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(Und nun beginnt... )
Des Dramas Dritter Teil
Kapitel 109 - Ankunft
Es regnete bereits seit drei Tagen. Die Herde hatte die Straße der Menschen passiert, die Ausläufer einer nahegelegenen Siedlung in einem nächtlichen Überfall geplündert und war nach Norden weitergezogen, bevor die lokale Gesetzesgewalt der Menschen zur Gegenwehr mobil gemacht hatte. Der Waldboden gab bei jedem Tritt der unzähligen Hufe vor Wasser schmatzende Geräusche von sich. Die Behuften waren nass bis auf die Haut und einige der Ungors trugen ihre Schilde über dem Kopf, damit ihnen das Regenwasser nicht unaufhörlich in die Augen liefe. Die Bäume standen hier weniger dicht und ihre Reise führte die Gruppe nun merklich bergauf. Einige der Karren waren nach dem Raubzug wieder schwer beladen und die Ungors halfen dabei, die Wagen auf unwegsameren Abschnitten voran und weiter den Berg hinauf zu schieben. Shargah erkannte einige der markanten Formationen wieder. Durch die lichterwerdenden Bäume konnte er die Konturen der Bergkette vor sich als dunkles Grau auf hellem Grau, durchschnitten von dichten Schauern, erkennen. Der Regen tropfte vom Rand der Kapuze auf seine Nüstern und lief an den Lippen hinab, in seinen Bart hinein. Einen Moment blieb er stehen und starrte das Bergmassiv an, bevor er sich wieder besann und seinen Marsch an der Spitze der Herde fortsetzte.
Einen Tag später hatten sie nicht nur den immer beschwerlicher werdenden Aufstieg geschafft, sondern dank des alten Schamanen auch jene verborgene Passage gefunden, welche ihnen Zugang zur Versammlungsstätte gewähren würde. Das Wetter hatte sich nicht gebessert und so lief der Regen unaufhörlich über die Felsformationen um sie herum, ihre Rücken hinunter und den Hang hinab. Der Boden war längst nicht mehr in der Lage das Wasser noch aufnehmen zu können. Schlammig braune Rinnsale hatten sich gebildet und flossen den Tiermenschen um die Hufe. Aber nun endlich, nach Tagen der Wasserfolter und des öden, monotonen Marschierens, waren sie an ihrem Ziel angekommen. Vor ihnen ragte, in einem Talkessel umringt von Höhlen und steinernen Formationen, ein einzelner, steil in die Höhe gewachsener Monolith auf. Es war ein bedrohlich wirkender, düsterer und an einigen Stellen eigenartig schimmernder Herdenstein.
Aus einer der Höhlen schälte sich im Grau des Unwetters eine mächtige Gestalt. Die Ungor Späher starrten bewegungslos und hielten sich an ihren Speeren fest, als die massige Gestalt sich langsam auf sie zu bewegte. Mit jedem Schritt, den das Ungetüm auf die ersten Ankömmlinge der Herde zuschritt, wurden Details seiner Erscheinung deutlicher. Der Regen lief in Strömen an den gewaltigen Rindshörnern des Kolosses hinab und verschmolz mit dem Nass, welches seine Haut und Schultern glänzen ließ, wie den geölten Körper eines Athleten. Shargah trat vor und grüßte den Sturmbullen, den Hüter des Herdensteins, mit einer Handbewegung. Der riesige Minotaurus blieb stehen und gab keinen Laut von sich. Lediglich ein schweres, kräftiges Schnaufen war für jene zu vernehmen, welche der beängstigenden Erscheinung an nächsten standen. Die Ungors, welche sich um und nun vor Allem hinter Shargah scharten, hatten allesamt weiche Knie.
Trotz seiner ganz und gar ruhigen Art, strahlte der stierköpfige Hüne eine unheimliche Macht aus. Wer eines dieser Wesen einmal auf dem Schlachtfeld erlebt hatte, mochte kaum glauben, dass sie in Friedenszeiten zu den wohl ruhigsten und friedfertigsten Zeitgenossen zählten, welche unter den Herdensteinen der Alten Welt weilten. Dieser Sturmbulle – wie die Häuptlinge unter den Minotauren genannt wurden – war einer der hochrangigsten und mächtigsten seiner Art. Über ihnen standen nur die Todesbullen. Legendäre Wesen, mächtige Anführer und absolut tödliche Kampfmaschinen, welche jedoch so selten waren wie ein friedliches Plätzchen in den Nördlichen Einöden. Nur wenige der anwesenden Behuften hatten je ein solches Wesen gesehen und selbst dieser Sturmbulle vor ihnen flößte bereits genügend Respekt ein um sicherzustellen, dass die Sitten und Bräuche der Herdenversammlung ausnahmslos eingehalten würden.
Nach und nach trafen die Gors, die Wagen und auch die Häuptlinge ein. Während all der Zeit hatte sich der Hüter nicht einen Zoll bewegt und erst als Gurlak an ihn herantrat und sein Anliegen vortrug, wandte sich der stierköpfige Riese in Richtung des Monolithen ab und gab somit symbolisch den Weg frei, auf dass Gurlak sein Zeichen am Herdenstein machen könne und die Herde sich in den umliegenden Höhlen niederlassen dürfe. Umgehend machte sich der Häuptling daran, seinen Namen in den mit schwarzem Quarz durchzogenen Stein zu kratzen und die Stärke seiner Herde zu vermerken. Von dem Stein ging eine eigenartig elektrisierende Energie aus und er wagte kaum ihn mit mehr als seiner Klinge zu berühren. Dann blickte er an dem steil aufragenden Monolithen empor in den grauen Himmel. Der Regen fiel ihm unter die Bestigor Haube und mitten ins Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen stellte er fest, dass das Entzünden des Signalfeuers wohl noch etwas warten müsste. Warten… genau wie er und seine Herde, deren Geduld dieser Tage allzu oft auf die Probe gestellt wurde. Immerhin hätten sie nun einige Höhlen als Unterschlupf, um nicht permanent dem Wetter ausgesetzt zu sein, welches bereits überdeutlich an den Nerven der übrigen Herdenmitglieder genagt hatte. Sie waren keine Minute zu früh hier eingetroffen.