Kapitel 128 - Riesen Überraschung II
Der Riese beschleunigte seinen Schritt, die ausdruckslosen Schweinsäuglein fest auf die Menschengruppe vor sich gerichtet. Der Boden bebte unter jedem seiner schweren Schritte und er ließ sein dröhnendes Gebrüll hören. Wie zur Antwort erscholl das Kreischen einer der Frauen vom Waldrand her und der Unhold zögerte kurz, während er versuchte auszumachen woher der Schrei gekommen sein mochte. Diesen Augenblick nutzten die Armbrustschützen und ließen ihre Bolzen fliegen. Trotz der hohen nervlichen Belastung der Männer gehorchten ihnen ihre Körper. Jahrelange Übung machte sich in Momenten wie diesen bezahlt. Jede ihrer Bewegungen war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen und sie trafen ihr Ziel. Leider machten die Geschosse keinen allzu großen Schaden und der Riese wurde lediglich wütend, als die Bolzen ihn unsanft in seine dicke Haut bissen. Wenn die Männer mit dieser Aktion eines ganz sicher geschafft hatten, dann war es die volle Aufmerksamkeit des Giganten auf sich zu lenken. Sie versuchten erst gar nicht ihre Waffen aufs Neue zu spannen, denn dafür blieb keine Zeit mehr. Mit zwei stampfenden Schritten war der Unhold bereits bei ihnen und trampelte auf die Winzlinge zu seinen Füßen ein. Der Kommandant, welcher noch immer alle Mühe hatte sein Pferd unter Kontrolle zu halten, konnte seine Männer nicht einfach ihrem Schicksal und der Wut des Kolosses überlassen. Er hob seine Pistole, legte an und feuerte. Der Riese brüllte auf als wäre ihm der heiße Funken eines Feuers ins Auge gesprungen. Seine gigantische Hand hielt für einen Augenblick das unförmige Gesicht und im nächsten Moment ließ er seinen Arm in weitem Bogen herniederfahren. Wie der Schwanz einer Kuh, welcher die Insekten vertreibt, flog der monströse Arm durch die Luft. Die Armbrustschützen duckten sich darunter hinweg und machten mehrere Schritte zurück, um Abstand zu gewinnen. Ihr Anführer konnte jedoch nicht ausweichen und so traf die Rückseite der Riesenhand das Reittier seitlich an Schulter, Hals und Schläfe. Das Pferd ging unmittelbar zu Boden und begrub seinen Reiter halb unter sich. Was von den Armbrustschützen übrig geblieben war, rannte um sein Leben.
Die Hellebardenträger versuchten noch so etwas wie eine Formation zu wahren und rückten dicht zusammen, auch wenn der Ausdruck auf ihren Gesichtern nicht von Hoffnung kündete. Als der Riese aus einem blutüberströmten Gesicht auf die Männer herabblickte, wurden ihre Knie weich. Einige taten es den Schützen gleich und suchten ihr Heil im nahegelegenen Unterholz des Waldes. Der Rest der Soldaten brach schließlich auch noch auseinander, als der Koloss ein markerschütterndes und diesmal auch wuterfülltes Brüllen auf sie losließ. Sie stoben auseinander in alle Richtungen, wie aufgescheuchte Fliegen. Der Riese griff nach einem von ihnen, packte den Unglücklichen und biss ihm unversehens den Kopf ab, bevor er ihn nach einigen der anderen Flüchtenden warf. Das Chaos war perfekt und Merrhok starrte mit halbem Unverständnis angesichts seines unfassbaren Glücks auf das Treiben an der Lichtung hinaus. Ab und an ließ er seine Blicke in die Richtung huschen, in der seine Untergebenen lauerten und über jene herfielen, die in den Wald geflohen waren. Die Glücklosen wurden mit Knüppeln niedergeschlagen, ohne ihrerseits große Gegenwehr leisten zu können. Die Bahre, mit dem noch immer bewusstlosen Verletzten, lag am Waldboden und unmittelbar daneben waren die beiden Wachmänner niedergegangen. Der Bauer und beiden Frauen waren ebenfalls gewaltsam ins Land der Träume befördert worden. Im Moment rangen die Gors und Ungors die größtenteils unbewaffneten und übertölpelten Soldaten nieder, welche vereinzelt und in blanker Furcht durch das Dickicht rannten. Wie aus dem Nichts wurden sie von Gehörnten angesprungen und gingen in dem dichten Farn-Meer unter, welches den Boden an dieser Stelle des Waldes verbarg. Merrhok hätte vor Glück jauchzen können, wenn sein Hals ihm nicht wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Jetzt hieß es erst einmal Ruhe bewahren, die Krieger im Zaum halten und unter allen Umständen außer Sicht des noch immer auf der Lichtung wütenden Monstrums zu bleiben.
Der Riese hatte Tod und Verderben über jene Soldaten gebracht, welche nicht in der Lage gewesen waren rechtzeitig zu fliehen und so war der von riesigen Fußspuren zertrampelte Acker gesprenkelt mit den toten oder bewusstlosen Körpern der Männer der Wachkompanie. Als jede Gegenwehr erstorben war, hielt der Riese ein und machte auch keine Anstalten jene zu verfolgen, welche im Unterholz verschwunden waren. Merrhok runzelte die Stirn, angesichts dieses unverständlichen und ganz und gar unnatürlichen Verhaltens. Was war nur in dieses Ungetüm gefahren, dass er eben noch wütete wie eine Furie und nun auf dem Feld stand als würde er schlafwandeln? Mit einem Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag, seine in Runzeln gelegte Stirn entspannte sich und er erhob sich aus seiner Deckung, um sich besser umblicken zu können.
Merrhok schien keinerlei Angst zu haben, dass der Riese ihn angreifen würde und erntete entsetzte und entgeisterte Blicke von seinen Untergebenen aus deren Verstecken im Dickicht. Der junge Gor stand aufrecht am Rande des Waldes und blickte sich suchend um. Den Giganten, welcher immer noch geistesabwesend auf freiem Feld stand, beachtete er genauso wenig wie es umgekehrt der Fall war. Den Ungors stockte dennoch der Atem. Merrhoks konzentrierter Blick suchte systematisch und geduldig das Unterholz und den Waldrand ab. Mit einem Mal stoppte er und seine Schultern und Brust begannen augenblicklich unter einem lautlosen Lachen zu hüpfen. Endlich hatte er die Bestätigung für seine Vermutung gefunden. Am Saum des Unterholzes, westlich von ihrer Position und in eben der Richtung, aus der auch der Riese gekommen war, stand eine in schwarze Roben gehüllte und auf einen Schädelstab gestützte Gestalt. "Shargah."