Kapitel 37 - Keine Zeit
Die beiden Späher - welche Gurlak in die Berge geschickt hatte, um das Schicksal seiner Leibgarde zu ergründen - trauten ihren Augen kaum. Sie hatten beinahe den Fehler begangen den Wald zu verlassen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass es auch sicher sei. Gerade noch rechtzeitig hörten sie das Zischen von Pfeilen, welche aus Richtung des Berghanges nach unten geschossen wurden. Das steinige Feld vor dem Fuß des Berges war ein Schlachtfeld. Sie sahen Leichen und unzählige Pfeilschäfte, die aus dem Boden ragten. Die Ungors, welche sie vor sich im Schatten der Felsbrocken und vereinzelter Bäume ausmachen konnten, waren ihnen unbekannt. Sie trugen keine Zeichen ihrer Stämme und hatten auch ein geringfügig anderes Äußeres. Das konnte nur bedeuten, dass das dort oben ihre Brüder waren. Oder nicht? Die Beiden schauten sich fragend an, dann hefteten sie ihre Blicke wieder auf das Geschehen vor ihnen.
Nachdem sie eine Zeit lang beobachtet, gegrübelt und beraten hatten war den beiden Ungors klar, dass sie die Gefahrenzone nicht umgehen könnten. Eine andere Art, mit den Kriegern in den Bergen Kontakt aufzunehmen, schien ihnen nicht möglich. Die Bestigors mussten schlichtweg in ein Gefecht geraten sein und sich festgebissen haben. Wann es endlich vorbei sein würde und wie viele von Gurlaks Leibgarde dann noch am Leben sein würden, darauf wagten sie nicht zu spekulieren. Sollten sie damit zu ihrem Großhäuptling zurückkehren? Würde er sich damit zufriedengeben? Oder würde er sie gar in der Luft zerreißen? Bei beiden Spähern breitete sich unwohles Gefühl in der Magengegend aus.
Brak versuchte zu atmen. Aber so sehr er auch versuchte Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen, es ging nicht. Er hatte das Gefühl, als säße ein Oger auf seinem Brustkorb und er würde langsam ersticken. Instinktiv rollte er sich zusammen und ein brennender Schmerz biss ihm in die Schulter. Er stand unter Schock und er war verletzt. Seine Atmung normalisierte sich nur langsam. Mit jedem seiner Atemzüge inhalierte er mehr Luft und die Tränen hörten auf ihm in die Augen zu schießen. Er konnte wieder etwas sehen. Erst nur verschwommene Schemen, dann zeichneten sich Formen ab. Moose, Steine, ein Baumstamm, quer vor ihm. Da war er wieder, dieser Schmerz. Er strahlte durch den gesamten Oberkörper. Einer der Ungors musste ihn getroffen haben, daran bestand kein Zweifel. Warum waren sie noch nicht bei ihm? Wo blieben sie?
Brak stemmte sich langsam und gegen den Schmerz mit beiden Armen nach oben, bis er auf allen Vieren kauerte. Sein Atem war flach und er öffnete die bis eben zusammengekniffenen Augen. Dann blickte er sich um. Sie waren nirgends zu sehen. 'Da!' Rechts vor ihm nahm er noch einen der Ungors wahr, wie er durch das Unterholz huschte. Sie mussten hinter seinen beiden Spähern her sein. Ihn hatten sie mit aller Wahrscheinlichkeit für tot gehalten. Aber das würde ihn nicht retten, wenn er nicht sofort von hier verschwinden würde. Eine gesamte Kriegsherde stand im Begriff hier jeden Moment durchzumarschieren und im Gegensatz zu den Ungors würden sie auf Nummer sicher gehen, wenn sie ihn hier finden würden.
Er lehnte sich gegen eine der Birken vor ihm und schob sich unter größter Anstrengung an ihr empor. Er atmete noch drei Mal ein und aus, so gut es eben ging und begann vorwärts zu stolpern. Hinter sich hörte er bereits das Trommeln und Trampeln der unaufhaltsam nahenden Bestien-Herden.