingeweiden.
Angeekelt wischte sich Bel-tozil die zähe Masse aus dem Gesicht, nur um dann entsetzt festzustellen, dass ein Stück Darm auf seinem alten Folianten klebte.
„Widerliche Brut...“ zischte der Gelehrte und sah zu, wie seine meisterhaften Seegardisten zwei weitere Bestien mit Pfeilen spickten, als diese sich zwischen den Felsen hervorgetraut hatten. Dutzende Pfeile trafen ihre Ziele, dennoch hielten sich die Kreaturen noch immer auf den Beinen. Der Beschuss und die Verletzungen zeigten allerdings Wirkung, kein einziger geworfener Speer fand mehr sein Ziel.
„Rudert !“ rief der Gelehrte und versuchte seine Männer in eine Höhle vor ihnen zu lotsen. Doch wären sie vorerst vor den Wurfspeeren sicher und könnten sich neu ordnen. Noch hatte der Seefahrer keine Ahnung, wieviele Tote und Verletzte auf ihrer Seite zu beklagen waren.
Während Dunon eine Wand aus Wasser heraufbeschwor und auf die Bestien stürzen ließ, erreichte das erste Beiboot bereits den gähnenden Höhleneingang.
„Feuerpfeile !“ ordnete Bel-tozil an und einer seiner Seegardisten entzündete einen in Öl getränkten Pfeil, ehe er ihn in die dunkle Höhlenöffnung schoss. Der kurze Augenblick, in dem man darin etwas sehen konnte, reichte den Elfen um sicher zu sein, dass keine weiteren Kreaturen dort auf sie lauerten. Dunon hielt seinen magischen Schild aufrecht, bis auch ihr Boot den Höhleneingang passiert hatte. Dann sackte er erschöpft auf seine Ruderbank zurück.
„Ruhe dich etwas aus Bruder, wir dürften diese Kreaturen für's Erste hinter uns gelassen haben.“ sprach der Gelehrte und stand vorsichtig auf. Fackeln wurden entzündet, Taue auf die nahen Felsen ausgeworfen und Verwundete versorgt. Nach nur wenigen Metern hatten sie bereits einen guten Ankerpunkt gefunden. Diszipliniert gingen ein halbes Dutzend Seegardisten an Land und sicherten mit Speer und Schild, sowie mit Bögen ausgerüstet den Landepunkt. Nachdem ein Zeichen gegeben wurde, dass die nähere Umgebung sicher war, gingen alle Überlebenden an Land. Hier konnte man die Verwundeten besser versorgen als in den Booten. Drei Tote hatten die Elfen zu beklagen, zwei von ihnen waren beim Angriff von Speeren getroffen ins Wasser gefallen und unrettbar verloren. Zwei weitere waren leicht verletzt und mussten mit zwei gesunden Gardisten bei den Booten bleiben. Bel-tozil brauchte gesunde Männer bei der Erkundung der Insel. Außerdem müssten sie eventuell schnellstmöglich aufbrechen, falls noch weitere Gefahren hier lauern sollten.
„Was für Kreaturen waren das, mein Fürst ?“ fragte einer der Verletzten an Dunon gerichtet. Der erschöpfte Magier drehte sich in seine Richtung und blickte dann stumm auf seinen Bruder. Dieser antwortete für ihn.
„Fimir. Kreaturen der Meere, der Tiefen und der Dunkelheit. Sie wurden vom Chaos gezeichnet, vermutlich beten sie den widerlichen Herrn des Wandels an.“ Der Gelehrte hob seinen alten Folianten hoch, an dem noch immer Blut eines Fimirs klebte. „Zähe Bestien, beschrieben in diesem uralten Buch. Wir dachten es gäbe keine mehr von ihnen.“ fügte er hinzu, ehe er die Wachen anwies die Boote aufbruchbereit zu halten.
„Wir sollten aufbrechen.“ meinte Dunon. Auch er hatte kein gesteigertes Interesse daran lange hier zu verweilen. „Für die Toten kann nichts mehr getan werden. Ich werde auf der Rückfahrt einige Worte zu den Göttern sprechen, auf dass sie gnädig in ihrem Reich angenommen werden mögen.“
Der Kapitän der „Seekreischer“ nickte stumm. Es war eine Schande solch gute Männer an diesem elenden Fleck Land zu verlieren. Doch seine Mission duldete keinen weiteren Aufschub. Zu lange plante er bereits diese Expedition. Er musste sie finden. Der Foliant hatte bislang mit allem Recht behalten. Also musste auch der Grund seiner Suche hier real sein.
Der Aufbruch der restlichen fünf Seegardisten, dem Sturmweber und Bel-tozil selbst verlief schnell und leise. Keiner sprach ein Wort, als sie vom Magier und seinem leuchtenden Kristallstab geführt durch enge, glitschige Felstunnel kletterten. Es ging immer höher und höher, langsam wurde die Luft trockener und stickiger. Mit jedem Meter stieg die Anspannung in Bel-tozil. Alles hatte er seinen Reisegefährten nicht über seine Mission mitgeteilt. Auch sein Bruder Dunon war nicht in alles eingeweiht. Aber der Magier schien zu spüren, dass diese Expedition gefährlicher war, als zuvor vom Kapitän angegeben. Seine Wachsamkeit und Grimmigkeit schienen seit dem Sturm überaus gewachsen zu sein.
Soll er konzentriert bleiben, das wird uns nicht schaden. Dachte sich Bel-tozil und lockerte das Schwert in seiner Scheide. Er war kein besonders geübter Kämpfer, er war mehr der Stratege und Gelehrte der seine Mannschaft durch jede Gefahr manövrierte. Aber bei dieser Mission würde er wohl doch zu seiner Waffe greifen müssen, falls es sich als erforderlich herausstellte.
Dunon ließ plötzlich das Licht seines Stabes schwächer werden. Seine Schritte verlangsamten sich, bis er abrupt stehen blieb. Er schien etwas vernommen zu haben. Die Seegardisten hinter ihm hoben vorsichtshalber ihre Schilde und reckten ihre Speere vor. Auch sie hielten inne. Ihre fein gearbeiteten und gut geölten Kettenhemden machten keinerlei Geräusche. Einer der Kämpfer hatte einen Pfeil auf seinen Seebogen aufgelegt und harrte der Dinge, die womöglich vor ihnen in der Dunkelheit lauerten. Das Echo von Schritten war plötzlich zu vernehmen. Dunon ließ das Licht fast vollständig vergehen, man konnte nur noch seinen emotionslosen Blick in der Dunkelheit erkennen. Bel-tozil zog ganz vorsichtig sein Kurzschwert ein Stück weit hinaus aus der Scheide, ehe plötzlich die Hölle über sie hereinbrach. Gekreische, Getrampel und das Knallen von Stein auf Stein ertönte, als vor ihnen sich etwas massives durch die Dunkelheit auf sie zu schob. Weitere Fimir !