Hier kommt der Rest des achten Kapitels. Viel Spaß!
Am nächsten Morgen hob Carlo Gräber für die sterblichen Überreste seiner Eltern aus und türmte die Leichname der Skaven zu einem großen Haufen, den er verbrannte. Er wollte sich einreden, dass seine Eltern nicht ohne Grund gestorben waren, aber das waren sie. Und er war an allem Schuld. Als er sie beerdigt und ein Kreuz aus verbranntem Holz auf ihren Gräbern aufgebaut hatte, fasste Carlo einen weiteren Entschluss. Er wollte seinem Land besser dienen, als er seiner Familie gedient hatte. Wenn es für seine Eltern schon keine Hoffnung mehr gab, so wollte er seinem Vaterland die Hoffnung zurückbringen!
Carlo verließ seine Heimat mit nichts als einigen Rationen und einem Wanderstab. Er pilgerte durch ganz Tilea, um die letzten verbliebenen Stücke der tileanischen Armee zu einen und die Skaven niederzuschlagen. Doch selbst die wenigen Soldaten, die er noch ausfindig machte, wollten nicht mehr gegen die Rattenmenschen zu Felde ziehen. Sie vertrauten Carlo nicht und hatten alle Hoffnung aufgegeben. Sie wollten nicht einem Jungen folgen, der mit einem Wanderstab und einem Lederwams gegen die geballte MAcht der Skavenheit kämpfen wollte.
Carlo verzweifelte angesichts dieser Lage. Er wusste, dass die Tileaner genug Blut vergossen und genug Schlachten gesehen hatten, doch gleichzeitig war er sich sicher, dass die Skaven besiegt werden konnten, wenn nur der Kampfeswille der Männer zurückkehrte. Aber wie sollte er das schon erreichen?
Als er in der letzten Stadt, die er kannte, ebenfalls abgewiesen und für verrückt erklärt wurde, sank Carlo auf seine Knie und weinte bitterlich. Er bemerkte gar nicht den seltsamen Mann, der den Weg auf einem Karren entlangfuhr und neben ihm haltmachte. Als eine freundliche, alte Stimme ihn fragte, was ihn bekümmere, sagte Carlo wahrheitsgemäß, dass er den Menschen die Hoffnung wiederbringen wollte, doch sie schienen sie verloren zu haben. Er wollte nicht wahrhaben, dass die Skaven das tileanische Volk gebrochen haben sollten. Der alte Fremde nickte bekümmert. Er fragte Carlo, ob er denn selbst noch Hoffnung habe. Carlo bejahte. Der Fremde wirkte belustigt und fragte wiederrum, ob Carlo die Skaven allein zu besiegen hoffe. Carlo war verlegen. Vielleicht hatte er es sich wirklich zu leicht vorgestellt... Gerade, als er seinen Fehler eingestehen wollte, begann der alte Mann zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen in die Augen stiegen. Dann wandte er sich wieder an Carlo, beugte sich von seinem Karren zu ihm hinunter und stellte erneut eine Frage: "Wie willst du den Menschen Hoffnung geben, wenn du nicht einmal das Unmögliche möglich machen kannst?" Carlo hielt diesen Mann für verrückt und wollte gerade aufstehen und davongehen, als bneben ihm etwas schweres zu Boden fiel. Es war eine glatte, silbrige Metallkugel von der Größe eines Wagenrades, die der Alte von seinem Karren geworfen hatte. Er lächelte nun un sagte zu dem verdutzten Murcatto: "Nimm diese Rüstung als Geschenk von mir an und beweise mir und der Welt, dass du das Unmögliche möglich machen kannst." Dann knallte er mit der Peitsche und rumpelte weiter den Weg entlang. Und Carlo kniete allein neben dem großen, metallenen Klumpen. Dies war keine Rüstung. Hatte der Alte ihn betrogen? Carlo sollte das Unmögliche möglich machen... vielleicht musste er dieses seltsame Objekt erst zu einem Schmied bringen, bevor er das tun könnte. Er versuchte, ihn fort zu tragen, doch das Metall war zu schwer. Er versuchte, mit einem Hammer Teile davon abzubrechen, doch das Metall war zu hart. Carlo versuchte, ihn mit Feuer zum schmelzen zu bringen, doch es half nichts. Der Metallklumpen blieb unbeschadet, kalt und glatt. Gerade, als Carlo verzweifeln wollte und keinen Rat mehr wusste, fiel ihm ein, was der Alte gesagt hatte: das Unmögliche möglich machen... Und so begann Carlo sein Werk mit nichts als seinen bloßen Händen. Er schmiedete eine Rüstung, ohne ein anderes Werkzeug als seine Fäuste zu benutzen. Als er Beinschienen, Brustpanzer und ein Schwert gefertigt hatte, war der Metallklumpen aufgebraucht. Carlo Murcatto legte seine neue, von einem alten Wirrkopf gegebene Rüstung an und zog von neuem durch das Land, dieses mal mit seiner Rüstung statt seinem Lederwams, und aus seinem Wanderstab hatte er nun einen Speer gefertigt. Und wie der Alte es prophezeit hatte folgtem ihm die Soldaten unter wehenden Fahnen. Wo er ging, vertrieb er die Skaven und säte neuen Mut in die Herzen Aller. Er bildete eine neue tileanische Armee, deren General er wurde, und brachte dem Tiefenreich Tod und Verderben. In der belagerten Stadt Miragliano fand schließlich der letzte, entscheidende Kampf mit den Rattenmenschen statt.
Carlo trug seine Rüstung und seinen Speer stets bei sich, legte sie niemals ab oder benutze anderes Kriegsgerät als sie. Er führte stets von der vordersten Front aus und kämpfte im dichtesten Getümmel. An seiner Seite kämpften die Tileaner, die vor wenigen Monaten noch ihren Lebenswillen verloren glaubten, so wild wie hundert Löwen.
Die Skaven wurden zurückgeschlagen und Carlo zum Helden des Landes erklärt. In seiner Heimatstadt wurde eine Statue von ihm errichtet. Carlo lebte noch viele Jahre als Kommandeur der tileanischen Truppen, gründete eine Familie und war überall sehr angesehen. Doch der Tod seiner Eltern, den er verschuldet hatte, nagte noch immer an ihm. Als er alt wurde, zog er sich immer mehr zurück, verließ seine Position als General und kehrte in seine Heimat zurück. Dort bestellte er die Felder wieder, die vor so langer Zeit seinen Eltern gehört hatten. Dort, wo früher sein Elternhaus gestanden hatte, baute er eine kleine Hütte aus nichts als Holz, wo er und seine Familie bis zu seinem Tod lebten.
Als er starb, waren Trauer und Bestürzung im Volk groß. Doch die Tileaner vergaßen die Lehre nicht, die Carlo Murcatto ihnen gegeben hatte, niemals die Hoffnung zu verlieren. Man begrub ihn in seiner Heimat, sein Speer wurde ihm in den Sarg gelegt. Seine Rüstung jedoch, dieses unschätzbar wertvolle Artefakt, dass er mit seinen bloßen Händen geschmiedet hatte, übergab man seinen Söhnen und Söhnessöhnen. Und es heißt, dass wenn Tilea in höchster Not ist, sich einer des von Gott erwählten Geschlechts erneut erheben wird, um Hoffnung zu bringen und die Soldaten in den Kampf zu führen...
Und so, wusste Felizia, sollte es geschehen. Sie nahm die wunderschöne Rüstung ihres berühmten Vorfahren aus ihrer uralten Truhe und begutachtete sie. Es war eine sehr gut gefertigte, magische Rüstung. Schon als sie die Legende zum ersten mal gehört hatte vermutete sie, dass ihr Vorvater das Material von einem sehr mächtigen Alchimisten oder Metallmagier bekommen haben musste. Diese Meister der Winde von Chamon, wie man sie auch nannte, waren auch in Tilea verbreitet und sogar im Dorf hatte einstmals einer dieser geheimnisvollen Gesellen gelebt. Sie vollbrachten wahre Wunder mit allen Arten von Metall und Eisen. Wenn Felizias Nachforschungen nicht völlig falsch waren, bestand diese Rüstung aus Himmelseisen - einem Material, dass Hitze und Schlägen wiedersteht, aber gleichzeitig biegsam und flexibel ist. Es heißt, dass man es im Rohzustand mit bloßen Händen bearbeiten könne, wenn man stark genug sei. Diese Rüstung war, selbst für ein magisches Objekt, ungeheuer Wertvoll und mit Abstand das größte Erbstück ihrer Familie. Felizia frohlockte innerlich, dass ihr Vorvater ihr dieses Stück hinterlassen hatte. Es würde ihr bei der Rache für ihre Familie unschätzbar nützlich sein. Ihr Vorfahr selbst hätte es nicht anders gewollt: Seine Nachfahrin trägt seine wertvolle Rüstung voller Stolz, um Gerechtigkeit zu verbreiten.
Als Felizia sich entkleidete, um ihr neues Rüstwerk bestehend aus Beischienen und Brustpanzer anlegen zu können, fiel ihr ein fataler Fehler in ihrer Planung auf: Dies war offensichtlich eine Rüstung für Männer. Gefertigt für einen Mann, getragen von einem Mann. und, nun ja, Felizia war nunmal eine Frau. Das wäre kein besonderes Problem, wenn es da nicht mindestens zwei bedeutende Unterschiede zwischen der männlichen und der weiblichen Anatomie gäbe. Wenn sie gewusst hätte, dass sie dieses uralte Ding einmal tragen sollte, hätte sie ja den Dorfschmied beauftragen können, hier und da zwei ordentliche Dellen in den Brustpanzer zu hämmern - aber dafür war es nun etwas zu spät. Das würde also bedeuten, dass ihre feine Rüstung aus Himmelseisen nicht nur ihre Brust zerquetschen, sondern auch um den Bereich der Tallie sehr locker (wenn überhaupt) sitzen würde. Aber so musste es dann wohl sein. Besser diese als keine, dachte sie, zog die Brust ein, so weit es ging und beeilte sich, den Panzer festzuschnallen - und erstarrte.
Es war, als ob die Rüstung ein Eigenleben entwickelt hätte. Das Metall floss regelrecht dahin und schmiegte sich passgenau an Felizias Körper. Weder zu eng noch zu locker saß der Brustpanzer perfekt, wog dabei offensichtlich nicht mehr als ihre übliche Kleidung, und mit einem mal fühlte Felizia Murcatto sich wahrhaft prächtig. Gehüllt in die stolze Rüstung ihres Ahnen gab es nichts, was ihr noch gefährlich werden könnte. Niemand könnte ihr jemals wieder wehtun.
Aber Ich, dachte sie bei sich, Ich will den Leuten wehtun. Es war an der Zeit, eine Waffe zu finden.
Felizia wusste, dass sich in ihrem Haus keine Waffen befanden. Sie hatte Waffen immer verabscheut. Es war nicht richtig, Instrumente des Mordens im Haus aufzubewahren, hatte sie immer gedacht. Doch nun, wo ihr Leben sich dem Ende neigte, spielten ihre Prinzipien keine Rolle mehr. Irgendwo musste sich eine Waffe auftreiben lassen. Sie durchsuchte das Gebäude, in dem ihr Mann gearbeitet hatte, die Zentrale der Stadtwache, und wurde fündig. In einer recht angesengten Holzkiste fand sie ein angelaufenes Schwert, welches im Vergleich zu ihrer wundervollen Rüstung zwar eher wie Altmetall aussah, aber immer noch scharf genug für bestimmte Aufgaben war. Auch ein solides und so gut wie neues Messer ließ sich in der Holzkiste finden. Es befand sich in einer ledernen Scheide, war schmucklos und allgemein nichts besonderes, aber es war scharf. Sie befestigte es an ihrem Gürtel und hatte sich damit für die Schlacht gerüstet, wie von ihr verlangt. Nun waren alle Pflichten, die sie in ihrem Leben jemals hatte, erfüllt.
Sie blickte ein letztes Mal nach draußen, wo ihre Heimat unter schwarzem Himmel in Asche und Verderben lag. In Felizias Herzen brannte die Wut einer Frau, deren Leben gestohlen worden war, und ihre Zunge formte Flüche zum Verderben der Bretonen. Sie war bereit.
Nun blieben nur noch die Pflichten ihres Untodes.