Kapitel 182 - Schatten des Todes II
Ghoraz stürmte vorwärts, als wäre er in Raserei verfallen. Seine schwere Axt trug er zum Schlag erhoben und brüllte dabei wie ein Sturmbulle. Er war nur noch wenige Ellenlängen von seinem auserkorenen Opfer entfernt, als der Pfeil des Ungors sein Ziel fand. Das blitzschnelle Geschoss zerschnitt die Luft förmlich und tauchte – durch das geöffnete Maul des Bestigor eintretend – tief in Ghoraz‘ Rachen ein. Wie vom Schlag getroffen erstarrte der tobende Hüne, die Augen weit aufgerissen. Ein seltsames Gurgeln und ein Stöhnen verließen seine Lippen. Seine Pupillen wanderten nach oben und verschwanden unter die Lider, bis sie in den blutrot durchzogenen Augäpfeln nicht mehr auszumachen waren. Dann fiel er vornüber zu Boden und blieb reglos liegen. Sogleich schlugen und hackten Ungors aus allen Richtungen wie wild auf den Leichnam ein. Es war als wollten sie sichergehen, dass er sich nicht wieder erheben würde. Nur einer der vielen kleineren Tiermenschen stand still und zitternd in der Menge, die Augen noch immer im Schock geweitet, das Fell stinkend vor Angst und seinen Bogen fest umklammert.
Melek versuchte schnell die Lücke in ihrer Flanke zu schließen und die Anderen wären sicher nachgerückt, wenn sie damit nicht an anderer Stelle eine neue Bresche für den Feind geöffnet hätten. So versuchten sie also das, was von ihrer Formation noch übrig war, so gut es nur ging beizubehalten und sich ihrer Angreifer zu erwehren, während mehr und mehr Pfeile ihnen gefährlich knapp über die Köpfe rauschten. Der Schatten des Todes war über ihnen. Er wuchs unaufhörlich und umarmte die stolzen Krieger – einen nach dem anderen – in eisiger Liebkosung.
Brak schien geradezu in Flammen zu stehen. Die Menge an magischer Energie – welche durch ihn hindurch und um ihn herum floss – war so gewaltig, dass sie selbst für nicht magisch Begabte sichtbar war. Zungen weißen Lichtes loderten aus seinen Augenhöhlen, den Ohren und aus seinem Maul hervor. Im Angesicht solch gewaltiger Winde der Magie schien es ihm ein Leichtes, die Kontrolle über dutzende niederer Kreaturen zugleich zu behalten. Ihr schwacher, von niederen Instinkten gelenkter, Wille beugte sich seinem Einfluss und ließ zu, dass er die Führung übernahm, wie ein Leitwolf innerhalb eines Rudels. Zunächst lenkte er die Bestien gegen ihre eigenen Bändiger und machte sie nieder. Auf diese Weise stellte er sicher, dass er das einzige Alpha-Tier blieb, welches dem Rudel Richtung und Zweck vorgeben würde. Erst nachdem ihre alten Meister vernichtet waren, wendeten sie sich gegen die Herde, in dessen Gefolge sie gekommen waren. Brak achtete darauf, dass sie sich nicht unnötig gegenseitig dezimierten und ihre wilde Zerstörungskraft stattdessen gegen die Horden an Behuften richteten, welche in ihrem Rücken aufmarschierten. Der jungen Schamane sah in unzählige schwarz und weiß gemalte Tiermenschen-Fratzen, bevor sie in blutige Fetzen zerrissen oder von unglaublicher Gewalt niedergetrampelt wurden. Die Wirkung seines Zaubers war verheerend und kein feindlicher Schamane schien seinem Wirken Einhalt gebieten zu wollen oder zu können. Hier und da verlor Brak die Verbindung zu einzelnen Hunden oder Keilern, wenn sie letztlich von ihren ehemaligen Herren niedergemacht wurden. Bei den anderen Kreaturen, machte sich ein unerwarteter Nebeneffekt bemerkbar. Mit jedem weiteren ausgelöschten Leben schien mehr und mehr dunkle Energie freigesetzt zu werden und Brak konnte davon zehren, um die Kontrolle über die marodierenden Bestien auch auf größere Distanz aufrechtzuerhalten. Tiefer und tiefer fraßen sich die Kreaturen in die Reihen des Feindes und rissen so jegliche Formation auseinander. Ein ganzes Rudel wütender Reißkeiler preschte durch die Linien einer Herde vor Wut schäumender Gors und hinterließ eine Schneise der Vernichtung. Gebrochene und zertrampelte Körper lagen überall verteilt, um sogleich von weiteren anstürmenden Kriegern überrannt zu werden, wie brausende Wellen es mit aufgewühltem Sand an einer Küste taten.
Während der junge Schamane mit erhobenem Stab seine unbändigen Kräfte walten ließ, wurde er von einer ganzen Gruppe an Gors und Ungors verteidigt. Shargah tat das Seine, um die Krieger anzuheizen und flößte ihnen fortwährend übernatürliche Stärke ein, mit welcher sie ihren Widersachern begegneten. Die Krieger schirmten die Seher ab, so gut es ihnen möglich war und verschafften ihnen die Luft, welche nötig war um ihr Werk zu tun. Die Schamanen blieben dabei stets mit der Gruppe in Bewegung, ohne wirklich geistig anwesend zu sein. Nicht ein einziges Mal schienen ihre Hufe fehlzutreten oder zu stolpern. Mit fast schon traumwandlerischer Sicherheit bewegten sie sich als Teil der Einheit, welche eisern das Leben der zwei heiligen Gors verteidigte. Besonders bei Brak schien diese geradezu virtuose Vorstellung eine unfassbar große Leistung zu sein. Er war noch so jung und unerfahren. Nie hatte Shargah ein solches Naturtalent erlebt, welches innerhalb so kurzer Zeit in der Lage gewesen war Magie zu formen und zu führen, als sei es das Einfachste auf der Welt. Wenn er den jungen Gor so sah, wollte er die Prophezeiungen glauben und der plötzlich in die Höhe schnellende Pulsschlag ließ den ausgemergelten Körper des Alten freudig erschaudern. Brak merkte davon nichts. Sein Geist war weit entfernt und schenkte an einer Vielzahl von Orten gleichzeitig Tod und Verderben.