Des Dramas Vierter Teil
Kapitel 158 - Erwachen
Als Merrhok das Bewusstsein wiedererlangte, hatte er keine Ahnung wo er sich befand. Zu heftig waren die Folgen der vielen Kopfstöße, welche sein Hirn hatte über sich ergehen lassen müssen. Er versuchte seine Augen zu öffnen, konnte aber kaum etwas sehen. Alles war verschwommen, als habe er zu viel halbvergorenen Wein gesoffen. Außerdem ließen ihm die dicken Schwellungen auf der Stirn und um die Augen herum kaum mehr als ein paar Schlitze, um etwas zu erkennen. Sein Gehör war an sich nicht beeinträchtigt und dennoch hätte der geschundene Gor schwören können, einem permanent dröhnenden Geräusch ausgesetzt zu sein. Um ihn herum herrschte ein unbarmherziges Getöse. Viele Wesen waren in wilder Hast unterwegs. Kämpften sie? Nein, sie schienen zu feiern. Als nächster seiner nur minder gestörten Wahrnehmungssinne, meldete sich der Geruchssinn. Trotz einer durch und durch von getrocknetem Blut verstopften Nase roch er eine penetrante Note ganz deutlich heraus: Moschus. Es war nicht diese Art, welche seinesgleichen aus Angst hinterließen und auch nicht die permanent vorhandene, eher dezentere Variante der geschlechtsreifen Gors. Was ihm da in die Nase stieg, roch nach Macht.
Als er seinen Oberkörper aufrichtete, bemerkte er wie sein Körper über und über verklebt war. Da war eine undefinierbare Mischung aus kaltem Schweiß, verkrustetem Blut und noch irgendetwas anderem. Urin. Das Schlimmste daran mochte sein, dass es nicht sein eigener war. Mit einem Mal begannen die Erkenntnis und ein schwer drückender Kopfschmerz zeitgleich zuzuschlagen. Erstere wurde sogleich von den dominanten Schmerzen verdrängt und Merrhok erstarrte in seiner Bewegung, während er versuchte die Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen und sich zu entspannen. Er schloss die Augen und fasste sich an die übel zugerichtete Stirn. Dann, langsam, nach und nach, kam die Erinnerung daran wieder, wieso er überhaupt hier war.
Gurlak, Ghorhok, der Kampf um die Vorherrschaft. Gurlak war zu Boden gegangen. Daran konnte er sich als erstes wieder erinnern. Aber was mit Ghorhok geschehen war, wollte sich ihm ums Verrecken nicht erschließen. Sein Hirn ermahnte ihn erneut keine allzu komplexen Denkprozesse in Gang zu setzen, indem es den Kopfschmerz mit erneuter Gewalt zurückbrachte. Als die Hammerschläge gegen Schläfen und Stirn immer stärker auf ihn einzutrommeln begannen, ließ Merrhok den Gedanken schließlich fahren. Die Erinnerungen müssten wohl warten. Stattdessen begann er seinen Körper und den Boden um sich herum langsam abzutasten. Der Gestank des Urins war penetrant und er wollte nur noch weg von hier. Als er sich langsam auf die Hinterläufe begeben hatte wurde ihm klar, dass er dem Gestank nicht entkommen würde. Wer auch immer den Kampf gewonnen haben mochte, musste sich direkt auf ihn und sicher auch die anderen unterlegenen Herausforderer erleichtert haben.
Merrhok wollte ausspucken. Dabei hatte er das Gefühl nicht sagen zu können, ob es auch nur einen einzigen Zahn in seinem Maul geben mochte, der nicht locker wäre. Daraufhin biss er die Fänge zusammen und schluckte eine widerwärtige Mischung aus Magensäure und halb geronnenem Blut herunter. Das musste dann wohl der Geschmack der Niederlage sein.
Die hellen Flecken in seinem Sichtfeld, bei welchen es sich um die zahlreichen Lagerfeuer innerhalb des Herdenlagers handelte, wurden stetig umtanzt von ausgelassenen Behuften. Langsam und vorerst ziellos suchte er sich seinen Weg durch die dunkleren Bereiche in den Zwischenräumen. Die meisten Gestalten schienen ihm aus dem Weg zu gehen. Hier und da stieß aber dennoch der eine oder andere Artgenosse gegen seine Schultern, den Rücken oder die Brust. Merrhok war es egal. Alles schien im Moment egal. Erst als sich eine Hand auf seine Schulter legte und eine ruhige Stimme ihn dazu aufforderte ihm zu folgen, kam wieder so etwas wie Licht in die dunkle Gedankenwelt des Häuptlings.
Es sollte eine ganze Weile dauern, bis Shargah sich ernsthaft um Merrhok kümmern konnte. Direkt nach dem Kampf hatte das Ritual zur Kontaktaufnahme mit den Dunklen Mächten begonnen und im Anschluss waren die Schamanen geschlossen in einem ihrer Versammlungszelte verschwunden. Die Erlebnisse und Erkenntnisse ihrer Kontaktaufnahme mussten umgehend geteilt und diskutiert werden. Bis dahin hatten sich die treuen Schädelsammler um ihren Herrn gekümmert, ihm Wasser gebracht und seine Wunden behandelt.
Schließlich war der Alte zurückgekehrt und nahm sich umgehend und ohne dabei Worte zu verlieren des übel zugerichteten Kriegers an. Unmittelbar darauf fiel Merrhok in einen tiefen, traumlosen Schlaf.