Geht es euch auch manchmal so? Ihr sitzt an einer Sache, an der ihr sitzen müsst und plötzlich jagt ein Geistesblitz nach dem anderen durch euer Oberstübchen, haben aber allesamt mit der Sache herzlich wenig zu tun? Na, jedenfalls war das bei mir heute der Fall und ich hab mich entschlossen mich an eine kleine Fortsetzungsstory zu wagen. Mal sehen wie weit ich komme, bis der Karren wieder im Mist feststeckt, alles ziehen, zerren und guter Wille schließlich unnütz erscheint, das Projekt also seinen natürlichen Weg gegangen ist. Bis dahin wünsche ich allerdings beste Unterhaltung! Gruß, Cibout.
Die Ritterschaft des Felsendoms zu Bergerac
Kapitel 1
Renard war nicht erschöpft. Hunderte Werst bretonischen Hochlands hatten es nicht vermocht, tiefe Schluchten voll tückisch glatter Felsen, Ranken voll peitschender Äste gespickt mit Dornen und auch dieser letzte endlos erscheinende Aufstieg war machtlos gegen seine jugendliche Kraft. Angespannt huschten seine tiefblauen Augen von einem Winkel in den nächsten. Seit er den Turm betreten hatte, war er keiner Menschenseele begegnet. Nun schlich er voran, beständig um sich blickend, geduckt und jeder Muskel aufs Äußerste gespannt. Seine feuchten Finger umklammerten das lederne Heft eines mächtigen Langschwertes. Oberhalb der Parierstange hatte er ihre Locke festgebunden. Sie, derentwegen er hier war. Isabeau. Das alte Schloss war bedrückend. Überall hatte sich Ungeziefer eingenistet. Schimmel. Moder. Es roch nach faulem Käse. Das Holzgebälk rottete duldsam vor sich hin. Man kann nicht wissen was das Holz fühlt, dachte Renard. Vielleicht ist es voll Kummer und seine Seele begreift, dass das Ende nahe ist. Die elende Feuchtigkeit kriecht ihm in die Knochen und setzt Pilze an. Andererseits; vielleicht ist die Seele schon geschwunden, als der Baum geschlagen wurde. Dann fühlt es nichts und ist wie ein Leichnam, den die Maden durchwühlen. Tote Masse. Der Schrei des Sperlings drang durch die gläsernen Spitzbogenfenster. Fenster ohne Glas, höchstens vereinzelt ein paar bunte Scherben. Renard tastete sich voran. Schritt um Schritt erklomm er die Stufen der Wendeltreppe, welche hinaufführten ins Ungewisse. Und doch; hier musste es sein, das Ziel seiner Reise. Der Ort seiner Sehnsüchte und Hoffnungen. Mit der Zunge spielte er an seinem trockenen Gaumen, den Geschmack von Dörrfleisch seit Wochen im Mund.
Ein greller Schrei ließ ihn zusammenfahren. Also doch. Er hatte es von Anfang an gewusst. Aber war er keineswegs unvorbereitet hierher gekommen. Ohne hinzusehen fuhr er mit seiner Linken unter den Waffenrock und zum Vorschein kam eine kleine Phiole gefüllt mit azurblauer Flüssigkeit. Der Pfropfen war aus purem Gold und stellte nichts geringeres dar, als das Antlitz der heiligen Herrin vom See. Vorsichtig löste er den Verschluss, kniete sich ab, stellte das Fläschchen auf die Steinstufe, zog einen silbernen Dolch hervor und benetzte ihn mit der kostbaren Flüssigkeit. Inbrünstig hauchten seine Lippen:
„Heilige Herrin vom See, gebenedeit sei die Frucht deines Geistes, das Land deiner Knechte, entsprossen deinen Schenkeln. Verflucht sei das Böse auf der Welt. Heilige Herrin vom See, gib mir Kraft, mich vor Sünde zu bewahren. Heilige Herrin vom See, gib mir Geist, Einsicht zu erlangen. Heilige Herrin, erfülle mich mit deinem Feuer, auf das ich deine Feinde vernichte in deinem gerechten Zorn. Heilige Herrin, Lob und Preis sei dir in Ewigkeit, Amen.“
Ein wohliger Schauer ergriff ihn, hob ihn empor – die Lohe verbrannte den Anflug von Angst, der ihn überkommen war und eine eherne Macht leitete seine Schritte. Unaufhaltsam drang er voran, Psalmen und Gebete murmelnd. Endlich war er oben angelangt. Heftig stieß er die Eichentür, sodass sie halb aus den Angeln flog und schmetternd an dem behauenen Felsgestein zerbarst. Seine Brust hob und senkte sich unter flatterndem Puls seines Herzens. Bleiche Blässe über knöchernen Schädeln, ledern und durchsichtig. Mottenzerfressene Roben hingen an ihren Körpern. Sie bleckten die Zähne bei seinem Anblick und sprangen auf den flachen Tisch. Ihr Fauchen ließ ihn unbeeindruckt. Blitzschnell drang er vor. Stach nach kaltem Fleisch. Es knackten ihre Rippen. Lustig fraßen sich seine Klingen durch ihre Rümpfe. Er hackte nach ihren Köpfen und als der letzte fiel, nahm er den Dolch und trieb ihn dem Vampir durch das erloschene Auge, bis es in der Tischplatte feststeckte.
„Renard. Renard. Wo steckst du bloß schon wieder?“
„Oh nein,“ stöhnte Renard. Schnell zog er das Brotmesser aus dem Kopf der kleinen Strohpuppe. Gerade wollte er sich davon machen, da erschien die mächtige Gestalt seiner Mutter im Türstock. Sie war groß wie ein Riese und breit wie ein Mastochse. Kein Bauernlümmel des Dorfes hätte auch nur die kleinste Flegelei gewagt, wenn sie in der Nähe ihre Hausarbeit verrichtete. Renards Vater hatte es nie leicht gehabt mit dieser resoluten Frau und so war er vor wenigen Monaten in die Arme der ewigen Herrin geflüchtet. Am Dachbalken ihres ritterlichen Wohnturmes hatte er sich erhängt.
„Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du die Puppen deiner Schwester nicht für deinen Schabernack verwenden sollst? Hundertmal im Mindesten. Du bist ein elender Bengel der es nur immer auf Hiebe anlegt. Wärst du nicht meinem Schoß entsprungen, ich hielte dich für einen dummen Bauerntölpel.“
Erst als sie sah, wie Renard die Tränen über die Wangen kollerten, schwand ihr Zorn und wie die Sonne nach einem heftigen Gewitter durch die Wolken bricht, so tat sich ihr Herz auf. Sie legte ihm ihre fleischige Pranke auf die Schulter. „Na komm, Ritter Hosenmatz, jetzt wird erstmal gegessen.“
Dann lachte sie mit weit aufgerissenem Mund, so ohrenbetäubend laut, dass es schmerzte und ihr leicht hervortretender Adamsapfel hüpfte wie ein Kautschukball.