Endlich wieder etwas Zeit gehabt.... Ich hab es also auch nicht vergessen!
Kapitel 18: Bärengrube
Ivar schlief nur schlecht in dieser Nacht. Der Magier und dessen Fluch, ob echt oder eingebildet, ließ ihm keine rechte Ruhe. Am nächsten Morgen kämpfte er sich aus dem Bett und ging schlecht gelaunt zum Frühstück. Nur um festzustellen, dass es nichts gab. Man würde zu etwas späterer Stunde mit den Gästen im großen Zelt im Hof speisen. Ivar wurde prompt noch missmutiger. Nur die Tatsache, dass der Page „Gäste“ gesagt hatte und nicht „andere Gäste“, hellte seine Laune etwas auf. Ivar galt eher als Teil der Burg, denn als Gast. Es war ein gutes Gefühl dazu zu gehören. Aber die Aussicht später als gewohnt zu essen und das auch noch in feiner Gesellschaft, war nicht nach seinem Geschmack. Dazu die Idee das Ganze in einem Zelt zu tun. Was bitte war verkehrt an der steinernen Halle, wo man sonst aß? Er jedenfalls würde Gästen das gleiche zukommen lassen, dass er sich selbst gönnte. Vielleicht mochte Eilfric die Leute aber nicht und verwehrte ihnen deshalb den Zugang zur gemeinschaftlichen Halle? Er beschloss den Ritter später danach zu fragen.
Ivar trottete nach draußen, wo er von Luthbert und Ulf begrüßt wurde. Die beiden waren sichtlich nervös und nicht besonders gesprächig. Gemeinsam lungerten sie eine Weile auf dem Innenhof herum und kommentierten die Besucher, die in großer Zahl durch das Haupttor strömten.
Ivar schüttelte den Kopf. Das tat er ständig, seitdem er bei den Menschen war. Aber die Bekleidung, die unter den gehobenen Schichten, wohl als schick galt, verstand er nicht. Oh, sie schmückten sich wohl mit Gold und Edelsteinen, aber sie trugen außerdem auch lange Federn am Hut und große, steife Krägen, die sehr an einen Mühlstein erinnerten. Immerhin sah er hier und da etwas Zwergenarbeit unter dem Schmuck und den Waffen. Fast jeder männliche Besucher trug ein Fechtschwert am Gürtel, auch wenn Ulf etwas spöttisch meinte, nur die wenigsten verstünden sich auch auf dessen Umgang. Jeder Mann, der das Recht dazu hatte, trug eine Waffe, wenn er aus dem Haus ging.
Das immerhin fand Ivar normal. Auch wenn daheim niemand so arm dran war, dass man ihm keine Waffe gönnte. Er selbst trug Karaz-Kazak auf dem Rücken und war leidlich froh, dass er damit nicht besonders auffallen würde. Nur das Kettenhemd zog einige Blicke auf sich. Aber niemand sagte etwas dazu und er scherte sich nicht um die zarten Gefühle dieser Gecken. Hier lief ein Magier frei herum und nach der letzten Nach, konnte man nicht sicher genug sein. Trotzdem hatte er den Helm, etwas zögerlich, auf seinem Zimmer gelassen. Es hätte doch etwas albern ausgesehen, wenn er den ganzen Tag mit der Eisenhaube herumgelaufen wäre.
Ivar stellte auch fest, dass die Kinder der Menschen keine besonders gute Erziehung hatten. Er wurde permanent schamlos begafft. Einige zeigten sogar mit dem Finger auf ihn. So übel er das den Eltern auch nahm, den kleinen Kindern selbst war er nicht böse. Er zeigte zurück und schnitt Grimassen, beantwortete geduldig alle Fragen und spielte mit den jüngsten. Kinder waren für Zwerge etwas Besonderes. Und auch wenn Zwerge ihren Nachwuchs nicht verhätschelten und früh zur Arbeit einspannten, genossen Jungzwerge eine gewisse Zeit lang Narrenfreiheit. Es gab nicht viele von ihnen und jeder Erwachsene nahm sich gern Zeit für sie. Bis zu einem gewissen Alter, wie gesagt.
Einige der älteren Kinder verscheuchte er mit barschen Worten, damit sie sich irgendwo nützlich machten. Sie wirkten ehrlich überrascht und verunsichert. Als Ivar sich umschaute, stellte er fest, dass keiner der Gäste den Brüdern zur Hand ging. All die kleinen Restarbeiten wurden von den Pagen und Dienern erledigt. Die Ritter und Knappen waren damit beschäftigt sich zu unterhalten. Als es ans Frühstück ging, stellte sich heraus, dass viele Gäste eigene Diener hatten, die ihnen Wein einschenkten und Speisen vorlegten. Nur die ältesten und geachtetsten Zwerge hatten Diener. Und auch die waren eher freiwillige Helfer aus der Familie oder der ehemaligen Truppe. Die Menschen hatten mehr Gesellschaftsklassen als ein Schmied Werkzeuge. Er unterhielt sich kurz mit dem alten Friedhelm darüber, der als einziger keine persönlichen Gäste zu haben schien. Zu seinem Erstaunen verstand der erfahrene Recke seine Erklärungen der Zwergengesellschaft und ihrer Einfachheit nicht. Was war so schwer daran, jemandem genau die Achtung zu zollen, die er aufgrund seines Alters, seiner Taten, seines Bildungsstandes, seiner Ahnenlinie und seinem Reichtum verdiente? Das war doch bedeutend einfacher als sich tausend Titel Verbeugungen zu merken. Natürlich hatten auch die Zwerge ihren Adel, aber niemand käme auf die Idee einen Thain nur nach seinem Titel zu bewerten. Vielleicht lag es daran, dass Menschen so verschieden waren. Sie schienen sich in ihren Ansichten sehr zu unterscheiden. Das machte es sicher schwierig für alle ein Vorbild zu sein.
Nach dem Frühstück gab es allerlei Zeremonien, die Ivar aber kaum beachtete. Es wurde viel geredet und er wurde schon wieder von den Kindern belagert. Erst als ein Hornsignal den Kampf ankündigte machte er sich los. Es wurde allenthalben gemurrt, denn normalerweise war ein solches Ereignis der Höhepunkt eines Turniers. Aber Eilfric bewies einmal mehr, wie wenig ihm die kleinen Regeln des Lebens bedeuteten und trat als erster Kämpfer des Tages an. Möglicherweise sollte ein zweiter Kandidat eine Chance erhalten, falls er unterliegen sollte. Später am Tag wären die Männer sicher zu betrunken dafür. Jetzt mussten sie noch eigene Gefechte austragen und hielten sich zurück.
Ivar rempelte sich einen Weg durch die Menge und hinterließ ein Fahrwasser von Verwünschungen und Empörung. Die Leute standen und saßen bereits dich auf den Mauern des Bärenhofes, aber Ivar rechnete fest damit, dass Ulf und Luthbert ihm etwas Platz frei halten würden. Trotz der dichten Meute erreichte er die beiden Knappen recht schnell. Zwergenstimmen sind laut und Ivar scheute nicht davor zurück auf Füße zu treten und Leute mit der Schulter beiseite zu schieben. Meist reichte allerdings ein auftauchen um Platz zu schaffen, denn sein Panzer war gut geölt und die Menschen hatten Angst um ihre feinen Kleider. Sein Vertrauen in die Freunde erwies sich als berechtigt. Zwischen den beiden war ein genug Platz für einen Zwerg, den sie stoisch gegen Schaulustige verteidigten.
„Na, bist du die Rangen los?“ Luthbert rang sich ein Lächeln ab.
„Nein, hab sie grad erst wieder gefunden, du halbe Portion. Danke für den Platz. Das kann nicht einfach gewesen sein.“
Ivars Scherz blieb unkommentiert. Beide Knappen waren nicht gut aufgelegt. Für sie stand hier eine Menge auf dem Spiel.
Die laute Menschenmenge auf den Mauern machte den Bären sichtlich gereizt. Er lief immer wieder von einer Seite des Geheges auf die andere und ließ ein dumpfes Brummen hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich, in einem günstigen Moment das Gatter und Eilfric betrat die Arena. Er trug keine Waffen, hatte aber seinen Panzer angelegt. Ivar hatte nicht gewusst, dass das erlaubt war, aber es überraschte ihn nicht besonders. Der Bär war an Kraft deutlich überlegen und verfügte mit seinen Klauen über gute Nahkampfwaffen.
Die Menge verstummte als sich die große, gepanzerte Gestalt dem Tier näherte. Der Bär schien zuerst doch keine Lust auf einen Kampf zu haben, denn er wich dem Ritter lange aus. Doch als der Mensch ihn eine Ecke drängte, wechselte er seine Taktik ansatzlos. Das Biest richtete sich auf die Hinterbeine auf und versuchte Eilfric mit den Vorderpranken zu erwischen. Wieder überraschte Ivar das Tempo des Bären. Seine Bewegungen sahen tapsig und unbeholfen aus, waren aber sehr sicher und schneller als es aussah. Beide Hiebe gingen fehl. Eilfric hatte einen raschen Schritt nach hinten gemacht um dem Angriff zu entgehen. Der Bär setzte sofort nach. Kaum war er wieder auf allen vieren, machte er einen Satz nach vorne und schlug mit einer Tatze nach der Hüfte des Ritters. Wieder sprang der Mensch zurück, schlug aber dem Tier die gepanzerte Faust krachend auf die Nase. Ein Aufschrei ging durch die Zuschauer, als der Angriff den Bären traf. Doch der schien den gewaltigen Hieb kaum gespürt zu haben. Er wurde nicht langsamer oder vorsichtiger, sondern einfach wütend. Sämtliche Vorsicht war vergessen. Brüllend warf er sich auf den Ritter und drängte ihn Schritt um Schritt zurück. Eilfric traf wiederholt den Schädel und die Nase mit seinen Fäusten, richtete aber kaum etwas aus. Schließlich patzte er bei einem Sprung und wurde von einer Pranke an der Schulter getroffen. Neben Ivar entfuhr Ulf ein spitzer Schrei, für den er sich später sicher schämen würde. Eilfric stürzte zu Boden und konnte nur durch rasches Abrollen dem Biss des Bären entgehen. Rasch rappelte er sich auf und konnte gerade noch sichern Stand finden, als der Bär in umklammerte. Wie zwei Ringer standen sie sich gegenüber. Der Bär versuchte Eilfric zu beißen und mit den Armen zu erdrücken, während der Ritter Schwierigkeiten hatte, bei dem Gewicht auf den Beinen zu bleiben. Endlich zwängte er einen Handschuh zum Kopf des Gegners durch und griff seine empfindlichste Stelle an, indem er mit dem Daumen auf ein Auge drückte.
Sofort richtete der Bär sich wieder gerade auf, um dem Angriff zu entgehen und der Mensch nutzte den Moment und stemmte sich mit aller Kraft gegen das Tier. Diesmal ging der Bär zu Boden und musste sich hochrappeln, bekam aber beim Aufstehen erneut die Faust Eilfrics an den Schädel. Diesmal schlug der Ritter mit aller Kraft zu, da er für den Moment nicht auf seine Beweglichkeit achten musste. Das Krachen drang laut bis zu Ivars Ohren. Diesen Treffer hatte das Tier gespürt. Wahrscheinlich waren Zähne herausgebrochen oder gesprungen, denn es stieß einen Schmerzenslaut aus.
Der Bär kämpfte noch eine Weile weiter, hatte aber deutlich Respekt vor dem Ritter bekommen. Schließlich löste er sich wieder aus dem Kampf und suchte sein Heil wieder in der Flucht. Ivar war etwas überrascht als die gesamte Menge in Jubel ausbrach und Eilfric sich verneigte und den Kampfplatz verließ.
„Sie kämpfen nicht bis zum Tod?“
„Lieber Sigmar, nein!“ Luthbert war regelrecht entsetzt und hielt schockiert in seinem Jubel inne.
„Wie sollte man den einen Bären töten, wenn man keine Waffen hat? Es reicht völlig aus, dass das Biest die Flucht ergreift. Sonst müsste der Großmeister ja kämpfen bis der Bär sich vor Erschöpfung überhaupt nicht mehr wehren kann. Und ich nehme schwer an, dass bei so einem Wettbewerb der Bär die bessere Lunge hat. Der trägt immerhin nicht zusätzlich achtzig Pfund Rüstung am Körper, in der er langsam gebraten wird.“
Weitere Auskünfte würde Ivar wohl nicht bekommen, denn die beiden Knappen drängten energisch auf das Tor zu, um ihrem Herrn zu gratulieren und ihm die Rüstung abzunehmen. Ivar hängte sich ungefragt an die Beiden und folgte ihnen in das Zelt des Ritters. Sie erreichten es sogar vor dem Kämpfer, denn Eilfric wurde von allen Seiten bestürmt, musste Hände schütteln, Verbeugungen erwidern und sich metaphorisch auf die Schulter klopfen lassen. Das alles geschah trotz allem mit großer Würde und einiger Reserviertheit. Nur die einfachen Leute unter den Anwesenden ließen sich noch zu lauten Rufen hinreißen.
Schließlich erreichte der neue Großmeister sein Zelt und schloss die Tür hinter sich. Seine ernste Miene verschwand augenblicklich und Luthbert, Ulf und schließlich auch Ivar wurden in einer Umarmung gefangen, die dem Zwerg fast die Rippen brach. Aber er erwiderte sie herzlich. Er mochte den Ritter gern und freute sich aufrichtig über seinen Sieg.
„Bei den Göttern, was ist das Vieh stark! Erinnert mich daran, nicht allzu oft Turniere auszurichten.“
Sie setzten ihn auf einen Hocker, reichten ihm einen großen Humpen starkes Bier und machten sich daran ihn aus der Rüstung zu schälen. Nicht wenige Teile des guten Zwergenpanzers waren verbogen oder wiesen Kratzer und Dellen auf. Ivar staunte. Sein Respekt vor den Fertigkeiten des Ritters wuchs immens. Die Schäden hätten auch leicht von einer Waffe stammen können und der Druck durch die Umarmung des Bären musste gewaltig gewesen sein. Unter den Platten allerdings war der Herr Eilfric weitgehend unversehrt geblieben. Lediglich eine leichte Prellung an der Schulter hatte er sich zugezogen.
Die Rüstung wurde sorgfältig gereinigt und trocken gerieben, während der Ritter ein langes Kettenhemd und seine Ordensgewänder anlegte. Er wartete geduldig, bis die Knappen ihre Arbeit beendet hatten. Als sie fertig waren stellte er den Humpen zur Seite und richtete seufzend die Augen gen Himmel.
„Jetzt muss ich sicher eine Rede halten und noch mehr von denen anhören. Hoffentlich fassen sie sich kurz. Mir ist mehr nach Bier als nach Worten zumute.“