Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
So könnte es ein Haufen fatalistischer Stirländer bei seinem Marsch gen Osten auf der Standarte tragen. Und ein reisender Arabianer, welcher im fernen Ind die Lehre der Brahmanen verinnerlicht hat, mag sich überraschen, dass es unter den Barbaren des Imperiums so verständige Leute gibt.
Ein großer Teil der Ästhetik des Imperiums geht spätestens seit Mortheim in eine gotisch anmutende Richtung, welche die Vergänglichkeit des Lebens zum Kernpunkt hat.
Dabei könnte die Religion Sigmars lebensbejahender nicht sein. Sigmar ist der Übermensch, welcher den alten Göttern zum Trotz sich selbst zur Göttlichkeit emporgeschwungen hat und seine Anhänger eifern seinem Beispiel nach. Fatalismus, Lebensverneinung und Abwendung von der Welt müssen einem klardenkenden Hexenjägern als haeresi proxima erscheinen. Sigmar ist der Gott der Tat. Kontemplation dagegen erscheint sinnlos angesichts der Bedrohung durch das Chaos.
Viel angemessener als gotische Wasserspeier, Totenschädel und Memento Mori wären daher heidnische Statuen wie jene der Antike, welche neben Sigmar auch seine Heiligen in heroischer Pose darstellen würden.
Die größten Gegenspieler der Kirche Sigmars sollten die Kulte der Shallya und des Morr sein.
Shallya als Göttin des Mitleids und Morr als Gott des Todes sind die Antithese der radikalen Lebensbejahung Sigmars, welcher keine Zeit für Schwächlinge und Totengräber hat. Zumindest ist es sehr passend, dass Shallya eine Tochter des Morr ist.
Der Kult des Ulric und des Sigmar sind Erzfeinde, wo sie doch letztlich eine sehr ähnliche, kriegerische Lehre haben. Eigentlich müssten sich beide verbünden um die verbleibenden mystizistischen Kult im Imperium auszurotten, welche mit ihrer diametral gegensätzlichen Lehre schon fast die Anstrengungen im Kampf gegen das Chaos unterminieren.
Wenden wir uns nun diesem Chaos zu. Wie sehr unterscheidet sich denn Sigmars Aufstieg vom Pfad des Ruhmes, welchen so mancher Held des Chaos mehr oder weniger erfolgreich beschritten hat? Bekämpfen die Sigmariten nicht bloß Feuer mit Feuer, wenn sie sich inbrünstig und voller Hass den Horden des Chaos entgegenwerfen, welche sich gerade aus ihren Emotionen und ihren Willensakten nähren?
Ist das Chaos selbst nicht reiner Wille zum Leben um einen Begriff Schopenhauers zu borgen? Und ist nicht der nietzscheanische Chaosheld derjenige, welcher die Sklavenmoral der Weichlinge aus den Südlanden abgelegt hat?
Die Anhänger Sigmars und die Anhänger des Chaos wollen beide das Leben, bloß unter anderen Vorzeichen. Dabei ist den Gelehrten des Imperiums doch zumindest dunkel bewusst, dass die Kreaturen des Chaos bloße Erscheinungen eines verborgenen Willens sind. Dieser durchdringt die gesamte Warhammer-Welt und manifestiert sich am stärksten dort, wo das Leben in besonderer Weise bejaht wird.
Sie begnügen sich tragischerweise mit dem Kampf gegen die Erscheinung. Wären die Pfaffen Sigmars in all den Jahrtausenden des Krieges zu einer grundlegenden Erkenntnis über die Natur des Chaos gelangt, hätten sie feststellen müssen, dass die Aufhebung des Willens an sich auch den Sieg über das Chaos zur Folge hätte. Sie fürchten die Vernichtung des Fleisches durch die Diener des Chaos - jenes Fleisch, welches ohnehin dem Tod geweiht ist. Wenn sie stattdessen den Schleier lüften und den Willen in sich selbst bekämpfen würden, könnten sie durch Resignation und Askese dem Chaos die Nahrung nehmen. Vielleicht wird sich diese Weisheit der Mönche von Cathay eines Tages auch in unseren Gefilden breit machen und den wahren und endgültigen Sieg über das Chaos ermöglichen ...