1. Teil:
Tschiep, Tschiep!
War das ein Vogel? Doch nicht so früh im Jahr...seltsam. Ich schwang die Beine aus dem Bett, wobei die schwarze Felldecke zu Boden fiel...ein Schock durchfuhr mich, als die Kälte des Steinbodens durch meine blanken Füße in Richtung Rückenmark schoß. Fröstelnd trat ich ans Fenster und blickte auf die noch schlafende Stadt hinunter, deren Turmspitzen durch die ersten Sonnenstrahlen des Tages in ein warmes gelb getaucht wurden. Zu meiner Verblüffung entdeckte ich im Süden den Hafen als eisfrei, was an ein Wunder grenzte. Frühestens in den nächsten Monaten sollte die Schmelze beginnen, was durch die schneebedeckten Ebenen noch erhärtet wurde, die sich bis zu den Waldrändern an den grauen Bergen erstreckten. Ein leichtes Seufzen veranlaßte mich, meinen Blick vom Fenster abzuwenden. Dort lag das Mädchen, das ich in der letzen Nacht genossen hatte. Das plötzliche Fehlen der wärmenden Bettdecke lies sie frösteln und ihre nackten Hüften zitterten.
„Guten Morgen...äh...“
„Morwen, dir auch einen guten Morgen, mein Lord.“
Als ich mich zu ihr vorbeugte, erinnerte mich das Brennen in meinem Rücken an die letzte Nacht. Sie war eine Raubkatze...Sie spitze die Lippen um mich zu küssen. Sanft nahm ich ihr Kinn und stieß sie unsanft aus dem Bett.
„Hol mir meine Kleider und dann raus mit dir!“
Sie saß auf dem Marmorfliessen und funkelte mich boshaft an.
„Ja...Herr!“
Während sie leise fluchend zum Kleiderschrank ging, nahm ich eine Traube aus der Schale und drehte sie zwischen meinen Daumen hin und her.
„Eure Kleider.“
Ich nahm den dunklen Wams und die Hosen entgegen und zog mich schweigend an. Anschließend streifte ich das Kettenhemd über und legte den pelzgefütterten Mantel an.
„Nimm doch eine Traube, du bist sicher hungrig Kleines.“
Stumm blickte sie die Schale an, als sei das Keramikgefäß ein wildes Raubtier.
„Nimm oder ich stopf sie dir eigenhändig in den Rachen!“
Sie fiel schluchzend auf die Knie und umklammerte meine Beine.
„Meine Familie ist arm und wir wurden unter Druck gesetzt...ich liebe euch doch Herr...bitte tötet mich nicht!“
„Ich...Khaine bewahre, nein! Geh heim...dein Auftraggeber wird sich deiner annehmen.“
„Nein...Herr...bitte...ich tue alles...ALLES!!!“
„Nun gut...sagst du mir wer dein Auftraggeber war?“
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ihr Blick erhellte sich.
„Es war Baron Cayron!“
„Braves Mädchen...du darfst gehen...“
„Aber Herr...ihr schützt doch mein Leben...wenn Cayron euch lebend sieht, bin ich des Todes...“, ein Lächeln umspielte ihre geschminkten Lippen, deutlich blitzte die kalte Berechnung in den violetten Augen der Elfin auf und lies sie lächeln,
„schließlich seid ihr mir etwas schuldig. Ich habe euch euren Feind verraten und euch nicht getötet, obwohl ich es gekonnt hätte.“
Ich griff hinter meinen Rücken und holte den schwarzen Dolch hervor, was ihre Miene erstarren lies.
„Etwa mit diesem vergifteten Dolch, den du unter deinem Kissen versteckt hattest...sei nicht albern...Geh!“
Und so schlich sie sich aus meiner Kammer, wie ein geprügelter Hund, denn sie wußte, daß ihr Leben kein Gramm Silber mehr wert war.
Nachdem ich meine Stiefel (die ich allein suchen mußte) angezogen hatte, eilte ich auch schon in den Hof, wo der Diener mein Pferd bereithielt.
Jedesmal wenn ich dieses Tier sah, sprang mein dunkles Herz vor Freude. Es war das einzige Lebewesen, in diesem Teil der Welt, auf das ich mich todsicher verlassen konnte. Es tat gut, zwischen all diesen Intrigen und Konflikten einen „Freund“ zu haben.
„Na Gaiwan...was sieht mein Tag für mich vor?“
„Ein volles Programm, euer Lordschaft...um elf seid ihr an den Hof geladen um über die neuen Grenzbefestigungen zu referieren, gegen eins esst ihr zu Mittag mit Lady Faviell...äh wir haben schon einen neuen Vorkoster eingestellt...gegen drei bis fünf steht Recht sprechen auf dem Plan und als Abschluß steht um sieben die Jagdgesellschaft der hohen Herrn....ihr natürlich...Duke Fennir...Baron Cayron...Baron Istvir...“
Während er die lange und ermüdende Liste der ansässigen Edlen herunter bettete schwang ich mich auf den dampfenden Rücken meines schwarzen Rappen und tätschelte seinen kraftvollen Hals. Ich spürte durch den ledernen Sattel die Bewegung seiner Muskeln und sein Vorfreude auf den kommenden Galopp.
„Baron Cayron...Gawain, sei so gut und melde unserer Agentur, daß seine Lordschaft doch bitte heute Abend einen kleinen Jagdunfall erleidet...verdopple die übliche Summe, das bin ich ihm schuldig.“
Gawain kannte es, wenn ich auf diese Weise lächelte und nickte.
„Sehr wohl...Gute Reise.“
So riß ich den Rappen herum und galoppierte aus dem Tor hinaus, der aufgehenden Sonne entgegen.
Ich liebe den Morgen in Naggaroth...
Obwohl der Wind schneidend kalt mir ins Gesicht weht, genieße ich doch diese Augenblicke, wenn ich allein über die verschneite Straße zum Stadtkern presche. Bedrohlich und majestätisch erheben sich vor mir die Türme der Stadt, in der ich schon mein ganzes Leben tätig bin...Har Ganeth, die Stadt der Henker. Obwohl es noch sehr früh am Morgen ist, herrscht in den Straßen das übliche geschäftige Gedränge...Händler preisen ihre exotischen Waren an...die Stadtgarde wirbt um neue Mitglieder...und eine unzählbare Schar neuer Sklaven wird zum Markt geführt. Wer könnte da noch sagen, daß die Wirtschaft zugrunde geht?
Den Vormittag verbrachte ich mit langweiligen Ausführungen über neue Installationen von Speerschleudern auf den Außenmauern und der Optimierung von Schußwinkeln, was mein adeliges Publikum zu herzhaftem Gähnen veranlaßte. Am folgenden Bankett hielt ich mich zurück, denn es war nie meine Art, mich vor Sonnenuntergang an Wein oder Drogen zu berauschen.
Das folgende Mittagessen mit Lady Faviell war durchaus reizvoller. Kaum war ich im Hof ihres Anwesens abgestiegen und hatte dem Knecht die Zügel gereicht, als sie schon aus der Tür trat um mich lächelnd zu mustern. Ich wußte um meine Wirkung auf die gelangweilten Damen unseres edlen Geschlechtes, was unter anderem ein Grund dafür sein dürfte, daß ich trotz meiner bedeutenden Position immer noch lebte.
„Ihr seht gut aus, das Reiten bekommt euch.“
„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, My Lady...ich bin aber sicher, daß ihr beim Reiten eine ebenso gute Figur macht, wie meine Wenigkeit.“
„Vielleicht finden wir ja das noch heraus...“, meinte sie, während sie mit dem Ausschnitt ihres Gewandes spielte.
Das Essen war vorzüglich, obwohl ich einen meiner Vorkoster verlor. In Naggaroth gehört es zum guten Ton, mindestens den ersten Gang stark zu vergiften.
Trotz ihrer kindlichen Verspieltheit und ihres jugendlichen Aussehens, war die Lady eine der mächtigsten Elfen in der Stadt...natürlich nach dem Stadthalter. Sie war eine wichtige Stufe, auf dem Weg zur Macht und mußte gemeistert werden.
Nach dem Essen begaben wir uns in den Innenhof, in dem zur Abwehr der Kälte, kleine Feuer in bronzenen Schalen flackerten. Sie setzte sich auf eine schwarze Bank und bedeutete mir, mich neben sie zu setzen. Ich konnte keine versteckte Waffe an ihrem Körper entdecken und falls sie es geschafft hätte unter diesem Hauch von Nichts eine Klinge zu verstecken, so würde ich zumindest durch Meisterhand sterben.
„Sagt mir, ihr seid ein Mann von hohem Ansehen und großer Macht...warum habt ihr euch keine Frau genommen?“ Ich lies mir Zeit, mit meiner Antwort. Ich wußte worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte...
„Wißt ihr...eine Frau ist wie ein Juwel...man sollte es sich erst zulegen, wenn man es sich wirklich leisten kann.“
Obwohl sie diese Antwort nicht zu befriedigen schien, lies sie es dabei bewenden und kurze Zeit später verabschiedete ich mich.
Die kleinen, geistigen Plänkeleien mit ihr waren immer erfrischend, aber auch gefährlich. Sie wollte meine Macht und ich ihre.
Der weitere Verlauf des Nachmittags wurde durch Rechtsprechung vereinnahmt, was nicht weiter erwähnenswert ist. Nur soviel: Die Henker hatten wieder viel zu tun!
Deshalb freute ich mich umso brennender auf die Jagdgesellschaft, die in den dunklen Fichtenwäldern stattfand. Die Beute war ein stolz schauender Mensch des Ostens, aus dem Geschlecht derer, die die Meere mit ihren Drachenbooten besegelten und unseren Korsaren Konkurrenz machten.
Noch bevor er von der Kette gelassen wurde, ritt Cayron an meine Seite.
„Ah...wie schön euch zu treffen...“
„Das Vergnügen ist ganz meinerseits“, erwiderte ich kühl.
„Ich hätte nicht erwartet euch hier zu sehen!“
„Ich weiß...“
Und während er noch über meine Antwort grübelte, erklang schon das Hornsignal und der Mensch hastete in Richtung der Wälder.
Wir warteten noch bevor der Sand bis zur Hälfte in der Sanduhr verlaufen war und preschten dann los.
Die Fährte war leicht zu verfolgen, denn die Beute war schwer und ungeschickt...aber bevor ich an die Schlucht kam, in welcher der Fels eine hohle Gasse bildete und so kein Entrinnen ermöglichte, preschte Cayron an mir vorbei, um als erster die Beute zu stellen.
Ich traf kurz nach ihm ein und sah, wie er mit gezücktem Schwert auf den panisch winselnden Menschen zuritt...und aus dem Sattel kippte. Ein langer Schaft ragte ihm aus dem ungeschützten Hals und das Gift schoß in Minutenstelle durch seinen Körper. Mein Blick ging zu den hohen Tannen am rechten Rand der Schlucht, wo ich einen hohen Schatten sah. Ich nickte dem Asassine zu, so daß er ihm Dickicht verschwand.
Dann ritt ich an Cayrons verwaistes Pferd heran und entnahm der Satteltasche die schwere Repetierarmbrust. Diese warf ich (gesichert) dem fassungslosen Menschen zu. Er blickte mich mit offenem Mund an und stammelte etwas in seiner barbarischen Tiersprache.
Als er sich zur Flucht wandte, zog ich mein Schwert und stieß es ihm tief in den ungeschützten Rücken, gerade rechtzeitig als die anderen Jäger zur Schlucht kamen.
Man akzeptiert den Meuchelmord als geeignetes, politisches Mittel in meinem Land...aber nur wenn er geschickt inszeniert ist...